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So ticken die Sachsen

Die Menschen im Freistaat sind oft anderer Meinung als die Bundesbürger – davon profitiert jetzt besonders eine Partei.

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© Symbolfoto: dpa

Gunnar Saft

Wenn es wirklich ein Zufall war, dann ein ganz besonderer. Am Dienstag erreichten die Öffentlichkeit gleich zwei Umfragen, und beide warten mit brisanten Ergebnissen auf. So stellte die Staatsregierung erstmals den sogenannten „Sachsen-Monitor“ vor, der Auskunft über die zum Teil sehr miese Stimmungslage im Land gibt. Gleichzeitig veröffentlichte der Mitteldeutsche Rundfunk eine Wahlumfrage, die zeigt, dass die schwarz-rote Koalition in Dresden ihre Mehrheit los wäre, wenn an diesem Sonntag abgestimmt würde.

AfD legt kräftig zu – Regierungsbildung wird deshalb immer schwieriger

Zuerst zur Sonntagsfrage: Deren Gewinner ist ohne Zweifel die AfD, die auf 25 Prozent der Stimmen kommt, ihr Landtagswahlergebnis von 2014 mehr als verdoppelt und zur zweitstärksten politischen Kraft im Freistaat wird. Die aktuellen Regierungsparteien erreichen 34 Prozent (CDU) bzw. 12 Prozent (SPD) und haben damit auf dem Papier zurzeit keine Mehrheit mehr. Angesichts der Ergebnisse der anderen Parteien (Linke 16 Prozent, Grüne 7 Prozent, andere Parteien insgesamt 5 Prozent) ergibt sich eine komplizierte Lage. Außer bei einer Koalition von CDU und AfD wären für eine Regierungsmehrheit in Sachsen damit mindestens drei Parteien nötig. Mit einer Besonderheit: Für das seit Langem und viel diskutierte Rot-Rot-Grün reicht es dennoch nicht.

Unterschiedliche Meinungen in Stadt und Land sowie bei Arm und Reich

Der erste „Sachsen-Monitor“ liefert dann interessante Aufschlüsse darüber, wie es zu einer solchen Situation kommen konnte. Frank Richter, Noch-Chef der Landeszentrale für politische Bildung und Beiratsmitglied des Monitors, fasst die Umfrageergebnisse wie folgt zusammen: „Die Gesellschaft in unserem Land hat sich stark polarisiert.“ Signifikante Meinungsunterschiede gebe es in Sachsen heute zwischen den Bewohnern im ländlichen Raum und denen in den Ballungszentren, zwischen Menschen mit hohem Bildungsgrad und denen mit einer einfacheren Ausbildung sowie zwischen den Gewinnern und Verlierern des gesellschaftlichen Umbruchs der vergangenen 25 Jahre. Anders gesagt: Das Land ist gespalten wie lange nicht mehr.

Sachsen haben deutlich mehr Angst vor Ausländern und „Überfremdung“

Und nicht nur das. Auch wenn die Sachsen nicht gänzlich anders ticken als der Rest der Bundesbürger, gibt es doch auffällige und zum Teil extreme Abweichungen. Einige nennt Reinhard Schlinkert vom Dimap-Institut: So haben 58 Prozent der Sachsen Angst vor Überfremdung durch zu viele Ausländer. 53 Prozent sind der Meinung, dass deutsche Interessen gegenüber dem Ausland energischer durchgesetzt werden müssen. Und immerhin 18 Prozent finden, dass die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen sind. Alles Werte, so Schlinkert, die über dem Bundesdurchschnitt liegen. Woher diese Stimmungen rühren, lasse sich nicht rational erklären, meint er und verweist exemplarisch auf jene 17 Prozent der Sachsen – bei den sächsischen Jugendlichen ist es sogar fast jeder Dritte –, die überzeugt sind, dass ihre persönliche Wohnumgebung durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet sei. Schlinkert verweist darauf, dass gerade im Freistaat der Ausländeranteil mit 2,2 Prozent sehr niedrig ist – der Bundesschnitt liegt mit 9,4 Prozent deutlich höher.

Asylpolitik ist vielen wichtiger als der Lehrermangel oder die Kriminalität

Als das wichtigste Problem in Sachsen nennen die Befragten dann auch am häufigsten die Stichwörter „Asylpolitik, zu viele Ausländer, Überfremdung“ – 19 Prozent setzen das Thema auf den Spitzenplatz. In der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen sind es sogar 28 Prozent. Frank Richter spricht deshalb auch von einer bedenklichen „Sockelbildung rechtsextremen Gedankenguts“ gerade in dieser Altersgruppe. In der Problemliste aller Sachsen folgen „Arbeitslosigkeit/Wirtschaftsförderung“ mit 14 Prozent, die „Sorge um steigenden Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit“ (elf Prozent). Dann kommen „Bildung/Lehrermangel“ (zehn Prozent) sowie „Sicherheit/Kriminalität“ (neun Prozent).

Für die Zukunft optimistisch, aber unzufrieden mit vielen Institutionen

Als markant beschreiben Richter und Schlinkert nicht zuletzt die Unterschiede zwischen dem eigenen Zufriedenheitsgefühl der Sachsen und der Bewertung vieler demokratischer Einrichtungen. So schauen 73 Prozent der Befragten „eher optimistisch“ in die Zukunft. 64 Prozent verbinden mit der Wiedervereinigung „überwiegend Vorteile“ und 81 Prozent stimmen der Aussage „voll“ oder zumindest „eher“ zu, dass man auf das, was seit 1990 in Sachsen erreicht wurde, stolz sein kann. Bei der Frage, ob man mit der Demokratie in Sachsen zufrieden ist, geben dann allerdings nur 56 Prozent an, „sehr“ und „eher“ zufrieden zu sein – im Fall der Bundespolitik sind es sogar nur 51 Prozent. Zudem herrscht ein großes Misstrauen gegenüber demokratischen Institutionen. Nur 17 Prozent vertrauen Parteien, 18 Prozent der EU-Kommission und 19 Prozent dem EU-Parlament. Bundesregierung und Bundestag kommen auf 32 bzw. 33 Prozent. Viel Vertrauen haben die Sachsen nur in Gerichte, ihre Bürgermeister und Gemeinden sowie in die Polizei – mit Werten von 54 bis 70 Prozent.

Staatsregierung sieht sich durch Umfrage unter Handlungsdruck

Mit CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich sind zurzeit übrigens 58 Prozent „sehr“ oder „eher“ zufrieden – weniger als bei früheren Umfragen anderer Institute. Staatskanzleichef Fritz Jaeckel (CDU) vermutet als Grund eine andere Fragestellung als sonst, gibt sich aber generell geläutert. Er nennt die aktuellen Umfrageantworten ein „ehrliches Ergebnis“, das man nun genau auswerten wolle. Klar sei aber schon jetzt, dass man den Menschen im Land noch besser zuhören müsse und sich auch stärker mit ihren Argumenten auseinandersetzen müsse. So ganz zufrieden klingt das nicht.