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Schatz Nummer 4.900 brachte den Tod

In der vergangenen Woche stürzte Willi H. (21) in Pirna von einer Brücke. Er war auf Schatzsuche.

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Von Florian Thalmann und Anna Hoben

„Ich habe das ganze Wochenende geweint“, sagt Dominika Urban. Die 27-jährige Röntgenassistentin aus Dresden kniet am Ufer der Gottleuba, zündet Kerzen an und befestigt Blumen am Maschendrahtzaun. Auch Fotos hängen dort, Bilder eines jungen Mannes.

Es ist der 21-jährige Dresdner Willi H., den am Donnerstag Passanten tot in der Gottleuba fanden. Nun steht fest: Der Student war auf Schatzsuche. Schon seit über sechs Jahren beschäftigte er sich mit „Geocaching“, einer Art moderner Schnitzeljagd. Nach bisherigen Erkenntnissen geschah das Unglück, als Willi H. an einer Fernwärmebrücke nahe der B172 einen sogenannten Cache, einen versteckten Schatz, bergen wollte. Er kletterte auf die Brücke. Auf der Suche nach dem Schatz, einem kleinen Röhrchen mit einer Art Gipfelbuch, in das er sich eintragen wollte, stürzte er sechs Meter in die Tiefe.

Bisher geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass Willi abstürzte, weil ein Abdeckgitter am Brückensteg fehlte. „Vermutlich schlug er mit dem Kopf auf einem Stein auf. Daraufhin hat er sich noch einige Meter in Richtung Uferböschung bewegt“, sagt Staatsanwalt Andreas Feron. Dort erlag er seinen Verletzungen. Erst viele Stunden später wurde seine Leiche entdeckt. Am Unglücksort fand die Polizei zwei Stifte, eine Taschenlampe, ein Handy, Autoschlüssel – und ein GPS-Gerät, wie es moderne Schatzsucher benutzen.

„Leider gibt es an der Brücke kein Schild, auf dem steht, dass der Zutritt verboten ist“, sagt Swetlana Irmscher, Sprecherin der Pirnaer Stadtwerke. „Die Fernwärmeleitung ist eine Betriebsanlage der Stadt, Unbefugten ist der Zutritt verboten.“ Der Steg neben den Rohren der Fernwärmeleitung sei ausschließlich zur Wartung gedacht und nur über eine verschlossene Luke zu erreichen. Wahrscheinlich hatte bereits ein früherer Besucher die Luke aufgebrochen.

In der sächsischen Geocaching-Szene löste der Fall Bestürzung aus. „Ich kannte Willi, habe ihn bei unseren Treffen immer wieder gesehen“, sagt Dominika Urban. Er sei eine feste Größe in der Szene gewesen, ein Profi. Bisher versteckte er selbst über 100 Caches für andere Schatzsucher. Gefunden hatte er bisher 4.899. „In Dresden lag er damit auf dem ersten Platz, sachsenweit auf dem zweiten“, erzählt Dominika Urban. „Sein Ziel war es, die 5.000 zu erreichen.“

Auch die Nutzer des Internetforums „geocaching.com“ reagierten prompt auf die Nachricht von Willis Tod. In dem Forum sind alle Verstecke in Deutschland für Hobby-Schatzsucher erfasst. Erst am zehnten November hatte ein Nutzer den an der Brücke angebrachten Schatz mit dem Namen „Tanzstunde“ angemeldet. Im Internet hatte er die geografischen Koordinaten registriert, damit andere Geocacher sich auf die Suche nach dem Röhrchen begeben konnten. „Nach einem Unfall ist es uns moralisch nicht möglich, diesen Cache weiterzubetreiben“, kommentierte der Urheber am vergangenen Freitag.

Denn: Möglicherweise trug die Beschreibung des Verstecks zu der Tragödie bei. Im Forum wird darauf verwiesen, dass es besser sei, den Schatz in der Nacht zu suchen. Am Tag seien an der Brücke zu viele Leute unterwegs. „Das war ein großer Fehler“, sagt Dominika Urban, die selbst seit fünf Jahren als Geocacherin in Sachsen unterwegs ist.