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Todesurteil für Weihnachtsgänse

In Radebeul müssen die Tiere wegen der Vogelgrippe in den Stall. Doch das bekommt vielen von ihnen nicht.

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© dpa

Von Peter Anderson, Jürgen Müller, Peter Redlich und Sven Görner

Radebeul. Die gut 40 Enten und Gänse zupfen fröhlich am Grün auf der Wiese an der Radebeuler Fabrikstraße. Immer in den Wochen vor Weihnachten zieht Gärtnermeister Karl-Otto Große Federvieh groß, als Zuverdienst. Es gibt Futter von der eigenen Ernte. Den Tieren geht es gut. Dass es jetzt auch im Kreis Meißen ab diesem Donnerstag eine Stallpflicht gibt, davon weiß der Landwirt noch nichts. Der Anruf beim Veterinäramt bestätigt ihm allerdings die unangenehme Nachricht. „Jetzt muss ich die Gänse auch tagsüber ins Gewächshaus bringen“, sagt er. Dort sei Platz. Nachts hat er sie ohnehin schon immer reingebracht – damit sie der Fuchs nicht holt.

Werden zusammengepfercht: Die Meißner Tierparkmitarbeiterin Stefanie Hiller schließt das Gatter der Voliere, in der die Brahma-Hühner nun eingesperrt sind.
Werden zusammengepfercht: Die Meißner Tierparkmitarbeiterin Stefanie Hiller schließt das Gatter der Voliere, in der die Brahma-Hühner nun eingesperrt sind. © Claudia Hübschmann

Noch größere Probleme wird der Meißner Geflügelzüchter und Chef des Meißner Tierparks Heiko Drechsler bekommen. Rund 200 Stück Rassegeflügel müssen unter Dach und Fach gebracht werden. Dies ist wörtlich zu nehmen. Die Tiere dürfen nicht länger im Freien leben, um die Vogelgrippe-Ansteckungsgefahr zu minimieren. Mit der sogenannten Stallpflicht möchten die Behörden einen Kontakt zu infizierten Wildvögeln möglichst ausschließen. In der gestern auf der Internetseite des Landratsamts Meißen veröffentlichten sogenannten Allgemeinverfügung der Landesdirektion Dresden heißt es: „Es ist zu befürchten, dass es durch infizierte Wildvögel zu einer Einschleppung in die Geflügelbestände des Freistaats Sachsen kommt, da es sich bei diesem Erreger um einen hochansteckenden Typ handelt.“

Für Tiere und Halter sind die Folgen der Stallpflicht dramatisch. „In geschlossenen Ställen herrscht eine hohe Luftfeuchte, es gibt keine Möglichkeit mehr zum Baden. Dadurch steigt die Anfälligkeit für Pilzbefall. Krankheitskeime haben ein ideales Klima, um sich vermehren“, sagt Heiko Drechsler. Sollte die Stallpflicht tatsächlich bis Silvester gelten, hat er große Angst um seinen Bestand. Darunter befinden sich etliche bei deutschen Meisterschaften preisgekrönte Exemplare. Hinzu kommt: Sollten die Tiere Anfang 2017 wieder ins Freie dürfen, ist ihr Immunsystem so geschwächt, dass sie selbst für sonst harmlose Krankheiten anfällig sind.

Nicht anders als dem Hobby-Züchter ergeht es professionellen Haltern von als Weihnachtsbraten vorgesehenen Gänsen, Puten und Enten. Auch ihnen fehlen oft die Räumlichkeiten, um Tausende Stück Federvieh in Ställen unterzubringen. Damit gerät der frische Weihnachtsbraten in Gefahr. In einigen Fällen könnte es nötig werden, die Tiere bereits Wochen vor dem Fest zu schlachten und einzufrieren, solange sie nicht von der Stallluft angegriffen sind.

Heiko Drechsler erhebt vor diesem Hintergrund schwere Vorwürfe gegen die Politik. Seiner Ansicht nach wird Panikmache betrieben. Für den aktuell umgehenden Vogelgrippevirus in der Variante H5N8 ist nicht bekannt, dass er auf den Menschen übertragbar ist. Sich über infizierte Lebensmittel anzustecken, ist dem Bundesinstitut für Risikobewertung zufolge unwahrscheinlich. Drechsler, der gelernter Tierpfleger ist, empfiehlt deshalb Thüringen als Vorbild. „Dort wurde die Stallpflicht auf Risikogebiete beschränkt. In allen anderen Gegenden traut die Regierung den Züchtern den nötigen Fachverstand zu, selbst verantwortungsbewusst für ihre Tiere zu sorgen“, sagt Drechsler.

Nordwestlich von Meißen, im Elbetierpark Hebelei der Gemeinde Diera-Zehren, bildet die Vogelgrippe nur das negative i-Tüpfelchen auf einem verkorksten Herbst. Betreiber Sven Näther und seine Mitarbeiter müssen jetzt 82 Tiere – Störche, Kraniche, Enten, Gänse – einsperren. Ein Teil soll im Wirtschaftshof untergebracht werden. „Wenn es sich um drei, vier Wochen handeln würde, wäre das eine gute Lösung. So aber wissen wir nicht, wie lange die Stallpflicht gilt. Deshalb wollen wir eine Möglichkeit schaffen, damit die Tiere zwar keinen Kontakt mit Wildvögeln haben, dennoch aber an der frischen Luft sind und von den Besuchern gesehen werden können“, so Näther. Diese Lösung soll so aussehen, dass Notfallquartiere gebaut werden. Dort haben die Tiere ein Dach über dem Kopf und sind durch einen Zaun vom Kontakt mit den Wildvögeln geschützt.

Knackpunkt sind die Kosten. „Wir haben eine Spendenaktion gestartet. Vielleicht hat der eine oder andere noch Kaninchendraht oder Ähnliches zu Hause“, hofft Näther, der die Stallpflicht für übertrieben und überflüssig hält. Im vergangenen Jahr seien in Mecklenburg-Vorpommern Tiere infiziert worden, die im Stall waren und überhaupt keinen Kontakt mit Wildvögeln hatten. „Die meisten Vogelgrippefälle gibt es in geschlossenen Ställen. Es muss also noch andere Übertragungswege geben“, schlussfolgert er.

Rüdiger Juffa, der Leiter des Wildgeheges Moritzburg, hatte gestern noch keine Information vom Landkreis. Allerdings gibt es in seiner Anlage auch nur noch wenige Vögel: drei Uhus, fünf Fasane und zwei Rebhühner. „Und die leben alle in Volieren, die zur Hälfte überdacht sind.“