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Seit gut 70 Jahren im Sattel

Seit 1946 sitzt Peter Bresan bei den Osterprozessionen in der Lausitz auf dem Pferd. Damit ist der heute 83-Jährige dienstältester Osterreiter. Solange er noch selbst aufs Pferd kommt, will er weiter mitmachen.

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Von Miriam Schönbach

Sollschwitz. Der Wind weht ein paar Tropfen Regen über die Streuobstwiese hinter der Sollschwitzer Mühle (Landkreis Bautzen). Die Sorben nennen dieses Fleckchen Erde Delany (Niederland). Es erstreckt sich zwischen den Orten Räckelwitz im Süden und Wittichenau im Norden. Im Alltag tragen die Frauen hier noch Trachten, viele reden Sorbisch. Für Peter Bresan ist das Heimat. Dazu gehört auch, dass er am Ostersonntag als Osterreiter auf das Pferd steigt. In diesem Jahr wird der 83-Jährige zum 71. Mal die Botschaft von der Auferstehung Jesu singend und betend über das Land tragen. Er ist damit der dienstälteste Osterreiter in der Oberlausitz.

Mit Pferdegeschirr und Schweifschleife: Peter Bresan ist seit 71 Jahren Osterreiter.
Mit Pferdegeschirr und Schweifschleife: Peter Bresan ist seit 71 Jahren Osterreiter. © dpa

„Seit 1946 bin ich Osterreiter. Ich empfinde es als Gnade“, sagt Bresan, der noch als Tierarzt praktiziert. Damals kam der 13-jährige Junge von der Lehre in Tschechien für die Ferien nach Hause - und freute sich auf seine erste Prozession. Den letzten Ausritt der Osterreiter, den er als Zuschauer verfolgte, hat er in schlechter Erinnerung. Über dem Zug der Männer in Gehrock und Zylinder kreisten am 1. April 1945 russische Aufklärungsflugzeuge. Ein paar Tage später besetzten Soldaten das Gebiet.

Bresan, gläubiger Katholik, zeigt das mit Muscheln reich verzierte Pferdegeschirr. Er holt ein Band mit einer zarten Blumenstickerei. „In meinem ersten Jahr fehlte meinem Pferd noch jeglicher Schmuck, doch im zweiten Jahr bekam ich diese Schweifschleifen. Ich verwende sie bis heute“, sagt der Sollschwitzer. Er reitet in der Wittichenauer Prozession. Sie ist der älteste Osterreiterzug in der Oberlausitz. Seit 1540 geht der Zug ins benachbarte Ralbitz. Mit der Reformation mussten sich die Wittichenauer eine neue Partnergemeinde suchen. Die Städter aus Hoyerswerda wollten fortan lieber der evangelischen Predigt lauschen.

Andrea Paulick aus dem Sorbischen Museum in Bautzen hat sich mit der Geschichte aller neun Prozessionen mit rund 1500 Reitern zwischen Bautzen, Kamenz und Hoyerswerda beschäftigt. „Es gibt meines Erachtens in der knapp 600-jährigen Tradition niemanden, der so lange wie Peter Bresan Osterreiter war“, sagt die Volkskundlerin. Nicht nur deswegen ist der zweisprachige Wittichenauer Zug mit 450 Reitern besonders. Neben katholischen Sorben reiten Protestanten und Deutsche. Sie werden Kreuzreiter genannt. Gemeinsam treffen sie sich am Morgen des Ostersonntags in der Kleinstadt. Den Weg säumen wie auch anderenorts in der Oberlausitz Tausende Besucher. Auch das Ostersaatreiten von Ostritz zum Kloster St. Marienthal ist ein beliebtes Ausflugsziel.

So viele Menschen wie heute standen in Bresans Anfangsjahren noch nicht am Wegesrand. Für ihn ist die Osterprozession mehr als ein touristischer Höhepunkt. „Es ist das Fest der Auferstehung Christi. Er hat uns ein neues Gebot geschenkt, das Gebot der Liebe, und die Gewissheit, dass der Tod nicht das letzte Wort bedeutet“, sagt der dreifache Vater. Er ließ bis jetzt keinen Ostersonntag aus. Während des Studiums in Leipzig kam er für die Prozession in die Lausitz - wie auch später als Leiter einer tierärztlichen Gemeinschaftspraxis in Meißen. Nach der Wende arbeitete er als Referatsleiter für Veterinärwesen im Gesundheitsministerium.

Egal, wie viel Arbeit auf seinem Tisch lag, am Ostersonntag saß er pünktlich um fünf Uhr zum Gemeinschaftsgottesdienst in der Pfarrkirche in Wittichenau. Unter dem Läuten der Kirchenglocken geht es nach dem dreimaligen Ritt um die eigene Pfarrei in die Nachbargemeinde. Außerhalb der Ortschaften betet die Reiterschar unter anderem den Rosenkranz. In ihrer Prozession führen die Reiter das Kreuz, Kirchenfahnen und Jesus-Statue mit.

Neben dem Sohn reitet inzwischen auch dritte Bresan-Generation mit. Zwei Enkel werden in diesem Jahr zum ersten Mal einen grünen Kranz an ihrem Fracks tragen. Das bedeutet, dass sie zum ersten Mal dabei sind. Die Osterreiter mit einem silbernen Kranz reiten seit 25 Jahren. Der goldene Kranz steht für 50 Jahre. „Danach hören die meisten auf“, sagt Bresan. Dieser Gedanke ist dem frommen Sorben fremd. „Oft werde ich gefragt, wie lange ich noch mitreiten will. Darauf antworte ich stets: Solange ich selbst aufs Pferd steigen kann“, sagt er schmunzelnd. (dpa)