Merken

Tödlicher Unfall im Regen

Ein 18-Jähriger fährt in Grumbach mit seinem Golf eine Rentnerin tot. Bestraft wird er dafür nicht.

Teilen
Folgen
© Roland Halkasch

Von Annett Heyse

Dippoldiswalde. Fast ein Jahr hat er Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Und immer wieder kommen die Erinnerungen hoch: die Dunkelheit, die nasse Fahrbahn, der gegen die Windschutzscheibe prasselnde Regen, die sich spiegelnden Lichter. Und dann plötzlich ein Gegenstand vor ihm und ein Knall. „Ich dachte im ersten Augenblick an die Speichen eines Rades“, erinnert sich der Fahranfänger vor Gericht an den Regenschirm, der durch die Luft flog. Erst als er aus dem Auto ausstieg und die Frau auf dem Asphalt liegen sah, wurde ihm klar, dass er einen Menschen umgefahren hatte. Die Frau starb noch am Unfallort, der Wilsdruffer Straße in Grumbach. Das war in den Abendstunden des 22. Februar 2016. Nun musste sich der damals 18-Jährige wegen fahrlässiger Tötung vor dem Amtsgericht Dippoldiswalde verantworten.

Es war gegen 19.15 Uhr, als er und ein Freund im Golf des jungen Mannes in Richtung Wilsdruff unterwegs waren. Kurz zuvor waren sie in einem nahe gelegenem Wohngebiet gestartet und auf die Wilsdruffer Straße eingebogen. Zur gleichen Zeit ist eine Rentnerin dort unterwegs. Sie kommt aus dem Mühlweg und überquert bei strömendem Regen die Wilsdruffer Straße. „Ich habe die Fußgängerin nicht gesehen, es waren schlechte Sichtverhältnisse, die Scheibenwischer schafften es kaum“, rechtfertigt sich der Angeklagte vor Gericht. Dennoch, so ist sich der Unfallgutachter sicher, muss er zu diesem Zeitpunkt mit mindestens 57  Kilometern pro Stunde unterwegs gewesen sein – erlaubt sind dort 50 km/h.

Er macht nicht den Eindruck eines Rowdys. Die Betreuerin von der Jugendgerichtshilfe beschreibt den Wilsdruffer als einen reifen, höflichen jungen Mann. Zwar habe er als Schüler Probleme gehabt, war wegen Lernschwierigkeiten in einer Förderschule untergebracht. Aber er habe ein stabiles soziales Umfeld, wohne noch zu Hause bei den Eltern und werde demnächst seine Tischlerlehre beenden. Der Anwalt des Angeklagten verweist darauf, dass der Unfall seinem Mandanten extrem leidtue. „Er nimmt sich das sehr zu Herzen und denkt viel darüber nach.“ Der Angeklagte selbst äußert, dass es ihn sehr belaste, einen Menschen umgefahren zu haben. „Ich war fertig.“

Vor Gericht schildert er mehrmals die Situation. Der Regenschirm, der plötzlich gegen die Windschutzscheibe fliegt, dann der Knall. „Alles ging so schnell, ich konnte nur noch bremsen und nach links lenken.“ Und nein, er habe wirklich nichts gesehen, keinen Menschen kurz davor auf der Fahrbahn. „Ich hörte nur den Knall.“

Der Gutachter hat sich intensiv mit dem Unfall befasst und genau berechnet, was passiert sein muss. Demnach betrat die 77-Jährige die Straße, als der Golf 40 Meter von ihr entfernt ist. Ob sie glaubte, es noch zu schaffen oder der Regenschirm ihr die Sicht versperrte und sie das Auto schlichtweg übersah, ist unklar. Fakt ist, dass sie sehr langsam ging oder im Augenblick des Zusammenpralls sogar auf der Fahrbahn stand. Wollte sie doch noch warten? War sie überrascht, erschrocken? Unklar. Jugendrichter Xavier Seitz schließt daraus, dass die Passantin eine Mitschuld an dem Unfall trägt. Auch sie habe nicht umsichtig gehandelt.

Bleibt die Frage um die leicht überhöhte Geschwindigkeit im Raum stehen. Hätte der Fahrer des Golfs in 30 Meter Entfernung bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h die Fußgängerin, die eine dunkle Jacke und eine graue Hose trug, wahrgenommen und sofort eine Vollbremsung gemacht, wäre es bei acht Kilometern pro Stunde zum Aufprall gekommen. So hat es der Gutachter ausgerechnet. Die Frau wäre damit höchstwahrscheinlich noch am Leben.

Der Richter stellt schließlich das Verfahren wegen geringer Schuld gegen eine Auflage ein. Der Angeklagte muss 600 Euro an die Staatskasse zahlen. Damit kann er zumindest aus juristischer Sicht einen Haken an den Unfall machen. Die Bilder im Kopf von der regennassen Straße, dem Blaulicht der Rettungswagen, den Reanimationsversuchen der Helfer – die werden wohl noch lange bleiben.