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Der ominöse Diamantenhändler bekommt ein Gesicht

Es gibt eine Stimme, Fingerabdrücke und DNA. Indes wird die Geschichte um das letzte Geschäfte von Unister-Gründer Thomas Wagner immer abenteuerlicher.

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© dpa

Ulrich Wolf, Leipzig

Leipzig. Das Phantom hat nun zumindest eine Stimme. Sie klingt nach Balkan, nach Jugo im Ruhrpott. „Wann kommst du bei mir nächste Woche?“, tönt es durch den Saal 115 im Landgericht Leipzig. Der Vorsitzende Richter lässt Mitschnitte einer Telefonüberwachung vorspielen. „Ich kann nicht schicken Geld. 900 maximal“, sagt die Stimme. Man hört Kinderkichern im Hintergrund, ein anderes Mal Vogelgezwitscher. Von einem Treffen in Kroatien ist die Rede, in Split oder in Zagreb. Von Geldscheinserien, mit denen man nichts anfangen könne, „weil die registriert sind“. Von Recherchen „wegen der DNA der Leichen“. Die Stimme des Phantoms gehört einem gewissen Levy Vass, die andere Wilfried Schwätter.

Der sitzt im Unister-Betrugsprozess auf der Anklagebank. Er wischt sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden wirft dem 69-Jährigen vor, maßgeblich in jenes Geschäft verwickelt zu sein, an deren Ende Unister-Gründer Thomas Wagner durch einen Flugzeugabsturz über Slowenien Mitte Juli 2016 den Tod fand. Zuvor hatte Wagner versucht, in Venedig einen 15-Millionen-Kredit zu bekommen. Von der Stimme, von Levy Vass. Angeblich ein reicher israelischer Diamantenhändler, der in Italien lebt und einen Golfklub bei Varese besitzt oder besessen hat. Von ihm erhielt Wagner jedoch nur einen Koffer mit Falschgeld. Zudem büßte er 1,5 Millionen Euro ein, die er von einem Unister-Firmenkonto abgehoben hatte und die als Sicherheit für das Kreditgeschäft dienen sollten.

„Pass auf, Levy. Ich kümmere mich drum“, sagt Schwätter in mehreren Telefonaten mit Vass. Ermittler hatten sie am 25. und 26. Juli aufgezeichnet, knapp zehn Tage nach dem Flugzeugabsturz. „Ganz ruhig Levy, kriegen wir alles hin.“ Schwätter redet auf Vass ein, in rasendem Tempo, ohne Rücksicht auf dessen gebrochene Deutschkenntnisse. „Ich hab‘ mich richtig schön an die Eier gekitzelt. Ich sammle alle Supersachen, damit da nichts anbrennt“, versucht er seinen Geschäftspartner zu beruhigen, nachdem die Medien begonnen hatten, über den Absturz und den Tod des Leipziger Internetstars zu berichten. „Kriegen wir in Italien Probleme?“, fragt Schwätter. Vass antwortet: „Ja, ja. Ich kann gar nix überweisen, sonst Ärger mit Amt.“ Schwätter: „Die sind immer noch am Recherchieren wegen der DNA der Leichen. „Du brauchst keine Panik haben.“ Dann wünscht er Vass einen schönen Abend und „grüß‘ deine Familie“. Es klingt wie ein Gespräch unter Vertrauten.

Die Telefonmitschnitte waren für den Angeklagten kein guter Ausklang für den dritten Verhandlungstag. Denn er hatte zwei Stunden zuvor sein Schweigen gebrochen und sich als unbedarfter Unschuldsengel präsentiert. Zudem sei er ein Opfer einseitig geführter Ermittlungen. „Ich bin zwar involviert, aber ich bin nicht Hauptschuldiger und mich entlastendes Material ist verschwunden“, sagt Schwätter.

Er redet quasi ohne Punkt und Komma, teils aufbrausend. Der Staatsanwaltschaft wirft er vor, die wirklich Verantwortlichen frei herum laufen zu lassen, „während ich seit acht Monaten im Knast sitze“. Er habe nie etwas von Falschgeld gewusst. Die entscheidenden Gespräche zur Anbahnung des Unister-Geschäfts seien an ihm vorbeigegangen. Er wolle behilflich sein, Vass zu finden. Er und Wagner seien sich nie begegnet. „Das mit dem Flugzeugunglück tut mir wirklich sehr leid.“

Schwätter widerspricht den Aussagen mehrerer Zeugen, denen zufolge er eine lange Geschäftsbeziehung mit Vass unterhalte. Bei Gesprächen mit potenziellen Kunden für den Diamantenhändler habe er sich stets auf eine Geschäftspartnerin in Österreich berufen, die ihrerseits Vass seit zwanzig Jahren kenne und schätze. Er selbst habe ihn erst Anfang 2015 kennengelernt. Angeblich ging es damals um den Verkauf von Cäsium-136 für Industriezwecke, später um Diamanten und Oldtimer. Schon vor dem Betrug am Unister-Chef soll Schwätter an einem zweifelhaften Deal mit Vass beteiligt gewesen sein. Ein daran beteiligter, in Zürich ansässiger Diamantenexperte hätte vorige Woche in Leipzig aussagen sollen, ist aber für die Justiz nicht greifbar. Der Staatsanwaltschaft zufolge ist er in Tansania abgetaucht.

Auch sonst zeigt die Zeugenliste, mit welch schillernden Personen sich Wagner eingelassen hat. Dazu gehören unter anderem ein ehemaliger Landtagsabgeordneter der Linken, ein millionenschwerer Immobilienkrösus sowie ein früherer Bankmanager. Es sind Unternehmensberater aus der Schweiz darunter, Diamanten- und Kunsthändler, Kneipiers, Rechtsanwälte. Für Erstaunen sorgte etwa der Auftritt eines Juristen aus Frankfurt am Main, der der ehemaligen Hauskanzlei von Unister angehört, dem Anwaltskonzern CMS Hasche Sigle. Er sagte, Wagner habe im den Kreditvertrag für den Vass-Deal zur Prüfung geschickt. Die Unterlagen hätten „ein Geschmäckle gehabt, besonders wegen der Bargeld-komponente“. Eine eindeutige Warnung an Wagner aber erfolgte nicht.

Die hingegen hatten ein Investmentbanker und ein Manager hinterlassen. Sie waren im Auftrag Wagners Ende Juni 2016 nach Hannover gereist, um sich dort mit Schwätter und zwei weiteren Männern wegen des anstehenden Kreditdeals zu treffen. Sie hätten Wagner eindringlich ermahnt, die Finger davon zu lassen. „Wir glauben, wir haben mit der Mafia gesprochen“, meldeten sie dem Konzernchef.

Und Levy Vass? Der wird immer noch gesucht, ist offensichtlich abgetaucht. Es gibt nicht nur seine Stimme. Ein leitender Ermittler sagte vor Gericht, auf dem am Wrack des abgestürzten Flugzeugs gefundenen Kreditvertrag seien DNA und Fingerabdrücke von ihm gefunden worden. Italienische Behörden hätten diese Spuren einer konkreten Person zuordnen können.

Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt. Dann sollen unter anderem die Lebensgefährtin von Thomas Wagner und ein Notar aus Hannover aussagen.