Merken

Umzug ins Ungewisse

Weil das Bautzener Spreehotel als Asylheim ausgedient hat, müssen die Flüchtlinge das Haus verlassen. Gern gehen sie nicht.

Teilen
Folgen
NEU!
© Steffen Unger

Von Marleen Hollenbach

Bautzen. Sie müssen ausziehen. So viel ist klar. Ihre Sachen haben die Asylsuchenden schon gepackt. Wer eine Reisetasche oder sogar einen Koffer besitzt, hat sein Hab und Gut darin verstaut. Andere tragen große schwarze Plastiktüten aus den Zimmern des Spreehotels. Die Busse stehen schon vor dem Tor. In wenigen Minuten wird der Fahrer den Motor starten. Dann beginnt für die Geflüchteten vom Bautzener Asylheim die Reise. Doch wohin die Busse fahren, in welche Unterkunft die Männer und Frauen gebracht werden, an welchen Ort, all das wissen sie noch nicht.

Heimleiter Peter-Kilian Rausch sitzt in seinem kleinen Büro. Von hier aus kann er alles beobachten – die Geflüchteten, die nervös vor der Eingangstür der Unterkunft stehen, die vielen Polizisten, die still den Umzug überwachen. Vor genau drei Jahren hat Rausch die ersten Asylbewerber in seinem ehemaligen Viersternehotel begrüßt. Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass das Heim für ihn ein gutes Geschäft ist, aber auch immer wieder betont, dass er gern die viele Arbeit erledigt. Inzwischen gilt seine Unterkunft als Vorzeigeobjekt. Doch nun muss er sich von den meisten Bewohnern verabschieden. Weil immer weniger Flüchtlinge in die Region kommen, benötigt der Landkreis das Spreehotel nicht länger als Asylheim.

Einer, der gehen muss, ist Mohammad Al Sardy. Der Mann aus Palästina sitzt im Foyer des Hotels neben seiner Frau. Sie sei im achten Monat schwanger, hätte zudem gesundheitliche Probleme, sagt er. Ein Kind haben sie schon. Es ist in Bautzen geboren und schläft jetzt im Kinderwagen. Der Familienvater bedankt sich auf gebrochenem Deutsch für die viele Hilfe. Doch er macht sich auch Sorgen. Gern wäre er in Bautzen geblieben, dort, wo die Ärzte sind, die seiner Frau helfen können. Auch sei der Umzugsstress nicht gut für seine Familie. „Aber ich hoffe, dass wir an einen schönen Ort kommen“, sagt er.

Nader Abouhadayed hat schon Gewissheit. Der 25-Jährige trägt einen Rucksack auf dem Rücken. Gerade haben die Mitarbeiter vom Landratsamt ihm gesagt, dass er im ersten Bus nach Hoyerswerda fahren wird. Ein Schock für den Mann aus Gaza. Seit Monaten wohnt er im Spreehotel. In flüssigem Deutsch erzählt er von den Sprachkursen, die er besucht, davon, dass er in der Stadt bereits als Altenpfleger gearbeitet hat und von Freunden, die in Bautzen leben. Er will seinen Umzug nicht hinnehmen, sondern einen Antrag stellen, um bald nach Bautzen zurückkehren zu können. „Aber die Chancen sind schlecht, vielleicht zehn Prozent“, meint er.

Haus steht Geflüchteten weiter offen

Der junge Mann gehört zu den fast 170 Flüchtlingen, die bis Montag noch im Asylheim am Bautzener Stausee wohnten. Er musste gehen. Doch 40 Flüchtlinge können im Spreehotel bleiben. Es sind Bewohner der Unterkunft, die bereits anerkannt wurden, aber noch keine eigene Wohnung gefunden haben. Mit ihnen schließt Peter-Kilian Rausch nun einen Mietvertrag ab. Denn auch wenn viele Asylsuchende jetzt das Haus verlassen, wird das Gebäude den Geflüchteten weiterhin offen stehen. Das Spreehotel soll ein Integrationszentrum werden. Rausch und sein Team übernehmen von hier aus die soziale Betreuung der Geflüchteten.

Der erste Bus rollt vom Hof, vor ihm drei Polizeifahrzeuge. „Noch auffälliger geht es wohl nicht“, kommentiert Claudia Scheibe die Szenerie. Seit den frühen Morgenstunden hilft sie im Spreehotel den Flüchtlingen beim Packen, spricht ihnen Mut zu. Viel mehr kann sie nicht machen. „Ich weiß ja auch nicht wirklich, wo die restlichen Busse hinfahren“, sagt sie. Ein Mann kommt mit seinem Handy zu ihr. Gerade hat er erfahren, dass er nach Wehrsdorf gebracht werden soll. Auf dem Display seines Handys erscheint eine Karte. Claudia Scheibe tippt kurz darauf herum, gibt das Handy dann zurück. „Er wollte wissen, wo Wehrsdorf überhaupt liegt“, sagt sie. Keine zwei Meter weiter wartet ein Mann, der unbedingt in den Greenpark möchte. Tatsächlich sollen einige Flüchtlinge aus dem Spreehotel in Bautzens Asylheim an die Flinzstraße ziehen. Doch Claudia Scheibe denkt nicht, dass der Wunsch des Mannes in Erfüllung geht. „Heute sollen wohl keine Busse zum Greenpark fahren“, sagt sie.

Die Helferin behält recht. Wie das Landratsamt später mitteilt, wurden die Flüchtlinge am Montag auf Unterkünfte in Hoyerswerda, Wehrsdorf und Neukirch verteilt. Nach jetzigem Stand werden alle Asylbewerber, die am Mittwoch umziehen, im Stadtgebiet von Bautzen unterkommen. Bis zuletzt habe es Änderungen und Umplanungen gegeben, heißt es aus dem Landratsamt. Das sei auch der Grund, warum man die Asylbewerber nicht eher informieren konnte. „Grundsätzlich ist es aber so, dass bei Umzügen in andere Heime immer erst kurz vorher die neue Unterkunft mitgeteilt wird, um vor allem Unruhe untereinander zu vermeiden“, erklärt Frances Lein, Sprecherin vom Landratsamt.

Unruhig ist der Vormittag für Mohammad Al Sardy trotzdem. Vor zehn Minuten hat sich der erste Bus in Bewegung gesetzt, da fällt endlich auch sein Name. Die Mitarbeiter des Landratsamtes erklären ihm, dass er jetzt gleich mit Frau und Kind in die Neukircher Unterkunft umziehen wird. „Neukirch“, wiederholt der Familienvater vorsichtig. Den Ort hat er noch nie gehört. „Ich hoffe aber, dass es dort gut wird und dass es dort einen Arzt für meine Frau gibt“, sagt er.