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Schwarze Kunst

Bei Knox in Mohorn darf man Räucherkerzen selber kneten. Zum Glück gibt es hinterher auch Wasser und Seife.

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Von Jörg Stock

Diese Schüssel sieht so ramponiert aus, als wäre sie schon beim Goldrausch im Wilden Westen dabei gewesen. Statt funkelnder Nuggets aber liegt in dem verbeulten Aluminiumzuber ein pechschwarzer, feuchter Klumpen. Dennis Koch-Beier prüft die Konsistenz. Etwas zu viel Wasser drin, findet er. Eigentlich muss der Teig massig und stramm sein, wie für einen guten Streuselkuchen. Er gibt trotzdem grünes Licht. Beim Kneten wird die Feuchte etwas schwinden, schätzt er. Und schließlich backen wir heute nicht für feine Gaumen, sondern für feine Nasen.

Wer Räucherkerzen bastelt, kommt um schmutzige Hände nicht herum, erfuhr SZ-Reporter Jörg Stock bei Knox. Das Schwarz stammt von der gemahlenen Holzkohle, Grundstoff des Kerzenteigs. In den Schüsseln befinden sich Weihrauch, Lavendel und Sandelholz.
Wer Räucherkerzen bastelt, kommt um schmutzige Hände nicht herum, erfuhr SZ-Reporter Jörg Stock bei Knox. Das Schwarz stammt von der gemahlenen Holzkohle, Grundstoff des Kerzenteigs. In den Schüsseln befinden sich Weihrauch, Lavendel und Sandelholz. © Egbert Kamprath
So wird’s gemacht: Zuerst den Geruchsstoff, hier Sandelholzstaub, zum Teig geben und alles ordentlich durchkneten …
So wird’s gemacht: Zuerst den Geruchsstoff, hier Sandelholzstaub, zum Teig geben und alles ordentlich durchkneten … © Egbert Kamprath
… und fertig ist das Erstlingswerk. Bei Anfängern lässt die schlanke Linie meist noch zu wünschen übrig.
… und fertig ist das Erstlingswerk. Bei Anfängern lässt die schlanke Linie meist noch zu wünschen übrig. © Egbert Kamprath

Bei der Räuchermittelherstellung Apotheker Hermann Zwetz in Mohorn-Grund, Synonym Knox, gibt es einen Raum, der an Großmutters gute Stube erinnert. Schokoladenbraune Möbel, Nähmaschine mit Fußantrieb, Kaffeemühle mit Handkurbel, Fernseher aus der Sowjetunion. Hier fühlen sich die Leute in der Zeit zurückversetzt, sagt Dennis Koch-Beier, der Juniorchef von Knox. Die Kulisse passt, denn hier werden Räucherkerzen mit der Hand hergestellt, vielleicht so ähnlich wie bei Apotheker Zwetz vor 150 Jahren.

Die Nachfrage nach dem 90-minütigen Schnellkurs im Kerzenkneten ist dieser Tage enorm. Weihnachtsfeiern, Familienzusammenkünfte, Geburtstagsrunden geben sich die Stubenklinke in die Hand. Bis zum Fest ist kein Termin mehr frei. Zwölf Euro pro Nase kostet die Aktion. Genug Geld, um in einem günstigen Laden zwölf Packungen Knox zu kaufen. Wieso dann der Drang zum Eigenbau?

Die bekehrten Räucherhasser

Es hängt mit dem Gemütlichkeitsfaktor zusammen, sagt Seniorchefin Marion Koch. Gemütlichkeit, sagt sie, ist das, was vielen im Alltag fehlt. „Zusammensitzen, basteln – das ist Weihnachten.“ Dazu kommt der Spaß am Selbstversuch. Es ist wie beim Plätzchenbacken, findet Dennis Koch-Beier. „Wenn man es selber macht, steckt viel mehr Liebe drin.“ Er hat schon einige Räucherhasser bekehrt. Das seien dann die gewesen, die am längsten hier saßen mit dem Ehrgeiz, die perfekte Kerze zu formen.

Die perfekte Kerze wird unten in der Produktion gemacht: 18 Millimeter hoch, schlank, ein Gramm schwer, Brenndauer rund 12 Minuten. Sechzig Millionen davon, ganz grob gerechnet, verlassen jedes Jahr die Fabrik und reisen zu ihrer Kundschaft, die in Deutschland und der ganzen Welt wohnt, in den USA zum Beispiel, in China, Japan, Neuseeland, Südafrika und Dubai.

Blicke in die Fabrikation sind bei Knox tabu. Im Groben funktioniert die Herstellung so: In einem Knetautomaten, wie man ihn vom Bäcker kennt, werden die Zutaten – Holzkohlemehl, Duftstoffe und Stärke als Bindemittel – vermengt. Die Paste wird zum Strang gepresst. Dann folgt der geheime Arbeitsgang. Anschließend fallen die Kerzen auf einen Gitterrost, die Roste kommen in die Klimakammer und bleiben dort vier bis sechs Tage bei maximal 36 Grad. Ein Automat zählt die getrockneten Kerzen ab und tütet sie ein, immer 24 Stück auf einmal, genau so viele, wie der Dezember Tage bis Weihnachten hat. Handarbeit bleibt trotzdem, sagt Dennis Koch-Beier, zum Beispiel beim Einlegen der Tütchen in die Schachteln. „Die menschliche Hand ist nur schwer zu ersetzen.“

Jetzt also Handarbeit pur. Aus dem Alupott, der ein heiliges Erbstück von Knox-Erfinder Erich Koch ist, greife ich mir ein Quantum schwarze Paste heraus und rolle es zu einer tischtennisballgroßen Kugel. Schon sind meine Hände dreckig wie die vom Kohlenmunk. Dennis Koch-Beier deutet zur Wand, wo ein omamäßiges Waschbecken hängt. „Kernseife ist auch da.“

Nun wird die Geruchsrichtung gewählt aus einem der Schälchen mit gemahlenen Substanzen. Das graugelbe Pulver? Das ist Weihrauch, ein spezielles Baumharz. Das mögen vor allem die Erzgebirgler, heißt es. Im Gegensatz zu den Bayern übrigens. Die haben wohl schon genug Weihrauch in der Kirche. Und das Grünliche? Lavendel. Beliebt im Norden, wie überhaupt die blumigen Düfte. Das rote Pulver sieht aus wie Paprika edelsüß. Es ist Sandelholz. Das nehme ich.

In den Klops eine Mulde gedrückt, den roten Staub eingefüllt und alles gut durchgeknetet – fertig ist mein Ausgangsmaterial. Jetzt wird es ernst. Mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger löse ich ein kleines Stück der Sandelholzpaste ab. Nur nicht zu viel nehmen. Räucherkerzen werden beim Verglimmen über 400 Grad heiß. Sind sie zu groß, bekommen sie dem Räuchermann schlecht. Die rohe Kerze, die zwischen den Fingern automatisch zu einem Dreikant geworden ist, wird auf eine Schieferplatte gesetzt. „Jetzt drehen“, dirigiert Koch-Beier. Und dabei einen schönen „Zippel“ formen, denn der ist nützlich beim Anzünden.

Ich drehe und drehe. Der Dreikant verliert zwar seine Kanten. Aber ein schlanker Knox-Zögling wird nicht aus ihm. Das Produkt hat einen Bierbauch. Koch-Beier redet mir gut zu. Bauchigkeit ist typisch für Erstlingswerke, sagt er. „Machen Sie mal fünf, sechs Stück, dann haben Sie den Bogen raus.“ Ich versuche, den Kegel mit sanftem Druck in die Länge zu ziehen, den Bauch zu glätten. Mist! Jetzt ist die Spitze ab.

Doch ich gebe nicht auf. Das entspricht der Erfahrung. Männer stecken mehr Geduld in diese Beschäftigung als Frauen, sagt Dennis Koch-Beier. Endlich ist mein erster Räucherkerzeneigenbau vollendet. Etwas verbeult und ohne „Zippel“ erinnert er wenigstens entfernt an das Original. Der Profi ist zufrieden. „Fürs erste Mal einwandfrei“, findet er. „Hut ab.“

Jetzt aber nichts wie hin zu Omas Waschbecken. „Ach so“, sagt Herr Koch-Beier, „da gibt es ein kleines Problem: Die haben uns vorhin das Wasser abgestellt.“ Irgendwie habe ich auf den Witz gewartet.

Termine fürs Selberkneten gibt es erst wieder nächstes Jahr unter 035209 20512 oder [email protected]