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Staatsanwaltschaft nimmt Reichsbürger ins Visier

Die Görlitzer Behörde bearbeitet jährlich rund 50 000 Verfahren. Neuste Erkenntnis: Rechtsextremismus nimmt zu.

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© nikolaischmidt.de

Von Ralph Schermann

Nur hundert Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Görlitz sind älter als ein Jahr. Das ist fast nichts bei der Fülle der Fälle. 50 669 davon hatten die Staatsanwälte 2016 auf den Tischen, darunter 19 219 gegen unbekannt. Dass aktuell an 4 441 Fällen gearbeitet wird, gilt in der deutschen Justiz als guter Wert, zumal in der Oberlausitz ein Verfahren in durchschnittlich drei Monaten erledigt wird. 2016 wurden 2 880 vor Gericht angeklagt, 4 143 endeten per Strafbefehl. Gegen bei Verhandlungen fehlende Angeklagte stellte die Staatsanwaltschaft 114 Europäische Haftbefehle aus.

Mit solchen Werten liegt die Görlitzer Behörde landesweit an der Spitze. Und damit hat sich die Struktur bewährt, seit die einst selbstständige Bautzener Staatsanwaltschaft 2013 als Zweigstelle dazukam. Gut für den erst vor wenigen Wochen ins Amt eingeführten neuen Chef, den Leitenden Oberstaatsanwalt Josef Bauer. Er kann in seiner Jahresbilanz auf beste Ergebnisse seiner Mitarbeiter bauen. „Unsere Staatsanwälte kamen 2016 auf 5 682 Sitzungsstunden in Gerichtsverhandlungen“, berichtet er. Seine beste Meldung aber ist, dass es in den Kreisen Görlitz und Bautzen „2016 nur zehn Kapitalverbrechen gab. 2015 waren es 22. Es wurde also weniger gemordet!“.

Auch die seit 2012 kontinuierlich nach oben geschnellten Zahlen der Drogenverfahren sanken erstmals – leicht von 1 965 auf 1 889, wenngleich das eher eine Aussage zur Kontrolldichte in der Region ist. Dass Anzeigen wegen Volksverhetzung weiter zunehmen, hat dagegen andere Ursachen: Es werden immer mehr verbotene Äußerungen in Netzwerken wie Facebook gepostet, und genau dagegen wird auch immer konsequenter vorgegangen.

Bei den politisch motivierten Straftaten kletterten die Verfahren gegen bekannte Täter von 200 im Jahr 2015 auf 227 im Jahr 2016, darunter die Fälle mit rechtsextremistischer Orientierung von 177 auf 201, vorwiegend im Kreis Bautzen. Bei den Verfahren gegen unbekannt dagegen sanken die Fallzahlen kräftig von 203 auf 142, im Rechtsextremismus von 196 auf 137. Neu ist seit wenigen Wochen der besondere Einsatz von zwei Dezernenten, die alle Fälle mit Beteiligung sogenannter Reichsbürger bündeln und die Entwicklung dieser besonderen Art von Querulantentum erfassen sollen.

Ob Fälle von Nötigung, Urkundenfälschung oder Bedrohung – jeder zuständige Staatsanwalt koordiniert seine Erkenntnisse jetzt mit dem neuen Dezernat, wenn Reichsbürger im Spiel sind. „Die Zeit dafür ist reif, denn die Aktivitäten, die wir wahrnehmen, steigen“, begründet Oberstaatsanwalt Sebastian Matthieu und nennt als Beispiel einen Görlitzer (53), der keinen Führerschein besitzt, weil er deutsche Dokumente ja ablehnt, dennoch aber fleißig Auto fährt: „Schon zwei Fahrzeuge haben wir ihm beschlagnahmt, und das waren bestimmt nicht die letzten Schritte.“

Seit vorigem Jahr geht die Behörde konzentriert gegen Mehrfach- und Intensivtäter unter Asylsuchenden vor. Als Mehrfachtäter gilt, wer in kurzer Zeit mindestens fünf Straftaten begeht. 2016 wurden 161 angeklagt, darunter Albaner, Tunesier, Libyer, Georgier und Syrer, ein Viertel von ihnen im Revierbereich Görlitz/Niesky. Auch Leichenfälle nehmen weiter zu. Schreiben Ärzte keine natürliche Ursache auf den Totenschein, wird ermittelt, ob ein Fremdverschulden vorliegt. 823 solche Untersuchungen standen 2016 an. Über 99 Prozent waren dabei erfreulicherweise in Ordnung.

Weniger erfreut dürften 39 zur Strafvollstreckung vorgesehene Polen und Tschechen gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft einigte sich mit den Herkunftsländern, ihre Haftstrafen dort abzusitzen.

  • 44 Staatsanwälte
  • Die Staatsanwaltschaft hat ihren Hauptsitz auf dem Görlitzer Obermarkt, eine Außenstelle (Wirtschaftsabteilung) auf der Dr.-Friedrichs-Straße sowie eine Zweigstelle in Bautzen.
  • In der Behörde arbeiten 130 Mitarbeiter, darunter 44 Staatsanwälte (27 in Görlitz, 17 in Bautzen).
  • Neben der Strafverfolgung ist die Staatsanwaltschaft auch zuständig für die Strafvollstreckung. Diese Abteilung ist die größte in der Behörde. Zu ihr gehören zwölf Rechtspfleger.