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Tank Men gegen Statement

Für gute Fotos von der Installation „Made in China“ von Fernando Sánchez Castillo in Dresden muss man sich auf den Bauch legen. Viele der Tank Men-Figuren sind nach fünf Monaten in alle Winde verstreut - dafür füllen Post-Its die Museumswand.

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© dpa

Simona Block

Dresden. Zwischen Sauriern und Wiener Heldenplatz: Fernando Sánchez Castillos Tank Men-Figuren aus dessen Installation „Made in China“ im Dresdner Albertinum kommen herum in der Welt. Seine Armee aus 5 000 winzigen jadegrünen Plastikmännchen ist seit Mitte August um etwa 1 500 Mann geschrumpft, schätzt der spanische Künstler am Ende seines sechsmonatigen Aufenthalts in Sachsens Landeshauptstadt. Dafür haben Hunderte Besucher ihre Gedanken zu Menschenrechten und Demokratie auf Post-Its im Mosaiksaal hinterlassen und Fotos von ihren Tank Men in neuer Umgebung gemailt oder bei Facebook gepostet.

Die Palette der Meinungsäußerungen reicht vom simplen „Danke!“ oder Liebesbekenntnissen über philosophische Betrachtungen zur Freiheit sowie Aufrufen zu Frieden und Demokratie bis zu Appellen gegen Gewalt und Rassismus - in Deutsch, Englisch, Französisch, Tschechisch, Polnisch, Arabisch oder Chinesisch. Auf der Facebook-Seite des Albertinums gehen zugleich immer neue Schnappschüsse von Tank Men ein - auf Möbeln stehend oder liebevoll arrangiert zwischen Teelichtern, Fotos, geschnitzten „Freunden“ aus dem Erzgebirge, grünem Klee in einer Wiese und Äpfeln im Kühlschrank.

Bei Monika steht der Tank Men etwa auf dem Schachbrett zwischen den Fronten, der kleine Emil lässt ihn zwischen seinen Lieblingstieren - Krokodilen und Dinos - hin und her wandern, wie seine Eltern zu den Beweisfotos posteten. Ein Sechsjähriger hat Fotos geschickt von seinem Spielteppich „mit dem tankman wie er die katzen retet“, andere nahmen die Figur mit auf Reisen: zum Wiener Heldenplatz oder auf den Balkon der Prager Botschaft. Und der Tank Men stellte sich auch schon dem Strom einer Pegida-Demonstration in Dresden entgegen, wie Sánchez Castillo berichtet.

Auch die knapp zwei Meter hohe Wand in Sichtweite der Installation zu Füßen der Statuen von Lessing, Goethe und Schiller ist inzwischen auf sieben Metern Länge mit Post-Its bedeckt. Sie werden gesammelt und bleiben im Museum, wie Martina de Maizière, Vorstand der Stiftung Kunst & Musik für Dresden sagt. „Wir überlegen, ob wir daraus auch ein Buch machen könnten.“ Die 2013 gegründete Stiftung machte Sànchez Castillo zu ihrem ersten Stipendiaten und finanzierte ihm seit Juli 2015 den Aufenthalt in der Elbestadt.

Der Gegenentwurf zum klassischen Denkmal und seine Aufforderung zu Zivilcourage ist seit August in dem Museum „stationiert“. Die neun Zentimeter großen Plastikmännchen werden nach dem von ihm entworfenen 3-D-Modell in einer chinesischen Spielzeugfabrik hergestellt. Als Vorlage diente eine Fotografie des als „Tank Men“ bekanntgewordenen anonymen jungen Mannes, der sich 1989 beim Aufstand am Platz des Himmlischen Friedens in Peking den Panzern entgegenstellte - mit einer Tasche in der Hand und dem Mantel über dem Arm.

Sánchez Castillo, 1970 in Madrid geboren, inszeniert die Tank Men seit 2013 zu Armeen pazifistischen Widerstands. Er zählt zu Spaniens bedeutendsten Künstlern seiner Generation und ist in Deutschland weitgehend unbekannt. In Filmen, Skulpturen, Installationen und Performances untersucht er die Wirkmacht von Geschichte und kollektiver Erinnerung. Für die Dresdner Schau hat ein Sammlerpaar die Herstellung der Männchen finanziert. Diese Bereitschaft, für Kunst Verantwortung zu übernehmen, sei ein besonderer Reichtum der Stadt, sagt de Maizière.

Die Kunst sei zum Verständnis der Stadt nötig, die zerstört und mit Hilfe der Kunst wieder aufgebaut wurde, resümiert Castillo seine Dresden-Zeit. Neben der Klassik sei Gegenwartskunst notwendig, um die Komplexität der Welt zu verstehen. „Kunst kann Vergangenheit mit Zukunft und Generationen verbinden.“

Im Frühjahr will er für ein neues Projekt zurückkommen. Kurz vor Weihnachten hat er eine neue Tank Man-Armee aufgestellt, im Rathaus von Den Haag (Niederlande). Dort zeigt er erstmals auch die mit fünf Meter größte Skulptur des unbekannten Widerständers, aus Marmor gehauen in China, wo niemand über die Geschichte sprechen darf und das Schicksal des Tank Man ungeklärt ist, wie der Künstler sagt. „Das ist paradox.“ (dpa)

››› Informationen zu „Made in China“ im Albertinum