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Und nachts stillt der Papa

Almut Rudel, Moderatorin beim MDR, hat Zwillinge bekommen – mit 45. So wie sie entschließen sich immer mehr Frauen zu einer späten Mutterschaft.

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Von Christina Wittig

Auf dem Küchentisch im Haus von Almut und Klaus Rudel liegt ein kleines, lilafarbenes Notizbuch. Auf der ersten Seite steht: „Buch der Kinder“. Die Kinder, das sind die Zwillinge Klaus und Klara, sechs Wochen alt. Im Buch ist fein säuberlich notiert, wann und wie viel die Babys getrunken haben. Eine Mahlzeit gibt es kurz nach Mitternacht, die nächste gegen 4 Uhr und danach ungefähr alle vier Stunden. Tagsüber stillt Almut Rudel, nachts füttert ihr Mann mit der Flasche. „Nachts“, sagt die Radebeulerin und lacht, „nachts stillt der Papa.“ Im Nebenzimmer quengelt der kleine Klaus. Almut Rudel holt ihn. Er schläft ein auf ihrem Schoß. „Kleiner Prinz“, sagt sie leise.

Hoffen auf 100 Jahre Leben

Bei Rudels geht es derzeit zu wie bei vielen jungen Eltern. Allerdings ist das Paar nicht unbedingt das, was man als „jung“ bezeichnen würde. Almut Rudel, deren Gesicht gut bekannt ist durch den MDR-Sachsenspiegel, ist 45 Jahre alt. Ehemann Klaus, Ingenieur im Ruhestand, ist 63. Ein Alter, in dem die meisten Menschen Großeltern werden und froh sind, wenn die Enkel zur Tür heraus sind und wieder Ruhe herrscht in der Bude. Die Verantwortung, die ständigen Pflichten, der erste Zahn, die riesige Zuckertüte, das Gezicke in der Pubertät – alles eine ferne Erinnerung.

Für Almut und Klaus Rudel war es das bis vor nicht allzulanger Zeit ebenfalls. Sein Sohn ist 43 und hat zwei große Kinder. Ihre Tochter aus erster Ehe ist 23 und lebt und arbeitet in Paris. Eigentlich hatten die Journalistin und der Ingenieur keinen Gedanken mehr für Familienplanung. Aber dann sind sie sich beim Skilaufen begegnet. Das war vor sieben Jahren. „Er ist der Mann meines Lebens“, sagt Almut Rudel. „Es ist schade, dass ich ihn nicht früher kennengelernt habe. Aber das ist eben Schicksal.“

Sie wollten ein Kind, unbedingt, Alter hin oder her. „Man fühlt sich immer jünger, als man ist“, sagt die schmale, sportliche Almut Rudel. „Wir treiben Sport, wir leben gesund“, sagt ihr Mann. Er zählt auf, wo er vergangenes Jahr Rad gefahren ist: 200 Kilometer hier, 300 Kilometer dort. Er ist groß, er ist drahtig, er hat die Statur eines durchtrainierten 40-Jährigen. Nach der morgendlichen 4-Uhr-Flasche geht er joggen. „Wir sagen oft: Wir werden 100“, erzählt Klaus Rudel. Hofft er. Statistisch gesehen aber sind ernste Krankheiten und Tod für einen 63-Jährigen näher als vieles andere. Almut Rudel nickt zögerlich: „Wir nehmen es, wie es kommt.“

Almut Rudel wurde schwanger – und hatte eine Fehlgeburt. Einige Jahre später saß sie wieder vor dem Ultraschall ihrer Frauenärztin. Der Blick auf das kleine Herz war furchtsamer diesmal. Und da war ein dunkler Fleck neben dem Kind. Die Ärztin dachte an ein Hämatom. Aber der dunkle Fleck bewegte sich. Ein zweites Herz. Zwillinge, und das bei einer 45-Jährigen. Das ist kein medizinischer Albtraum, aber auch kein Spaziergang. Ab 35 gilt eine Frau als Risikoschwangere: Die Wahrscheinlichkeit steigt, ein Kind mit Down-Syndrom zur Welt zu bringen. Oder selber krank zu werden, zum Beispiel durch Schwangerschaftsvergiftung. Noch nie hat sich eine derart intensive Vorsorgemedizin über die werdenden Mütter ergossen, aber die Zahl der Früh- und Fehlgeburten ist unverändert hoch in Deutschland. Darauf wies kürzlich Joachim Dudenhausen hin, Geburtsmediziner an der Berliner Charité. Hauptursache sei das steigende Alter der Frauen bei der ersten Schwangerschaft.

Laut Statistischem Bundesamt sind inzwischen mehr als zwanzig Prozent aller Mütter über 35, und es gibt immer mehr Schwangere über 40. Tendenz weiter steigend. Sachsen bildet da keine Ausnahme. Endgültig vorbei sind jene sozialistischen Zeiten, als man mit 25 als Spätgebärende galt. Die Gründe sind vielfältig: Manchmal ist die späte Schwangerschaft ein Unfall, manchmal geplant – auch ohne Hormonbehandlung und künstliche Befruchtung. „Meine älteste Schwangere war 48, es ist ihr achtes Kind“, erzählt die Hoyerswerdaer Hebamme Grit Kretschmar-Zimmer. „Klar, die jungen Mädels stecken das körperlich besser weg. Aber meine 48-Jährige wollte das so, und ich muss sagen: Sie ist jung geblieben mit ihren Kindern und bekommt das alles ganz unspektakulär hin.“ Andere Frauen wollen sich erst beruflich etablieren: Durch lange Ausbildungszeiten, befristete Arbeitsverträge und niedrige Löhne wird die Familiengründung nicht gerade gefördert.

Sehnsucht nach der Oma

„Das ist ein Prozess, der nicht aufzuhalten ist“, sagt Gabriele Bartl vom sächsischen Berufsverband der Frauenärzte. Bei der Dresdner Gynäkologin ist jede zehnte Schwangere jenseits der 35. Je früher eine Frau ein Kind bekommt, desto besser, findet Gabriele Bartl. Nicht vorrangig aus gesundheitlichen Gründen, sondern „weil dann die gemeinsame Zeit länger ist – und meist gibt es noch eine Mutter und eine Großmutter, die eine Stütze sein können.“ Die älteren Schwangeren hätten das oft nicht mehr und suchten verstärkt Rat im Internet. „Dort schreiben aber meist die, bei denen etwas schiefgegangen ist. Das Ergebnis ist eine enorme Verunsicherung und ein pausenloses Nachdenken über mögliche Risiken. Die Patientinnen vertrauen dann uns Ärzten nicht, wenn wir sagen: Es geht in den meisten Fällen gut. Manchen Frauen wünsche ich schon eine Oma, die gelassener ist als sie.“

Almut Rudels Ärztin guckte sorgenvoll auf die beiden Herzen und empfahl, viel zu liegen. Ihre Hebamme hingegen rief: „Oh, schön, da wird das kein Einzelkind!“ „Das hat mir sehr geholfen“, sagt Almut Rudel. Sie wollte nicht krankgeschrieben werden, sondern möglichst lange arbeiten. Den Kindern schien es gut zu gehen, ihr selbst einigermaßen – und so stand sie bis Mitte April mit dickem Bauch vor der Kamera. „Die Arbeit hat mich abgelenkt“, sagt sie, abgelenkt von quälenden Fragen: Würde sie die Kinder behalten? Wie lange würden die Kinder im Bauch bleiben? „Beim ersten Kind war ich 22 und habe Sport studiert“, erzählt Almut Rudel. „Das ging alles so nebenher. Diesmal habe ich mich von Monat zu Monat laviert.“ Die Kollegen wollten von ihr wissen, wann sie nach der Babypause zurückkehren würde in ihren Job als Sportverantwortliche beim Sachsenspiegel. „Die Frage erschien mir wie von einem anderen Stern“, sagt Almut Rudel, „ich wollte nur gut durch die Schwangerschaft kommen und gesunde Kinder haben.“

Die hat sie seit dem 16. Mai. Die Babys kamen, wie die meisten Mehrlinge, per Kaiserschnitt zur Welt, knapp drei Wochen vor dem errechneten Termin. Jedes wog fast drei Kilo – ein gutes Gewicht für Zwillinge. Almut Rudel fühlt sich rundum erleichtert seitdem, nicht nur körperlich, auch seelisch. „Außerdem bin ich ja in einer sehr komfortablen Lage“, sagt sie, „mein Mann ist fast immer zu Hause und hilft mir mit den Kindern.“ Er ist der ruhende Pol, wickelt, füttert, schunkelt. Da kommt Alarmstimmung, wenn die Babys zeitgleich brüllen, nur selten auf. „Wir genießen die Babys bewusst“, sagt Almut Rudel. Ab September wird sie wieder im Fernsehen zu sehen sein: Sie moderiert eine Sendung zur Moritzburger Hengstparade. Klaus Rudel, der Große, wird dann „Chef des Familienunternehmens“.

Weiter in die Zukunft denken die Rudels derzeit nur selten. „Klar wird es passieren, dass die anderen Kinder Klara und Klaus fragen, warum sie immer nur von Opa oder Oma abgeholt werden“, sagt Almut Rudel, „das muss man eben wegstecken.“ Beide sind zuversichtlich, dass sie auch in zehn, fünfzehn Jahren gute, nervenstarke Eltern sein können – das ist für sie vor allem eine Frage der Persönlichkeit, nicht des Alters. „Ich habe mit meinem ersten Sohn viel Sport gemacht“, sagt Klaus Rudel. „Ihm vorgemacht, dass es wichtig ist im Leben, sich Ziele zu setzen und für diese zu arbeiten. Warum sollte ich das jetzt nicht auch können? Außerdem: Ich habe Lebenserfahrung, Ruhe. Das ist doch auch wichtig für ein Kind.“ Almut Rudel nickt. Sie will jetzt einen Fahrradanhänger für Kinder bestellen, damit die Familie irgendwann zusammen Radtouren machen kann.

Ein jähes Gebrüll zerreißt die Ruhe im Haus der Rudels. Klaus, der kleine Prinz, ist aufgewacht. Es ist fast 16 Uhr. Das lila Notizbuch liegt schon bereit.