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Schönes, gefährliches Görlitz

Der Fassadensturz in der Görlitzer Landeskronstraße kommt nicht überraschend. Das sagen die Bewohner. Und die Stadt dementiert nicht.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ingo Kramer

Gundula König mag die Landeskronstraße sehr. Eine schöne Straße sei das, gut zum Wohnen und mit ausreichend Stellplätzen vor der Haustür, sagt die Chefin der I & H Immobilien und Haustechnik GmbH mit Sitz in der Landeskronstraße 1. Doch sie verwaltet nicht nur die Nummer 1, sondern auch die 33 und die 35. „Beide Häuser sind voll vermietet“, sagt sie.

Die Berufsfeuerwehr war am Freitagabend mit vier Einsatzfahrzeugen vor Ort in der Landeskronstraße 34, ...
Die Berufsfeuerwehr war am Freitagabend mit vier Einsatzfahrzeugen vor Ort in der Landeskronstraße 34, ... © Pawel Sosnowski/80studio.net
... um den Schaden an der Fassade zu kontrollieren ...
... um den Schaden an der Fassade zu kontrollieren ... © privat
... und die Straße abzusperren. Unterstützt wurde sie durch die Freiwillige Feuerwehr Stadtmitte.
... und die Straße abzusperren. Unterstützt wurde sie durch die Freiwillige Feuerwehr Stadtmitte. © privat

Doch beide haben ein Problem, und das steht genau zwischen ihnen: Die Nummer 34. In deren Fassade klafft seit Freitagabend ein großes Loch. Die Trümmer der abgestürzten Hauswand liegen auch jetzt noch quer über die gesamte Straßenbreite verteilt. Nur der gegenüberliegende Gehweg ist für Fußgänger freigegeben, alles andere bleibt gesperrt.

Über den Einsturz überrascht ist Gundula König keineswegs: „Ich war vor vier oder fünf Jahren mal in dem Haus.“ Der Zustand sei schon damals so schlecht gewesen, dass sie auf der Schwelle umgedreht ist. Seither hat sie vieles unternommen, hat die 20 oder 25 Mitglieder der Erbengemeinschaft ausfindig gemacht, der das Haus gehört. „Die wollen verkaufen, aber richtig Geld dafür haben“, sagt sie. Vermutlich waren viele von ihnen noch nie vor Ort und kennen den Zustand ihrer Immobilie nicht.

Doch Gundula König hat nicht nur die Eigentümer aufgefordert, das Haus zu sichern: Sie hat sich in diesen vier oder fünf Jahren wiederholt an die Bauaufsicht gewandt und auf den Zustand hingewiesen. „Ich bekam zu hören, dass das Haus gesichert wird“, sagt sie. Passiert sei jedoch nichts. Auch der Eigentümer der 33 habe sich wiederholt an die Bauaufsicht gewandt: „Auf seine letzten Schreiben vom 14. August und vom 8. September vorigen Jahres kam gar keine Antwort mehr.“ Jetzt erhält OB Siegfried Deinege die Schreiben in Kopie. Und der Eigentümer der 33 will rechtliche Schritte einleiten. „Es muss immer erst das Kind in den Brunnen fallen, ehe etwas passiert“, ist Gundula König enttäuscht. Und das in einer so schönen Lage.

Wobei: Über die Lage gibt es unterschiedliche Ansichten. Früher war die Landeskronstraße eine der Haupteinkaufsstraßen von Görlitz. Noch vor zehn Jahren gab es hier Edeka, Sparkasse, Bäcker, Fleischer, Blumenladen und vieles mehr. Jetzt gibt es noch Dieter Schulze mit seiner Allianz Versicherungsagentur. Die sitzt seit 17 Jahren in der Nummer 10. „Von der Sache her ist das hier keine schlechte Gegend“, sagt er. Die Stadt habe die Straße saniert, auch den nahen Lutherplatz. Das sei alles sehr schön. Für die Kunden gebe es genug kostenlose Parkmöglichkeiten: „Und seit zwei Jahren haben wir schnelles Internet.“

Eigentlich wollte er auch wegziehen, aber das schnelle Internet war der Grund, doch zu bleiben: „Dadurch geht es uns jetzt ganz gut hier.“ Den schleichenden Niedergang der Straße mit dem Ladensterben hat er verfolgt. Der Hauptgrund in Schulzes Augen: Die Kundschaft der Läden altere deutlich: „Hier wohnen fast nur noch alte Leute.“

Letzteres bestätigt Anne-Kathrin Schöbel. Seit 1991 war die Allgemeinmedizinerin in der Landeskronstraße 44 ansässig, vor fünf oder sechs Jahren ist sie in die Nummer 29 gezogen. „Jüngere und Arbeitsfähige wohnen hier kaum noch“, sagt sie. Allerdings sieht sie darin nicht den Grund für das Ladensterben: „Schuld sind die großen Märkte wie Lidl, Penny und Netto, die in der Nähe aufgemacht haben.“ Der Fassadensturz kommt für sie nicht völlig überraschend.

Der Gehweg vor dem Haus sei ja schon vorher abgesperrt gewesen: „So etwas wird ja nicht umsonst getan.“ Hinzunehmen sei das nicht: „Solchen Eigentümern müsste man mal gewaltig auf die Finger hauen.“ Schulze hingegen hatte nicht damit gerechnet: „Das ist ein tragischer Fall.“ Doch alle sind froh, dass zumindest kein Mensch verletzt worden ist.

Das wäre tatsächlich fast passiert. Nach SZ-Informationen ist eine Anwohnerin aus der Straße am Freitagabend fast erschlagen worden, als sie an dem Haus vorbeilief. Die Frau konnte gerade noch ausweichen, war aber am Montag telefonisch nicht für eine Schilderung der Situation erreichbar.

Die Stadtverwaltung hielt sich am Montag mit Informationen ebenfalls sehr zurück. Neben parkenden Autos seien auch Straße und Gehweg beschädigt worden, teilt sie mit. „Es ist derzeit auch nicht auszuschließen, dass weitere Gebäudeteile einbrechen oder auf die Straße stürzen“, sagt Rathaussprecher Wulf Stibenz. Ebenfalls könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Dachstuhl Schaden nimmt. Nach der ersten Einschätzung des Statikers bestehe dadurch aber keine Gefahr für die Standsicherheit der angrenzenden Gebäude.

Am Dienstag sollen die nächsten Schritte benannt werden können. Eine Entscheidung über mögliche Sicherungsmaßnahmen oder Abriss könne noch einige Zeit in Anspruch nehmen: „Abzuwägen ist dabei, welche Technologie für Sicherung oder Abriss in Betracht kommt.“ Auf die schwerwiegenden Vorwürfe von Gundula König geht Stibenz mit keiner Silbe ein. Anders gesagt: Er dementiert sie auch nicht.