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Schnecken für den Neuanfang

400 Gefangene und 150 Weinbergschnecken: In der JVA Zeithain züchten Häftlinge Schnecken. Mit der Gartentherapie kommt wieder Struktur in ihr Leben.

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© dpa

Von Romina Kempt

Zeithain. „Sie paaren sich gerade“, sagt Wilma Landgraf. Sie zeigt auf zwei Schnecken. Für die Gartentherapeutin der Vollzugsanstalt Zeithain ist das ein gutes Zeichen. Die Tiere sollen sich schnell vermehren. „In ein paar Jahren können wir sie an Gourmetrestaurants oder andere Abnehmer verkaufen“, erklärt sie. Neben der schlanken Frau steht Marcel T. Er hebt ein besonders großes Exemplar mit seinen starken Händen hoch. Er ist Gefangener. Seit mehr als drei Jahren sitzt er hinter Gittern. Nun kümmert er sich im hauseigenen Garten um die neuen Mitbewohner. So bizarr es scheint - die Tiere sind Teil eines Gefängnis-Konzepts.

Seit Mai leben die Schnecken hinter einem hüfthohen Zaun im Grünen. Damit hat das Gefängnis bei Riesa nach eigenen Angaben die einzige Schneckenzucht in ganz Sachsen. Auf die Idee, die rund 150 Weinbergschnecken in die Haftanstalt zu holen, kam Landgraf. „Schnecken sind nicht allzu teuer. Außerdem kann man therapeutische Ziele mit ihnen gut umsetzen“, erklärt die studierte Gartenbauerin.

Wieder Struktur erleben

Vier Gefangene sind für die Tiere verantwortlich. Sie müssen das Gehege sauber halten, die Schnecken mit einem Brei aus Mehl, Eierschalen und Wasser füttern und bei Bedarf den Zaun reparieren. Die Arbeit im Freien, die Absprachen untereinander, das Gefühl etwas zu bewirken - das helfe den Männern, wieder Struktur in ihr Leben zu bringen, aber auch körperlich fit zu bleiben, erklärt Landgraf. Neben den schleimigen Mitbewohnern müssen sich die Gefangenen im rund drei Hektar großen Garten auch noch um neun Hühner, vier Schafe und etliche Kaninchen kümmern - ein Fulltime-Job.

Die Arbeit ist Teil ihres Therapieplans. Ein Großteil der rund 400 Häftlinge der JVA Zeithain kam mit Drogenproblemen in das Gefängnis. Eine neunmonatige Suchttherapie liegt bereits hinter den vier Männern. Drei weitere Monate sollen sie das Gelernte bei der Arbeit im Freien vertiefen.

Marcel T. steht am Kaninchenstall. Er streichelt eines der erst vor ein paar Wochen geborenen Häschen. „Ich wollte gern was mit Tieren machen“, sagt der 34-Jährige. Er hofft auf einen Neuanfang in Freiheit, mit Job und echten Freunden. In seinem früheren Leben war er Gruppenleiter in einer Behindertenwerkstatt. Dann dealte er mit Drogen, rutschte ab. Jetzt hat er wieder eine sinnvolle Aufgabe. Die Gartentherapie stärkt ihn.

Eine zentrale Aufgabe eines modernen Justizvollzugs sei es, therapeutische Maßnahmen anzubieten, um die Gefangenen auf ein Leben ohne Straftaten vorzubereiten, erklärt der sächsische Justizminister, Sebastian Gemkow (CDU). Landesweit gebe es ähnliche Projekte für die insgesamt knapp 3500 Häftlinge. Sie reichten von Musikstunden bis hin zu Väter-Wohngruppen.

Die Jugendstrafvollzugsanstalt (JSA) Regis-Breitingen bietet beispielsweise Kunsttherapien an. Die jungen Gefangenen können nach Angaben des Ministeriums dort malen, mit Holz arbeiten oder Theater spielen. Eine fest angestellte Kunsttherapeutin leitet sie an.

Sport gegen Extremismus

In der JVA Dresden werden Väter unterstützt, Kontakt mit ihren Kindern zu halten oder wieder herzustellen. Im Frauengefängnis in Chemnitz und in der JVA Waldheim gibt es spezielle Angebote für ältere Gefangene. In Bautzen, Torgau sowie Waldheim, Zeithain und Regis-Breitingen gibt es Sport- und Musik-Projekte gegen Extremismus.

Es seien ganz kleine Schritte, die die Gefangenen mit Hilfe der Therapien machen würden, erklärt Gartentherapeutin Landgraf. Ein ehemaliger Insasse habe sich nach seiner Haft einen Schrebergarten zugelegt. Die Therapie gehe zudem über die Pflege der Tiere hinaus. Die Kaninchen etwa würden geschlachtet und gegessen. „Wir kochen alles selbst hier drin“, erklärt Marcel T.

Das sei wichtig: Dadurch schätze er die Tiere mehr. Außerdem schlage das Essen von der Kantine auf das Gemüt. „Die Moral steht und fällt mit dem Essen“, sagt er. Die Weinbergschnecken wolle er aber nicht essen. (dpa)