Von Peter Anderson
Meißen. Eigentlich hat Andreas Krause das falsche T-Shirt an. „Ornee“ steht in großen Lettern auf dem Hemd des Mannes vom Gewerbeverein. Die Botschaft müsste richtig „Orjaa“ heißen. Krause gehört zu der eingespielten Mannschaft des Gewerbevereins, die Meißens größtes Volksfest mit seinen alljährlich 50 000 Besuchern überhaupt erst möglich macht.
Das Meißner Weinfest in Bildern
Aus dem Innenhof des Rathauses hämmern harte Beats. „Zwei Nächte – drei DJs, hier feiert die Jugend“. Die Werbung von Veranstalter und Stadtrat Martin Schade hat eine klare Botschaft. An diesem Sonnabendabend gegen 22 Uhr, beginnt sich die Location langsam zu füllen. Früher war um diese Zeit die Party vorbei. Ab nach Hause ins Bettchen. Heute beginnt sie gerade erst.
Krause hat soeben noch einmal mit Schade das Gespräch gesucht. Vielleicht lässt sich die Lautstärke doch ein My nach unten drehen? Mehr als 20 Bühnen sind zum Weinfest über die Gassen und Plätze der Altstadt verteilt. Damit jeder seine Musik hören kann – von Tango bis Techno – müssen die Veranstalter aufeinander Rücksicht nehmen. „Orjaa“ – Andreas Krause hat das hinbekommen.
Auf der Burgstraße vollzieht sich gerade ein Generationswechsel. Die älteren Semester geben ihre Weingläser zurück und packen die mitgebrachten Sitzkissen ein. Jugendliche Gäste lassen sich mit einem Biermixgetränk auf den Bänken nieder. Handys werden für Selfies gezückt. Whatsapp-Nachrichten schwirren zu Tausenden durch die Meißner Luft. Wo bist Du? Ich bin hier. Können wir uns treffen?
Zwei Treppen hinauf in einem der barocken Bürgerhäuser auf der Burgstraße verbirgt sich eine Oase der Ruhe. Axel Wiener sitzt hier zusammen mit den beiden Bürgerpolizistinnen Ramona Lundershausen und Tatjana Iltzsche. Die drei haben gerade ihre Schicht in den Geschäftsräumen des Gewerbevereins angetreten. Sie sind heute Abend hier die Ansprechpartner für alle großen und kleinen Sorgen der Besucher, Händler und Wirte. Geht ein Kind verloren, sie kümmern sich darum. Ist ein Lieferwagen zugeparkt, sie finden einen Weg.
Die Tür geht auf und Weinfest-Organisator Peter Görig schneit herein. Gerade hat er wieder Nachschub an Toilettenpapier organisiert. Der Verbrauch in den Toi-Häuschen und sonstigen stillen Örtchen auf dem Festgelände ist dieses Jahr besonders groß. Görig nimmt’s mit Humor und sieht die hohe Nachfrage als Anzeichen für einen starken Besucherzustrom. Tatsächlich hat Petrus für ideales Weinfestwetter gesorgt. Der Himmel über Meißen bleibt komplett trocken. Die Sonne lässt tagsüber kurze Hemden und Röcke zu. Abends lässt es sich mit Jacke und Tuch ebenfalls noch draußen aushalten.
Einen Wermutstropfen gibt es dann allerdings doch. „Zwei falsche Fünf-Euro-Scheine hatte ich heute bereits“, berichtet Peter Görig. Der Sparkassenautomat hat den Schwindel beim Einzahlen bemerkt und die insgesamt zehn Euro anschließend ungefragt von der Gesamtsumme abgezogen. Pech gehabt. Ersatz? Fehlanzeige. Vielleicht schafft die Masse einen Ausgleich für den Verlust. Schnell noch ein Brötchen auf die Hand, schon ist der Mann für alles aus der Oase der Ruhe hinaus ins laute Getümmel verschwunden.
Bei Facebook laufen unterdessen die ersten Bildergalerien ein. Wem ist das schönste Bild von der Blauen Stunde in Meißen gelungen? Daniel Bahrmann vom Kulturverein hat die Nase mit seinem vom Turm der Frauenkirche geschossenen Bild mit deutlichem Abstand vorn. Plötzlich beginnt eines, der Walkie Talkies zu schnarren. Peter Görig meldet einen Stromausfall auf Teilen des Kleinmarkts. „Ornee“, sagt Andreas Krause. Nun stimmt der T-Shirt-Spruch kurzzeitig wieder.