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Tatort Schule

Über 80 Straftaten wurden 2015 an Schulen im Landkreis Meißen registriert. Die Gewalt findet längst auch im Internet statt.

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© Akademie Bruderhilfe-Familienfürsorge/dpa/gms

Von Dominique Bielmeier und Maria Fricke

Meißen. Mit ein paar frechen Worten fängt es meist an, dann folgt ein kleiner Schubs und am Ende gibt es eine ausgewachsene Schulhof-Keilerei, wie Prügel zwischen Schülern fast liebevoll genannt werden. An der Oberschule in Ebersbach gerieten Ende August 2016 ein 14-jähriger unbegleiteter Asylbewerber und ein etwa gleichaltriger deutscher Schüler aneinander. Der junge Iraker nahm den Mitschüler in den Schwitzkasten, der rief daraufhin die Polizei. Verletzt wurde niemand. Im Februar kam es an der Schule zu einem weiteren Vorfall. Wieder waren ein junger Iraker und derselbe deutsche Schüler wie beim ersten Mal beteiligt. Eine Lehrerin musste die Polizei rufen. Auch an der Meißner Pestalozzi-Oberschule gab es schon Handgreiflichkeiten: Ende Oktober gerieten deutsche und syrische Kinder auf dem Rückweg vom Sportunterricht in Streit, es soll ein Messer gezogen worden sein. Die Aussagen der Akteure widersprechen sich teilweise, bis auf eine kleine Schürfwunde gab es keine Verletzungen.

Gewaltstraftaten an Schulen und Schulhöfen in Sachsen
Gewaltstraftaten an Schulen und Schulhöfen in Sachsen © SZ-Grafik

Drei Beispiele, die eines gemeinsam haben: Weil in allen Fällen die Polizei gerufen wurde, haben es die Auseinandersetzungen in die Statistik geschafft. Diese erfasst das Thema Gewalt an Schulen zwar nicht gesondert, eine Anfrage beim sächsischen Landeskriminalamt (LKA) ergibt jedoch trotzdem Zahlen dazu (siehe Tabelle).

So wurden im Jahr 2015 (die Auswertung für 2016 soll erst Mitte des Jahres fertig werden) insgesamt 1 158 Fälle von Gewaltstraftaten an Schulen und auf Schulhöfen registriert. Davon entfielen die meisten auf die Stadt Leipzig (188), gefolgt von Dresden (164) – wo es mehr Schüler gibt, kommt es auch zu mehr Gewalt. „Gewalt“ umfasst dabei eine Spanne von der Androhung von Straftaten, über Sachbeschädigung und Brandstiftung, Raub und Erpressung bis zu Straftaten gegen die persönliche Freiheit, sexuelle Selbstbestimmung und sogar gegen das Leben. Auch die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung können darunter fallen.

Gewalt sogar an Grundschulen

Im Kreis Meißen wurden 82 Fälle registriert, acht mehr als 2014. Verglichen mit den Vorjahreswerten, die in manchen Regionen höher lagen, in anderen niedriger, ist noch kein Trend erkennbar. Die Antwort von Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) auf eine parlamentarische Anfrage ergab im Dezember jedoch ein anderes Bild: So wurden im Schuljahr 2015/2016 in den Schulen sowie auf dem Schulgelände nach ihrer Aussage 3 832 Straftaten erfasst, über 400 Fälle mehr als 2014/2015.

Davon passierten die meisten an Oberschulen (1 081), gefolgt von Förder- und Freien Schulen (638), Grundschulen (535), Gymnasien (429) und Berufsschulen (327). Auf Schulhöfen wurden 822 Straftaten verübt. Laut Kultusministerium waren die häufigsten Delikte Körperverletzung, Diebstahl und Sachbeschädigung.

Für die Schulen ist Gewalt, in welcher Form auch immer, eine große Herausforderung, wie Susann Meerheim, Referentin am Kultusministerium, deutlich macht. „Gewalt an Schulen ist kein Kavaliersdelikt, sondern muss hart bestraft werden.“ Damit es erst gar nicht dazu komme, müsse an den Einrichtungen intensive Präventionsarbeit geleistet werden. Aber: „Schule ist keine Reparaturwerkstatt. Sie kann nicht allein die gesellschaftlichen und familiären Probleme lösen. Die größte Prägung von Kindern erfolgt durch das Elternhaus“, so Meerheim.

Schüler, die aus prekären familiären Verhältnissen kommen, so schätzt Leonhard Kühlewind, Sprecher des Landesschülerrats Sachsen, seien häufiger an Gewalttaten beteiligt. Der Rat führt zu Gewalt an Schulen zwar keine Statistik, nach Ansicht von Kühlewind kommen „Beleidigungen und Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz subjektiv häufiger als Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit“ vor.

Schulleiter sind beim Thema zurückhaltend

Um gegenzusteuern, sagt auch der Schülervertreter, sei die Schulsozialarbeit sehr wichtig. „Sie ist für die Umsetzung von Inklusion, den Umgang der Schülerinnen und Schüler mit dem steigenden Leistungsdruck und mit Mobbing unabdinglich.“ Auch Besuche des Präventionsteams der Polizeidirektionen hält er für sinnvoll.

So führt die Polizei an sächsischen Schulen laut Auskunft von LKA-Sprecher Tom Bernhardt in den Klassenstufen 5 und 6 sowie 8 und 9 Präventionsveranstaltungen zum Thema Gewalt durch. Bei diesen geht es zum Beispiel darum, sich in das Opfer hineinzuversetzen oder Gefährdungssituationen zu erkennen und zu vermeiden.

Auch die befragten Schulen bestätigen, dass sie solche Veranstaltungen anbieten, zum Beispiel am Radebeuler Lößnitzgymnasium oder am Franziskaneum. Am Meißner Gymnasium widmete sich die Lehrerschaft vor Kurzem bei einem pädagogischen Tag der Internetkriminalität. „Das Thema ist bei Eltern wie Kindern gleichermaßen nachgefragt“, sagt der stellvertretende Schulleiter Jens Laetsch.

Auch an der Meißner Triebischtalschule wird das Thema Cyberkriminalität immer wichtiger. Im nächsten Schuljahr soll es ein größeres Projekt dazu an der Oberschule geben, in der Stadt habe bereits eine Konferenz dazu stattgefunden. Direktorin Steffi Wenzel ist die einzige der befragten Schulleiterinnen, die offen zugibt, dass es auf dem Schulhof schon mal zu Rangeleien kommt. „Natürlich gibt es das“, so Wenzel. „Aber meist reicht ein Gespräch und man kann diese Dinge klären.“ Seit sie Schulleiterin ist, habe die Polizei deshalb noch nicht gerufen werden müssen.

Die wird heute ohnehin häufiger alarmiert als noch vor 20 oder 30 Jahren, wie Polizeisprecherin Jana Ulbricht sagt. „Früher hat man Vieles direkt mit den Eltern, Lehrern oder dem Direktor geklärt.“