Merken

Trauer um Zittauer Handchirurg

Dr. Hans-Jürgen Pollack war Arzt aus Leidenschaft. Selbst im Ruhestand hat er weiter operiert. Und er hatte noch Pläne.

Teilen
Folgen
NEU!
© Matthias Weber

Von Holger Gutte

Zittau/Oybin. Er hat unzähligen Menschen geholfen, Leben wieder lebenswert gemacht oder gerettet. Viele Unfallopfer können durch ihn wieder laufen, ihre Hände gebrauchen. Abgetrennte Gliedmaßen annähen, selbst schwerste Frakturen fixieren und deformierte Hände in Form bringen, war seine Berufung. Nun kann er es nicht mehr. Plötzlich und viel zu früh ist Zittaus Handchirurg Dr. Hans-Jürgen Pollack am 4. Juli zu Hause in Oybin gestorben.

Selbst mit 73 Jahren stand der Arzt aus Leidenschaft in diesem Jahr noch im MVZ in Neugersdorf bei Dr. Breuer im OP-Saal. Bis zuletzt war sein Fachwissen gefragt, schrieb er Gutachten für Schlichtungsstellen. „Er hatte noch so viele Pläne“, sagt seine Frau Dr. Barbara Pollack. An diesem Wochenende wollten sie in die Alpen in Urlaub fahren. Pollack liebte die Berge, vor allem die in seiner Heimat. Deshalb haben ihn nach der Wende auch keine anderen Krankenhäuser in Deutschland zu sich locken können. Auch die Fachtagung des „Handtages“ in Bad Düben im November dieses Jahres steht in seinem Terminkalender. Dr. Hans-Jürgen Pollack sollte hier das Hauptreferat halten. Und Ende des Jahres wollte der Handchirurg wieder nach Nepal.

Dort hat der Oybiner 2010 in knapp drei Monaten am Fuße des Himalaya etwa 200 Menschen in fünf Städten operiert. Wieder zurückgekehrt, sagte er über seine Arbeit dort: „Aus handchirurgischer Sicht war es die Herausforderung meines Lebens.“ Der Handchirurg mit internationalem Ruf und frühere Chefarzt am Zittauer Krankenhaus hat in einem Hospital der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu die erste Abteilung für seine Spezialdisziplin aufgebaut und Ärzte weitergebildet. „Gebt einem Hungernden statt einen Fisch eine Angel“, erklärte der Mediziner sein ehrenamtliches Engagement.

Biografie und Leistungen von Dr. Pollack (Auszüge)

1943: Geburt in Bautzen, Kinderjahre bei Gaußig verbracht

1955: Umzug nach Zittau

1961: Abitur in Zittau

1961 bis 1967: Studium der Medizin in Berlin und Sofia

1967 bis 1972: Facharztausbildung zum Chirurgen in Zittau

1971: Ausbildung zum Handchirurgen bei Prof. Matev (Sofia)

1974: Ernennung zum Oberarzt der chirurgischen Abteilung des Kreiskrankenhauses Zittau

1980: Leiter Abteilung Traumatologie und Handchirurgie Zittau

1990: Chefarzt der Abteilung Traumatologie in Zittau (baut erste selbstständige Klinik für Unfall- und Handchirurgie Sachsens auf und wird deren Chefarzt)

1996: Wahl zum Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie in Zürich

Dezember 2008: Verabschiedung in den Ruhestand

Hospitationen: verschiedene, unter anderem in Poznan

Doktorarbeiten: fünf Promotionen betreut

Vorträge: allein bis Dezember 2008 in seiner Zeit am Krankenhaus über 200 in zwölf Ländern

Publikationen: 18 (mit teils wegweisenden Erkenntnissen)

Übersetzung: „Rehabilitation der Hand“ aus dem Bulgarischen

Entwicklungen: verschiedene Instrumente und Fixateure (oft mit Firma „Deutschmann“), die zum Teil noch heute international vertrieben werden

1 / 17

„Als er nach Nepal flog, hatte er kaum Kleidung im Koffer. Der war dafür voll mit medizinischen Instrumenten“, erzählt seine Frau. Wochenlang hatte der Spezialist vorher bei Kollegen um Spenden von ausrangierten Instrumenten geworben. „Bei seiner zweiten Reise 2014 dorthin hat er sich riesig gefreut, als er die Instrumente noch in den Schränken liegen sah“, schildert sie. Weil er weiter helfen wollte, hat er immer wieder Vorträge über Nepal und seine Arbeit dort gehalten. Ende des Jahres wollte er die nächste Spende übergeben. „Wir geben das Geld nun einem Bekannten mit, der dorthin fliegt“, sagt Frau Pollack.

Auch am Dienstag haben wieder Trauerbriefe in ihrem Briefkasten gelegen. Viele stammen von ehemaligen Patienten, die der Familie herzliches Beileid wünschen und ihrem Handchirurgen auf diese Weise ein letztes Mal danken wollen.

Wie vielen Menschen er wohl geholfen hat? Hans-Jürgen Pollack wird es selbst nicht gewusst haben. Auf solche Statistiken hat er schon zu seiner Zeit als Chefarzt der Unfall- und Handchirurgie am Zittauer Krankenhaus keinen Wert gelegt. Der Oybiner Handspezialist war immer ein Praktiker. Sein Fachwissen in der Handchirurgie hat ihn schon zu DDR-Zeiten international bekannt gemacht. Und er ist sich dabei immer treu geblieben. So schlug er weit vor der Wende eine Stellung am renommierten Klinikum Buch in Berlin aus, weil er kein SED-Mitglied werden wollte. Mit unorthodoxen Methoden organisierte er dafür modernste Technik für das Krankenhaus in Zittau. Nicht umsonst wurden damals Patienten – darunter Prominente – zur Behandlung nach Zittau geflogen.

Dr. Pollack hat wegweisende Erkenntnisse gewonnen und publiziert. Viele Mediziner sind von ihm ausgebildet worden. Nach seiner Arbeit im OP-Saal hat er zu Hause Instrumente und Fixateure ersonnen. 1989 wurde ihm sogar ein Patent für Minifixateure zuerkannt. Gleich nach der Wende hat er im Zittauer Krankenhaus die erste selbstständige Klinik für Unfall- und Handchirurgie Sachsens aufgebaut und wurde deren Chefarzt. Zwar im Dezember 2008 in den Ruhestand entlassen, blieb er trotzdem Handchirurg auf Lebenszeit. Dafür und für sein ehrenamtliches Engagement ist Dr. Hans-Jürgen Pollack im September 2014 sogar von Bundespräsiden Joachim Gauck in dessen Berliner Amtssitz gewürdigt worden. „Darüber hat er sich noch mal sehr gefreut“, sagt seine Frau. Und er hätte so gern weiter gemacht.

Die Trauerfeier findet am 23. Juli, um 11 Uhr, in der Bergkirche Oybin statt. Anstelle von eventuell zugedachten Blumen oder Kränzen bittet Frau Pollack um eine Spende für die medizinische Versorgung der Erdbebenopfer in Nepal. „Das wäre in seinem Sinne“, sagt sie.