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Sensibel, nicht nur für Sensoren

Katja Hillenbrand, eine Schwäbin, sorgt mit ihrem Unternehmen in Oelsnitz dafür, dass sich Türen öffnen – automatisch und überall auf der Welt.

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Von Ramona Nagel

Der Blick aus dem Fenster ist eine Offenbarung. Er gleitet über Felder, Wälder – der Horizont ist weit. Katja Hillenbrand steht oft im Büro und genießt den Ausblick über Oelsnitz im Erzgebirge. Es ist nicht die große weite Welt, in die sie eigentlich wollte. Aber oft kommt es im Leben sowieso anders als geplant. Und wichtig ist schließlich nur, was man daraus macht. Die gebürtige Baden-Württembergerin hat hier ein Unternehmen und eine Familie gegründet. Und sie lebt eine Erfolgsgeschichte. „Ich glaube, dass ich es als Frau in Ostdeutschland einfacher hatte, hier ist man gewohnt, dass Frauen arbeiten und im Job Verantwortung übernehmen“, sagt die 44-Jährige.

Erst vor wenigen Wochen ist das Unternehmen in diesen Neubau gezogen. Die hellen Farben – Weiß, Gelb und Blau – und die farbenfrohe Kunst an den Wänden lassen die Handschrift einer Frau erkennen. Weil die Kinder auch oft bei ihr im Büro sind, hat sie das wohnlich eingerichtet. „Das Umfeld und die Atmosphäre sind ganz wichtig bei der Arbeit“, sagt die Chefin. Die 70 Mitarbeiter entwickeln, produzieren und vertreiben Sensorsysteme. Sie sorgen dafür, dass sich im Supermarkt die Türen automatisch öffnen oder dass beim Betreten eines Raumes automatisch das Licht angeht. Eingesetzt werden sie weltweit, rund 70 Prozent der Produkte gehen ins Ausland. Dass ihre Sensoren mal im Bundestag, im Kreml in Moskau oder im Louvre in Paris zu finden sind, wäre Katja Hillenbrand früher nicht im Traum eingefallen. „Ich bin ein reiner Bauchmensch.“

Aufgewachsen in Albstadt, ist sie fest entschlossen, dass die Schwäbische Alb nicht für immer ihr Lebensmittelpunkt bleibt. Die Schülerin hat große Pläne, will die Welt sehen. Das Abenteuer beginnt nach dem Abitur mit dem Studium der Betriebswirtschaft in München, Montreux und Brüssel. Ihr Berufsziel: Investmentbanker, am liebsten in den USA. Die werden großzügig entlohnt. Aber das reizt sie nicht sonderlich. Es sind die schlichten Zahlen, die sie faszinieren und die Hoffnung, in dem Job viel reisen und Länder und Menschen kennenlernen zu können. Doch Vorstellungen und Realität liegen oft weit auseinander: Investmentbanker reisen kaum. Sie verbringen ihren Arbeitstag zumeist in Hektik und monoton am Schreibtisch mit PC und Telefon. Das hat die Studentin aber früh genug erkannt. Irren ist menschlich. Katja Hillenbrand ist ambitioniert, und deshalb dauert das Studium nur drei Jahre. Danach jobbt sie ein halbes Jahr, verschafft sich Einblick in verschiedene Berufsfelder. Vor allem Radartechnik interessiert sie. Die Neugier darauf führt sie nach Oelsnitz.

München, Montreux, Brüssel – und jetzt Oelsnitz. Die ersten Eindrücke sind nicht gerade ein Volltreffer. Auf der Suche nach einer Bleibe erlebt sie, dass blühende Landschaften nicht von heute auf morgen entstehen und dass das Gestern lange gegenwärtig sein kann. Sie besichtigt Wohnungen mit Toilette über den Hof oder einem Bad für mehrere Wohnungen. Doch sie bleibt. „So leicht lasse ich mich nicht abschrecken“, sagt sie und ist dankbar, das alles persönlich erlebt zu haben. Sie ist damit aufgewachsen, Schwierigkeiten nicht aus dem Weg zu gehen, sondern anzunehmen und zu meistern.

Der neue Job in Oelsnitz passt. Als rechte Hand des Geschäftsführers hat sie viel Verantwortung. Doch bald merkt sie, dass Abhängigkeit nichts für sie ist. Wenn sie etwas möchte, die Ergebnisse faktisch schon vor Augen hat, dann möchte sie es umsetzen, nicht erst lange diskutieren und nach Kompromissen suchen, wenn klare Lösungen erzielbar sind. So steht sie bald vor der Entscheidung, sich selbstständig zu machen. Das Abenteuer beginnt im Mai 2000 und ist eine große Herausforderung. Denn nach der Pleitewelle Ende der 1990er-Jahre vergeben die Banken für Unternehmen in Ostdeutschland nur sehr zögerlich Gründungskapital. Private Geldgeber sichern ab, dass das Unternehmen Micas starten kann. Die ersten drei Jahre sind hart. Katja Hillenbrand hat Ideen und Produktkonzepte – aber keine Referenzen. Neue Auftraggeber aber wollen nicht die Katze im Sack kaufen. Ein Teufelskreis. Katja Hillenbrand meistert diese Zeit mit Ideen, Willen, Kompetenz und Charme. Micas etabliert sich als Anbieter von innovativen und individuellen Sensor- und Elektronikprodukten. Auch dass sie eine junge Mutter ist, gehört zu ihrem Kapital. Ihre beiden Kinder sind schon als Babys in der Firma – auch bei Kundengesprächen. Katja Hillenbrand bevorzugt unkomplizierte Lösungen, doch dabei hat sie auch Sorge. Wie wird der Kinderwagen bei den Partnern ankommen?

Vor dem Termin mit einem der besten Kunden war sie besonders aufgeregt. Es war kein Babysitter zu bekommen, der kleine Sohn musste mit zum Termin. Würde der Kunde irritiert sein und sich zurückziehen? Katja Hillenbrand machte neue Erfahrungen: Ein Kind eröffnet eine völlig neue Art von Small Talk in der Geschäftswelt. Man lernt sich zunächst über die soziale Ebene besser kennen, bevor es um Fakten und Finanzen geht. Und die Achtung der Männer vor einer Frau, die beides packt, ist groß.

Weil Kinderbetreuung vielerorts mit Wartezeiten verbunden ist, entsteht bei Micas ein Betriebskindergarten. Im Pfiffikus werden 20 Kinder vom ersten Geburtstag an betreut. Gerade in ländlichen Regionen wie dem Erzgebirge ist das ein Gewinn für junge Familien. Denn das Einkommen der Mutter hilft mit, den Kredit für das Eigenheim zu zahlen. Seit Mitte 2013 ergänzt der Hort Pfiffilino mit 20 Plätzen die Nachwuchsbetreuung. „Man fühlt sich einfach gut, wenn man sein Kind bei der Arbeit in Obhut weiß“, sagen ihre Mitarbeiterinnen.

Soziales Engagement ist Katja Hillenbrand generell wichtig. Man soll geben, solange man geben kann, ist ihr Credo. Es kommen viele Anfragen. Sie hilft gern dort, wo Kinder oder Familien gefördert werden. „Solche mutigen Persönlichkeiten braucht das Land“, sagt Ulrich Lingnau, Jurymitglied und Geschäftsführer der Chemnitzer Verlag und Druck GmbH & Co. KG. „Als Unternehmerin und Frau gestaltet Katja Hillenbrand auf ihre ganz persönliche Art und Weise ein Stück Erzgebirge mit.“

Mittlerweile entwickelt die Wahl-Sächsin nicht nur ein Familienunternehmen – neben ihr sind ihr Mann und ihr Bruder weitere Gesellschafter. Ihr Mann leitet den den Vertrieb. Sie managt zudem die Familie mit zwei schulpflichtigen Kindern. Das führt zu neuen An- und Einsichten. Eine davon ist, dass auch Sachsen mehr und vor allem ideenreiche Lehrer braucht. „Nur so haben die Kinder Spaß am Lernen und erzielen gute Noten“, sagt Hillenbrand. Ihren neunjährigen Sohn und ihre siebenjährige Tochter erzieht sie gemeinsam mit ihrem Mann zu Selbstständigkeit und Loyalität. So, wie sie es bereits in ihrem Elternhaus erfahren hat.

Gemeinsame Zeit ist rar, die Familie genießt sie umso intensiver. Das sieht mitunter auch so aus, dass Mutter und Sohn den Nachmittag gemeinsam im Pferdestall verbringen. Die frühere Hobby-Tennisspielerin hat schon im Sattel gesessen. Aber es dauert seine Zeit, bis man seine Ängste überwindet. Sie wird das schaffen, denn sie hat schon einen Traum: Nach der Arbeit ausreiten – allein oder mit den Kindern. Das wärs! Vorerst pflegt sie „nur“ für ihren Sohn das Pferd. Zunächst war sie dagegen, dass die Großeltern dem Sohn ein junges Pferd gekauft haben. Doch nun ist auch sie eingetaucht in diese faszinierende Welt. Für die Unternehmerin ist diese Zeit wie ein Kurzurlaub; mit Kardätsche, Striegel und Hufkratzer und einem PS unter den Händen lässt sich herrlich Kraft für den Firmenalltag tanken. Ihre Entscheidung für das Erzgebirge bereut Katja Hillenbrand nicht: „Es war genauso spannend, als wenn ich in die USA gegangen wäre.“