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Stets dienstbereit zu Ihrem Wohl

Frank Lange aus Putzkau sammelt geflügelte Ölkannen, Waschfrauen und was sonst Reklame machte für die DDR. Da tun sich überraschende Erinnerungslücken auf.

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© Robert Michael

Von Karin Großmann

Die Schlafstube ist tabu! Frau Lange sagt es entschieden, und Herr Lange lächelt fein. Bisher hat er noch jeden Raum gefüllt. Er sammelt seit seinem zwölften Lebensjahr. Jetzt ist er 67. Da kommt was zusammen. Das Siedlungshaus in Putzkau ist vom Keller bis unters Dach mit DDR vollgeräumt. Wer aber meint, das Land zu kennen, sieht sich schnell eines Besseren belehrt. Wie hieß gleich das Reklamemännel aus dem VEB Gelenauer Kinder- und Damensocken?

Sammelstücke mit DDR-Charme

Minol MännchenRobert Michael
Minol MännchenRobert Michael
Messemännchenrobert michael
Messemännchenrobert michael
„Telelotto“-Geistrobert michael
„Telelotto“-Geistrobert michael
Waschfrau Johannarobert michael
Waschfrau Johannarobert michael
SZ-Werbefigur robert michael
SZ-Werbefigur robert michael
Figur zum Nationalen Jugendfestival der DDR 1979Robert Michael
Figur zum Nationalen Jugendfestival der DDR 1979Robert Michael
Figur vom Panorama Hotel in Oberhof.Robert Michael
Figur vom Panorama Hotel in Oberhof.Robert Michael
DienstuniformRobert Michael
DienstuniformRobert Michael
Gesundheitspflegemittel aus WolfenRobert Michael
Gesundheitspflegemittel aus WolfenRobert Michael
FDGB FeriendienstRobert Michael
FDGB FeriendienstRobert Michael
Mux MännchenRobert Michael
Mux MännchenRobert Michael
Versandhandel Leipzig Robert Michael
Versandhandel Leipzig Robert Michael
Kleine RitterRobert Michael
Kleine RitterRobert Michael
MZ MännchenRobert Michael
MZ MännchenRobert Michael
Minol PirolRobert Michael
Minol PirolRobert Michael

An jeder Wand stehen Vitrinen. Frau Lange darf zwar das Glas putzen, doch der Inhalt ist Männersache. Männer können sich nicht nur für kleine bunte Blechautos und Traktoren aus Holz begeistern. Sie mögen auch geflügelte Ölkannen. Die Kannen haben einen spitzen Schnabel, tragen Mütze und blaue Latzhose. Grüne Hosen können einen Sammler sehr glücklich machen. Sie sind nämlich selten. In Grün gingen die Angestellten von Intertank, wo das Benzin mit Westgeld bezahlt wurde.

Der komische Vogel war das Maskottchen des VEB Minol. Der Betrieb versorgte die DDR mit Mineralöl. Sie müssen dort in der Werbeabteilung einen verkappten Dichter beschäftigt haben. Er beherrschte sogar den Dreifachreim. „Stets dienstbereit zu Ihrem Wohl ist immer der Minol-Pirol.“ Der Puppengestalter Heiner Knappe hat die Figur Anfang der 1960er-Jahre im Puppenstudio des DDR-Fernsehens entwickelt. In kurzen Spots gab der Vogel Hinweise zum Benzinsparen und Tipps für Selbstschrauber. Höchste Zeit für die Winterräder.

Schade, dass der Betriebsdichter keine Ahnung hatte, wie die Geschichte weiterging. Er hätte ein viertes Reimwort hinzutun können. Denn Helmut Kohl soll Minol zusammen mit den Leunawerken eigenhändig an den französischen Konzern Elf Aquitaine vermittelt haben. Was vielleicht als Freundschaftsgeste gemeint war, entwickelte sich zum Schmiergeldskandal. Einmal, sagt Frau Lange, sei ihr ein Minol-Pirol aus der Hand gerutscht. Der Kopf zerfiel in Scherben. Doch sie hat ihn so fein geklebt, dass die Risse kaum zu sehen sind.

Fünf solche Exemplare stehen neuerdings in Kamenz in einer Ausstellung. „Man muss ja keine Parade aufbauen“, sagt Frank Lange. „Jeder hat was Besonderes.“ Er hat einen Teil seiner Sammlung ins Malzhaus geräumt. Das fällt zu Hause kaum auf. Ein Intertank-Pirol mit grüner Hose gehört natürlich dazu, denn Frank Lange hat alles, fast alles. Trotzdem durchstöbert er ständig Kleinanzeigen, Trödelmärkte und Verkaufsportale im Internet. „Man braucht ja immer ein Ziel.“ Zuerst hat er jene Autos gesucht, die er aus der Kindheit kannte. An diesen Sachen hängt man ja. Aufheben schafft ein Gefühl von Sicherheit, wenn sonst alles bröckelt. Sammeln ist eine sichere Brücke in die Vergangenheit und auch ein Protest gegen Beschleunigung.

Sammeln ist Luxus. Glücklich erzählt Lange von seinem neuesten Fund aus dem Prüfgerätewerk Weida in Thüringen. Dort wurden Mitte der 1950er-Jahre ferngesteuerte Spielzeugautos aus Bakelit hergestellt. Kinder sollten damit den Straßenverkehr erlernen. Weil aber ein solches Kunststoffauto damals schon 320 Mark kostete, blieb das Interesse gering. „Es wurden höchstens 70 Stück gebaut“, sagt Lange, „mehr nicht, die meisten wurden an Lehrlinge verschenkt.“ Er hat in Weida lange herumgefragt, bis sich ein Verkäufer meldete. Der Preis? „Da geht ein Tausender weg.“

Veronika Lange schluckt und sagt, dass sie manchmal schon schlucken muss. Doch vor 45 Jahren wusste sie schon, worauf sie sich einließ. Große Anschaffungen werden gemeinsam beraten. Und nun schaut sie zu, wie er den Bakelit-Tausender abends um den Stubentisch lenkt? Frank Lange wehrt entsetzt ab. „Fahren? Da hätte ich viel zu viel Angst, dass was durchschmort. Das kriegt man doch nie wieder!“ Kinder und Enkel haben wohl von Anfang an akzeptiert, dass das Spielzeug kein Spielzeug ist. Als Frank Lange stolz seine Eisenbahn auf der H0-Spur vorführte, reagierte der werte Nachwuchs mit Gähnen und wünschte dringend einen Zusammenstoß aller Loks.

Fahrzeuge aus Blech, Plaste und Holz sind Langes größtes Sammelgebiet. Reklamefiguren wie der Minol-Pirol kommen als Beifang hinzu. Sie wurden bisher in Ausstellungen zur Dekoration benutzt. Jetzt dürfen sie zum ersten Mal eine Hauptrolle spielen. Kamenz feiert eine Premiere. Und sie sind alle dabei: das Leipziger Messemännchen mit blauem Anzug, Hut und Pfeife, der glubschäugige Kegel mit der Werbung für „Telelotto“ und der weiße Kobold „Mux“ mit seiner Sprühflasche. Wir müssen mal muxen hieß es, wenn eine Motte im Schrank saß. Über spezialveredelte Textilien wachte ein Detektiv mit Karoanzug, Pfeife und Lupe. Vielleicht liebte der Erfinder die Krimis mit Sherlock Holmes.

Einen Stammplatz in Langes Sammlung hat die Waschfrau Johanna. Hübscher Dutt übrigens. Sie warb schon Ende der 1930er-Jahre für „Fewa“. Der Schlager „Kannst du pfeifen, Johanna“ machte sie erst recht populär. Sie ist zwar die Älteste in der Runde, erlebte aber ein biologisches Phänomen: Im VEB Fettchemie in Karl-Marx-Stadt wurde sie immer jünger, graziler, beweglicher. Kamenz hat ihr eine perfekte Waschecke eingerichtet mit geblümten Handtüchern auf der Leine. China muss Tonnen davon ins Land geschickt haben. Auch die schmalen Tücher gehören zum abgeschlossenen Sammelgebiet DDR.

„Die DDR war eine Hälfte meines Lebens“, sagt Frank Lange, „warum sollte ich mich davon distanzieren? Mir ging es gut.“ Bis zum Wendeherbst arbeitete er als Lehrer. Wie viele andere erlebte er dann die Brüche in der Biografie: Umschulung, neue Arbeit, Firmenpleite, Selbstständigkeit. Zuletzt war er als EDV-Dozent unterwegs.

Seine Frau arbeitete im Kindergarten. „Beim Blick zurück empört mich manches“, sagt Veronika Lange, „aber heute empört mich manches genauso.“ Auf ihren Regalbrettern in Putzkau stehen Titel wie „Hirsch Heinrich“ und „Der kleine Angsthase“ – etwa 250 Kinderbücher aus der DDR im Original. Auch einige aus der Trompeterbuchreihe für Erstleser. Es kommt immer noch mal ein neues altes Exemplar dazu. „Alle Sammler sind bisschen verrückt“, sagt Frau Lange. Die Leidenschaft steckt offenbar an.

Nicht nur Bücher, auch die Spielzeugautos aus der DDR sind ganz gut erforscht. Frank Lange hat zwei dicke Kataloge verfasst. Es sind Standardwerke, an denen sich Käufer und Verkäufer orientieren. Es gab sogar einen Chevrolet. Lange erzählt, dass so ein Fahrzeug mal auf dem Markt in Sonneberg parkte und die Spielzeughersteller nachts darum herumschlichen, um die Maße abzunehmen. So viel Aufwand wurde für die Reklamefiguren nicht betrieben. Über die wenigstens weiß man heute noch etwas. Die Wissenschaft kümmert sich kaum darum, ostdeutsche Firmenarchive sind in alle Winde verstreut. Die Männel haben auch keine eigene Tauschbörse, „die Sammler halten sich meist bedeckt“, sagt Lange.

Der Titel seiner Ausstellung scheint ein Widerspruch in sich zu sein: „Reklamehelden der DDR“. Wofür hätte eine Wirtschaft Werbung gebraucht, die nur selten Überfluss zu verkaufen hatte und lieber keine Bedürfnisse weckte? Das Wort Merchandising war vermutlich noch nicht mal erfunden. Es erscheint geradezu tollkühn, wenn in Frank Langes Sammlung spinnenbeinige Jungs mit großen gelben Hüten für den FDGB-Feriendienst auflaufen. Einer trägt einen Rucksack, einer die Angel, der nächste Skier – so schön konnte Urlaub sein, falls es einen Urlaubsplatz gab. Die Warteschlange vorm Reisebüro durfte sich von einem putzigen Holzpärchen im Schaufenster unterhalten fühlen: Tourina und Tourino hießen die beiden. Der Portier vom Hotel „Panorama“ in Oberhof bleibt leider namenlos. Aber stolz schaut er doch aus dem Rollkragen. Feines DDR-Design.

Anfangs gab es viele Ideen, um das Grau aufzuhübschen und Käufer für Ladenhüter oder andere Waren zu gewinnen. Literarisch hochgestimmt hieß es da: „Seht nur, wie die Lippen schlecken. So köstlich kann nur Rotkohl schmecken.“ Familienbetriebe gaben der Stammkundschaft gern ein Püppchen als Sympathieträger mit. Die Sächsische Zeitung versteigerte bei Pressefesten einen Reporter, der schon damals multitaskingfähig ausgestattet unterwegs war. Ein Journalist namens Pfiffikus arbeitete mit Mikrofon. Er trat zwischen 6.55 und 7 Uhr bei Radio DDR 1 auf. Veronika Lange kann sogar noch die Begrüßungsmelodie singen: „Pfiffikus ist auf der Stelle, auf eurer Kinderradio-Welle!“

Eine andere Figur hatte sie beim Zähneputzen im Kindergarten als aufmerksamen Beobachter immer dabei: Kundi aus dem Hygiene-Museum. Der Knabe mit dem Zauberfernrohr war eine Erfindung des Zeichners Richard Hambach und noch bis in die 1990er-Jahre aktiv. Eine Ausnahme. Die „Anordnung zum sparsamen Einsatz materieller und finanzieller Fonds für Werbung und Repräsentation“ drehte den Betrieben 1975 den Geldhahn zu. Danach entstanden sogenannte Kampagnenfiguren. Ein Bär warb für die 750-Jahrfeier von Berlin und ein Löwe für das Turn- und Sportfest in Leipzig.

Auch diese Menagerie gehört in die Sammlung von Frank Lange. Er hat seine Schätze nie gezählt. Das meiste, sagt er, erwarb er nach dem Wendeherbst. „Die Leute haben ja vieles weggeworfen, die Euphorie auf Neues war groß.“ Damals war ein Minol-Pirol preiswert zu haben, der heute im Internet schon mal mit 60 Euro gehandelt wird. Eine originale Verpackung kann den Preis leicht verdoppeln. Noch die piefigste Püppi gilt inzwischen als Antiquität, wenn sie nur DDR-Charme besitzt. Das Reklamemännel aus dem VEB Gelenauer Kinder- und Damensocken hörte übrigens auf den Namen Gelkida. Hätte man sich auch denken können. Aber wer war Korbine Früchtchen? Herr Lange hat ein neues Ziel.

Die Ausstellung im Malzhaus Kamenz läuft bis 28. Januar, geöffnet außer Montag 10 bis 18 Uhr.