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Es stinkt im Erzgebirge

Weht der böhmische Wind, dann trauen sich viele Menschen im Erzgebirge nicht nach draußen. Von „Katzendreckgestank“ ist die Rede - und von gesundheitlichen Problemen. Jetzt will sich die Bundesumweltministerin über die Lage informieren.

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© Egbert Kamprath

Von Luise Binder

Dresden/Seiffen. Dicke Luft im Erzgebirge: Zwei Novemberwochen lang ging Anita Müller mit ihren beiden Söhnen nicht nach draußen. Manchmal seien sie in andere Gegenden gefahren. „Die Kinder brauchen ja frische Luft, aber die haben wir hier nicht“, sagt die junge Mutter.

Müller wohnt mit ihrem Nachwuchs in Oberseiffenbach, einem Ortsteil von Seiffen. Sie sei hier aufgewachsen und habe sich an den beißenden „Katzendreckgestank“ ihrer Region gewissermaßen gewöhnt. Doch spätestens seit sie Mutter wurde, sei ihr klar, dass der böhmische Süd-Ost-Wind in den Wintermonaten nicht nur Geruchsprobleme ins Erzgebirge weht. Mit Erbrechen, Durchfall, Atemproblemen und Appetitlosigkeit mache sich das Phänomen bei ihren Kindern bemerkbar. „Da liegen die Nerven blank“, sagt die 25-Jährige.

In den vergangenen 15 Jahren hatten die sächsischen Umweltbehörden eine Vielzahl von Analysen, Messungen und Untersuchungen organisiert, um die Quellen des Gestanks herauszufinden. So viel steht bisher fest: Er hat seinen Ursprung in der nordböhmischen Industrieregion in der Tschechischen Republik. Eine einzelne Quelle für die Belastungen konnte bisher aber nicht identifiziert werden. Es lägen auch keine Informationen vor, dass einzelne Industrieanlagen die EU-weit geltenden Grenzwerte für Luftschadstoffemissionen nicht einhalten, berichtet das sächsische Umweltministerium.

Nun liege der Schwerpunkt auf einer noch zu entwickelnden Analysenmethode für die Bestimmung von Mercaptanen. Mercaptane (Thiole) gehören zu den schwefelhaltigen Verbindungen. Sie könnten aus dem petrochemischen Komplex im benachbarten böhmischen Becken bei verschiedenen Vorgängen emittieren.

„Die Menschen sind enttäuscht“

„Die Menschen sind enttäuscht“, sagt Hartmut Tanneberger, Sprecher der Bürgerinitiative „Für saubere Luft im Erzgebirge“. Für die Betroffenen sei es unverständlich, dass nach so langer Zeit noch nichts Genaueres festgestellt wurde. Vor allem die Ergebnisse der vielfältigen Untersuchungen des Gesundheitsministeriums seien für viele Anwohner nicht nachvollziehbar.

Keine der Erhebungen könne eine krankmachende Wirkung beweisen, heißt es in dem Ministerium. Das empfinden vor allem Eltern als herben Schlag. „Natürlich ist es nicht bewiesen, aber man kann ja eins und eins zusammenzählen“, sagt Anita Müller.

Christian Vogelberg ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum in Dresden. Er betreut etwa zehn Kinder aus der Erzgebirgsregion, allesamt wegen Atemwegsbeschwerden - grundsätzlich nichts Ungewöhnliches. Doch die Eltern der betroffenen Kinder berichten unisono, dass die Beschwerden bei dem Gestank zunehmen. „Nach meiner Einschätzung kann an der ganzen Sache schon etwas dran sein, vor allem bei Kindern, die sowieso eine Atemwegsempfindlichkeit aufweisen“, sagt der Kinderarzt.

Die Bürgerinitiative will dran bleiben und sich nicht abwimmeln lassen. „Wenn die neuen Messungen erfolgreich sind, dann können wir auf die verantwortlichen Betriebe zugehen“, sagt Tanneberger. Die Unterschriftenaktionen und Briefe der Bürgerinitiative an die Politik gingen schon bis nach Brüssel. „Wenn Druck da ist, dann muss die Politik auch reagieren“, sagt Tanneberger.

Anita Müller will daran glauben. Sollte sich jedoch nicht bald etwas ändern, müsse ihre Familie ernsthaft über einen Wegzug nachdenken, sagt sie. Dann könnten ihre Kinder endlich wieder draußen spielen - egal, von wo der Wind weht.

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) will sich am Samstag in Olbernhau über Gestank informieren. Dazu ist ein Treffen mit der Bürgerinitiative für saubere Luft im Erzgebirge geplant, teilte das Ministerium mit.(dpa)