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Siebenmal Glück

Geld macht nicht glücklich, sagen Ulrike und Matthias Hänsel aus Radeberg. Der Reichtum ihrer Familie ist ein anderer.

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© Steffen Unger

Von Jana Ulbrich

Ulrike und Matthias Hänsel haben sich schon mal Kaffee eingegossen. Nach und nach finden sich auch die Töchter ein am langen hölzernen Frühstückstisch: Marie, die jetzt 23 ist und in Dresden Gesang studiert. Anna, die 18-Jährige, die heute ihr Abi-Zeugnis bekommt und Tierärztin werden will. Klara, die 15-Jährige. Feodora, die Zehnjährige. Und schließlich Florentine, 8, das Nesthäkchen. Hätte Paul, 21, der gerade eine Ausbildung zum Krankenpfleger macht, keinen Wochenenddienst, und wäre Friederike, 20, die Schauspielerin werden will, nicht mal wieder unterwegs, dann wäre die Familie jetzt zum Frühstück komplett.

Ulrike und Matthias Hänsel aus Radeberg haben sieben Kinder. Das sei ein großes Glück, sagen sie. Es habe sich einfach so ergeben. Sie haben es nicht geplant. Marie sei vielleicht so etwas wie die Flucht aus ihrer Ausbildung zur Kinderdiakonin gewesen, die ihr nicht zugesagt hatte, erzählt Ulrike Hänsel. Paul kam, weil Marie ein Geschwisterchen haben sollte. Friederike entstand völlig ungeplant in der Stillzeit, dann kam Anna und so weiter. „Gib’s zu Mama, ich war auch kein Wunschkind“, lacht Feodora, die kleine Prinzessin mit dem süßen Namen. „Ach was“, lacht die Mama zurück.

Es geht ausgelassen und fröhlich zu bei Hänsels am Frühstückstisch. Locker und entspannt. Auch wenn Feodora gerade feststellt, dass das Nutella-Glas leer ist und keiner daran gedacht hat, ein neues zu kaufen. „Hier, dann nimmste eben Honig“, sagt eine der Schwestern und schiebt der jüngeren mit Schwung das Glas über den Tisch. Pragmatisch und unkompliziert muss man sein in so einer Großfamilie. Und ehrlich: Es gibt Schlimmeres als leere Nutella-Gläser. Viel Schlimmeres.

Massentierhaltung und Chemie auf den Äckern zum Beispiel. Marie, die Älteste, fährt deswegen gleich nach dem Frühstück nach Dresden. Die Naturschutzjugend hat zur Demo für gutes Essen und zukunftsfähige Landwirtschaft aufgerufen. Da darf Marie auf keinen Fall fehlen. „Das siehst du doch ein, Anna, dass ich jetzt nicht mitkommen kann zu deiner Zeugnisausgabe.“ Klar sieht Anna das ein.

Matthias Hänsel schmunzelt. „Unsere Kinder werden alle Weltverbesserer. Sie haben alle Visionen“, erzählt der 48-Jährige. Er lässt sich gerade einen Bart wachsen fürs Burgfest in Stolpen, das die Familie mitgestaltet. Stolz blickt er rüber zu seiner Ältesten. „Man muss sie machen lassen. Dann finden sie ihren Weg am besten.“

Schon als Kind hat Marie davon geträumt, Musik zu studieren. Womöglich eine brotlose Kunst. Hätten die Eltern ihr das deswegen ausreden sollen? Und Friederike? Soll sie etwa nicht Schauspielerin werden, wenn es doch ihr Lebenstraum ist? Ulrike Hänsel lächelt: „Glücklich sein in seinem Beruf, mit seiner Arbeit, das ist doch wichtiger als finanzielle Sicherheit.“ Die Kinder der Hänsels haben alle früh gelernt, dass Geld allein nicht glücklich macht.

Große Sprünge konnte die Familie nie machen. Matthias Hänsel hat als Bezirksschornsteinfeger zwar ein sicheres Einkommen, und auch Ulrike hat als Tagesmutter ein paar Jahre lang dazuverdient. Jetzt macht die 42-Jährige noch einmal eine sozialpädagogische Ausbildung. Und arbeitet nachmittags in einer betreuten Wohngruppe für Kinder und Jugendliche, die Hilfe zur Erziehung brauchen.

Hänsels Kinder haben gelernt, selbstständig zu sein. Ihre Mutter kann jetzt auch wieder mehr an sich denken. Die Mädchen finden das toll, auch wenn sie deswegen mehr machen müssen im Haushalt. „Sonnabends säubern wir alle zusammen das Haus“, erzählt Feodora, „weil Mama sonnabends Schule hat.“ In dieser fröhlichen Familie scheint sogar das Putzen Spaß zu machen. Man glaubt den Eltern sofort, wenn sie sagen, dass es nur selten Streit gibt in ihrem Haus.

Obwohl längst nicht immer alle einer Meinung sind. Sogar in grundsätzlichen Fragen nicht. Vor der Kommunalwahl soll es Auseinandersetzungen gegeben haben am langen Küchentisch. „Wir haben da nicht alle die gleiche Meinung“, gibt Matthias Hänsel unumwunden zu.

Er sitzt für die CDU im Radeberger Stadtrat und im Kreistag Bautzen. „Es ist gut, dass unsere Kinder nicht angepasst sind und in manchen Dingen eben anders entscheiden“, sagt er. So sind sie erzogen. Auch dazu, sich einzumischen und zu helfen. Jetzt gerade müssen sie Erwin helfen, dem winzigen Kohlmeisenbaby, das viel zu früh aus seinem Nest gefallen ist.

Ulrike Hänsel hat den kleinen Wattebausch gefunden. Nun hockt er in einem Mullwindel-Nest und sperrt das winzige Schnäbelchen auf. Mit einer Pinzette schiebt ihm Klara, die 15-Jährige, vorsichtig kleine Mehlwürmer-Bissen hinein. Die Mehlwürmer haben die Mädchen noch schnell in der Zoohandlung geholt. Und im Internet haben sie Wildvogelaufzuchtsfutter bestellt. Das hat ihnen der Mann aus der Vogelschutzwarte empfohlen, den sie angerufen und gefragt haben, wie man das denn macht, elternlose Kohlmeisenbabys zu retten. Dafür überwindet Klara jetzt sogar tapfer ihren Ekel vor lebenden Mehlwürmern. Das muss man, wenn es um Leben und Tod geht.

Vogelbaby Erwin zittert. „Papa, wir brauchen eine Rotlichtlampe!“ In einer Stunde ist Zeugnisausgabe. Und außer Anna, die schon eher in der Aula vom Gymnasium sein muss und gerade in einem Dirndl erscheint, ist noch keiner fertig. Aber alle bleiben völlig ruhig. Man lernt wohl auch Gelassenheit in einer so großen Familie.

Und Zufriedenheit. „Unsere Eltern schaffen es immer, uns zu ermöglichen, was wir uns wünschen“, sagt Marie, die Älteste. „Aha, und was ist da mit meinem Pferd?“, mischt Florentine, das Nesthäkchen, sich ein. Die Eltern lachen, und Ulrike Hänsel streicht dem kecken Blondschopf übers Haar. „Da musst du uns erst mal beweisen, dass du es auch wirklich ernst meinst mit dem Reitenlernen.“

Wenn Florentine es ernst meint, werden die Eltern auch einen Weg finden. Nur, ein eigenes Pferd wird Florentine wohl vorerst nicht bekommen können. Damit ist das Thema erledigt. Florentine strahlt. Sie wird es ihren Eltern schon beweisen.

Hänsels geben ihren Kindern viel Liebe und viele Freiheiten. Sie geben ihnen Zuversicht und Selbstvertrauen. „Diese Zuversicht haben viele in meinem Alter nicht“, sagt Marie, die mit ihren 23 Jahren schon sehr erwachsen ist. „Viele haben auch nicht dieses Glück, immer nach Hause kommen zu können“, fügt sie hinzu. „Und viele haben auch nicht das Glück zu wissen, dass man nie allein ist“, sagt Anna. „Und nicht das Glück, dass immer jemand da ist, wenn man nach Hause kommt“, sagt Klara. „Und nicht das Glück, dass immer jemand irgendwas gekocht hat, wenn man nach Hause kommt“, sagt Feodora.

Die Zehnjährige hat gerade beschlossen, auch nicht mitzukommen zur Zeugnisausgabe. Einer muss sich doch um Vogelbaby Erwin kümmern. „Das verstehst du doch, Anna!“ Klar versteht Anna das. Alle anderen kommen ja mit. Anna sieht wunderschön aus in ihrem Dirndl und mit den langen französischen Zöpfen, die ihre Mutter fix geflochten hat. Ulrike Hänsel sieht sie versonnen an.

An der Wand überm Esstisch hängt eine alte, schon ein bisschen ramponierte Holztafel. Einer von Schornsteinfegermeister Hänsels Kunden wollte sie wegwerfen. Matthias Hänsel hat sie mit nach Hause gebracht und restauriert: „Zusammenhalten in Freud und Leid bringt Glück und Frieden allezeit.“ Mancher mag das vielleicht kitschig finden, aber es ist, als ob diese Tafel wie selbstverständlich in dieses so liebevoll sanierte und so lebendig bewohnte Haus gehört.

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