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Total beschrankt

Familie Winkler in Rothschönberg im Landkreis Meißen hat Probleme, in ihr Haus zu kommen. Schuld daran ist eine Bahnschranke.

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© Claudia Hübschmann

Von Udo Lemke

Rothschönberg. Familie Winkler wohnt in Rothschönberg am Kottewitzer Berg. Der Name lässt eine Aussicht vermuten, und so ist es auch – es bietet sich ein wunderbarer Blick über gelbe Rapsfelder, grüne Wiesen und weiße Obstbäume. Ein schönes Grundstück. Allerdings wissen die Winklers nie, ob und wann sie hinkommen.

Früher konnte sie in Miltitz anrufen, dann wurde die Schranke schneller geöffnet. Das geht seit der Privatisierung der Bahnstrecke nicht mehr.
Früher konnte sie in Miltitz anrufen, dann wurde die Schranke schneller geöffnet. Das geht seit der Privatisierung der Bahnstrecke nicht mehr. © Claudia Hübschmann
Ein Feldhase macht das Beste für sich aus dem ausgedünnten Verkehr.
Ein Feldhase macht das Beste für sich aus dem ausgedünnten Verkehr. © Claudia Hübschmann

Der Grund ist die Schranke, die hundert Meter unterhalb ihres Hauses die Straße versperrt. Mit ihr haben die Winklers so ihre Probleme, und die kommen daher, dass die Bahnstrecke von Meißen nach Nossen verpachtet worden ist. „Es war schon immer eine Anrufschranke“, erzählt Karin Winkler. Als die Strecke noch von der Deutschen Bahn betrieben worden ist, konnte man die Sprechanlage betätigen und es meldete sich ein Bahnmitarbeiter in Miltitz. „Dem haben wir gesagt, wenn ein Zug durch war, und er hat die Schranke wieder geöffnet.“

Das geht nun nicht mehr, denn jetzt betreibt die Nossen-Riesaer Eisenbahn-Compagnie GmbH, kurz NRE, die Strecke. Die hat Schilder mit der Aufschrift „Sprechstelle außer Betrieb“ aufgestellt. Denn in Miltitz sitzt nun niemand mehr ständig an der Sprechanlage. Und den Vorschlag, die Schranke per Kontakt zu schließen, wenn ein Zug sich nähert und wieder zu öffnen, wenn er vorbeigefahren ist, so wie es vor dem Nossener Ortsteil Mergenthal funktioniert, wurde von der Deutsche Bahn Netz AG abgelehnt, so Karin Winkler.

„Früher waren die Züge ziemlich schnell, jetzt schleichen sie so dahin“, sagt sie. Ihr Mann Klaus weiß auch warum: „Das Neueste ist, dass ein Mann in Miltitz per Fernsteuerung die Schranke hier in Rothschönberg schließt, ins Auto steigt und bis nach Deutschenbora fährt. Wenn der Zug dort angekommen ist, öffnet er die Schranke hier wieder.“ Und Karin Winkler ergänzt: „Weil das Auto nicht hinterherkommt, bummeln die jetzt auf der Strecke rum.“ „Heute Morgen“, sagt Klaus Winkler, „haben wir wieder eine halbe Stunde gewartet, dabei waren höchstens zwanzig Minuten Wartezeit versprochen.“

Ruft man die Nummer auf dem Schild mit dem Hinweis, dass die Sprechstelle außer Betrieb ist, trotzdem an, dann meldet sich eine Dame von der NRE, sie bestätigt. „Wir fahren mit dem Auto hinter dem Zug her.“ Und was die Zeit betrifft, wie lange die Schranke in Rothschönberg geschlossen ist, erklärt sie: „Eine halbe Stunde muss man einrechnen.“

Warum sich keine Schleifen zum Schließen und Öffnen der Schranke so wie in Mergenthal einbauen lassen, lautet die Frage an Steffen Henkel von der Dresdner Niederlassung des Eisenbahn Bundesamtes. Weil man „nicht einfach einen Schalter aus dem Baumarkt holen kann, Schranke ist nicht gleich Schranke“. Ein solcher Einbau wäre ziemlich aufwendig, sagt er. Außerdem würde es nur wenige Anlieger betreffen. Und dann erklärt er, dass das Eisenbahn Bundesamt nicht mehr die Aufsichtsbehörde ist, sondern das Land Sachsen, weil die Strecke ja an die NRE verpachtet worden ist. Eigentümer der Strecke ist allerdings nach wie vor die Deutsche Bahn Netz AG.

Gestern hat die SZ die Probe aufs Exempel gemacht und den Schrankenbetrieb beobachtet. Um 10.05 Uhr schlossen sich die beiden rot-weißen Metallstangen. Um 10.15 Uhr näherte sich ein Zug. „Es fahren nur noch Tankzüge und ab und zu eine Dampflok“, erklärt Karin Winkler. Die Tankzüge fahren von Meißen zum großen Tanklager Deutschenbora bzw. umgekehrt. Die dunkelgrauen Kesselwagen rumpeln gemächlich vorüber, gezogen von einer grünen Lok, und am Ende beschließt eine ebensolche Lok den Zug.

Das ist aufgrund der großen Steigung der Bahnstrecke notwendig. Der längste Zug habe 22 Wagen gehabt, sagt Klaus Winkler. Der aktuelle ist vorüber und hatte sogar 24 Wagen. Nun beginnt das Warten aufs Neue. Gegenüber steht ein SUV, er gehört dem Betreiber des Holzlagers, dass sich ganz oben auf dem Kottewitzer Berg befindet. Irgendwann verliert er die Geduld, wendet und fährt den Umweg über das Buschhaus nach Kottewitz. Dann ist es 10.24 Uhr, und die Schranke öffnet sich – 21 Minuten sind vergangen.

Den Winklers wäre es am liebsten, wenn sie die alte Anrufschranke wieder hätten. Oder aber eine automatisch über Schleifen im Boden betriebene. Für den Anfang würde Ihnen auch ein Fahrplan der Züge genügen. Aber den gibt es wohl nicht, gefahren wird ja nach Bedarf. Aber auch das müsste sich im digitalen Zeitalter eigentlich lösen lassen. Ob es ein Hoffnungszeichen war, dass sich auf den verwaisten Gleisen einer der mittlerweile selten gewordenen Feldhasen zeigte, muss abgewartet werden.