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Tierrettung am Rande der Belastbarkeit

Das richtige Futter und gute Pflege: Tierrettungsstationen leisten in Sachsen oftmals Schwerstarbeit. Denn immer mehr Tiere brauchen Hilfe, darunter viele Jungvögel.

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© dpa

Von Katrin Mädler

Bad Elster. Die jährliche Bestandsaufnahme für 2017 verheißt nichts Gutes: Einige Brutvogelarten gehen in verschiedenen Regionen Sachsens stark zurück. „Die Brutkolonien der Mehlschwalben sanken bei uns in diesem Jahr um 80 Prozent, das Wintergoldhähnchen um 60 Prozent, der Mauersegler um 40 Prozent“, berichtet Michael Künzel vom Naturpark Erzgebirge-Vogtland in Muldenhammer. Über die Ursachen kann Künzel nur spekulieren: „Wir wissen nicht, wie es mit dem Vogelbestand weitergeht und wer Schuld ist.“ Sorgen macht ihm auch der Turmfalke: „Die Eierschalen sind brüchig und dünn geworden, setzt sich der Vogel zum Brüten drauf, zerbrechen sie.“

Ein ähnliches Bild zeichnet Corinna Heinrich von der Vogel- und Igelpflegestation in Bad Elster (Vogtland). Im Moment ist Jungvogelzeit. „Es ist dramatisch, viele Jungvögel sind in einem geschwächten Zustand. Die Altvögel scheinen Probleme zu haben, sie mit genügend Insekten zu versorgen“, meint die 43-Jährige. Wer einen verletzten Jungvogel findet und aus Westsachsen kommt, landet oft bei ihr.

Heinrichs Station lebt von Spenden. Zwischen Chemnitz und Oberfranken nimmt sie Igel, Eichhörnchen und Vögel auf, die in ihrer privat geführten Station wieder aufgepäppelt werden - fast 400 Tiere im Jahr. Ein weiteres Problem: Kinder holen junge Vögel aus Nistkästen, um mit ihnen zu spielen oder sie gar selbst aufzuziehen. Insgesamt 34 Nestlinge, darunter Kohlmeisen, kamen so in die Station.

„Eltern und Schulen müssten den Kindern mehr über einheimische Wildtiere beibringen und wie man sich zu verhalten hat. Oft wurden die Jungvögel mit Haferflocken oder Apfelmus gefüttert, was sie nicht vertragen“, berichtet Heinrich. Wenn sie in die Station kommen, ist es manchmal schon zu spät.

Laut Hellmut Naderer vom Vorstand des Naturschutzbundes (NABU) Sachsen ist die Untere Naturschutzbehörde des jeweiligen Landkreises verantwortlich, wenn verletzte oder geschwächte Wildvögel gefunden werden. Doch die ist nicht rund um die Uhr erreichbar - im Gegensatz zu den privaten Pflegestationen. „Was dort ehrenamtlich geleistet wird, ist unvorstellbar“, sagt Naderer.

Hauptberuflich ist Heinrich Buchhalterin. In dieser Jahreszeit kommen täglich neue Zugänge in ihre Pflegestation. Nachts ist alle zwei Stunden Fütterung. Sind die Tiere stark genug, werden sie sofort wieder ausgewildert. Eine Zwickauer Pflegestelle hat in diesem Jahr aufgegeben. Als Grund nennt Heinrich die enormen Kosten für Spezialfutter und Tierarzt: „Viele Menschen haben wenig Verständnis, versuchen die Tiere erst selbst aufzuziehen und richten viel Schaden an oder erwarten, dass wir die Tiere vor Ort noch abholen.“

Schon bald kommt die Zeit der Igelbabys. Rund 90 Igel, deren Mütter meistens überfahren wurden oder unterernährt sind, päppelt Heinrich jedes Jahr auf. „Was wird mit denen, wenn ich aufhöre?“, fragt sich die Tierschützerin. Die nächsten Aufnahmestellen befinden sich in Leipzig und Dresden.

Nach den Worten von Naderer sind heimische Tiere und Pflanzen seit Jahren auf dem Rückzug. Die intensive Landwirtschaft sieht er als Hauptgrund: Monokulturen und ein hoher Pestizid-Einsatz: „Der Prozess ist schleichend, aber enorm. Ändert sich die Agrarpolitik nicht, sehen wir irgendwann eine grüne Landschaft, aber kaum Insekten und Vögel.“ Heinrich ergänzt: „Viele denken, schwache Vögel am Weg sollte man der Natur überlassen. Aber der Mensch greift massiv in die Natur ein - jetzt braucht sie Hilfe.“ (dpa)