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Samuel W. darf hoffen

Er reiste von Dippoldiswalde nach Syrien, kam aber bald freiwillig zurück. Mit etwas Glück muss er nicht vor Gericht.

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© privat

Von Thomas Schade

Alle wollten die Sache schnell hinter sich bringen, die Eltern, die Verteidigung und natürlich auch Samuel W. Der junge Mann aus der Nähe von Dippoldiswalde hatte im September 2014 sein Sportstudium in Jena hingeschmissen und war einem Freund nach Syrien gefolgt. Dort habe er sich in einem Terrorcamp ausbilden lassen wollen, so wirft es ihm die Staatsanwaltschaft Dresden vor und hat ihn nach Paragraf 89a angeklagt: Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.

Samuels Verteidigung hat schon vor Monaten beantragt, die Hauptverhandlung nicht zu eröffnen, weil das Ermittlungsergebnis nicht den erhobenen Vorwürfen entspreche, so der Berliner Rechtsanwalt Walter Venedey.

Doch seither wanderte die Anklage zwischen Pirna und Dresden hin und her. Zunächst hatte das Pirnaer Amtsgericht, wo die Anklage eingegangen war, den Fall an das Dresdner Landgericht abgegeben. Dort sollte er wohl vor die Staatsschutzkammer. Doch in Dresden erklärte man sich für nicht zuständig und gab die Sache vor mehreren Wochen schon zurück nach Pirna. Dort am Amtsgericht, so der zuständige Pressesprecher, solle nun voraussichtlich bis zum Jahresende entschieden werden, ob die Hauptverhandlung gegen Samuel W. eröffnet wird. Zuvor wolle das Gericht einen ähnlichen Fall zurate ziehen, über den der Bundesgerichtshof unlängst entschieden hat.

Dabei dürfte es sich um den sogenannten Allgäuer Islamistenprozess handeln. Bei dem Fall hatte der für Staatsschutzsachen zuständige 3. Strafsenat des BGH Ende Oktober ein Urteil des Landgerichts München I bestätigt. In dem Fall geht es um eine Mutter von zwei Kindern aus dem Allgäu, die, der Mitteilung des BGH zufolge, im Jahr 2012 zum Islam konvertiert war. Zu Beginn des Jahres 2014 reiste sie mit ihren zwei minderjährigen Kindern nach Syrien. Nach Feststellungen des Gerichts wurde die zweifache Mutter dort nach islamischem Recht die Zweitfrau eines Mitglieds der Jabhat al-Nusra, einer Splittergruppe von al-Qaida.

Weil sie selbst mit dieser Gruppe sympathisierte, ließ sie sich auch im Umgang mit Schusswaffen unterweisen. Sie war bereit, eine Maschinenpistole, ein Sturmgewehr und Handgranate einzusetzen, falls die Familie von der syrischen Armee oder anderen feindlichen Kämpfern angegriffen würde. Weil die Gefahr eines Angriffs angeblich immer größer wurde, kehrte die Frau mit den beiden Mädchen im Mai 2014 nach Deutschland zurück.

Das Münchner Landgericht sprach die Frau vom Vorwurf des Paragrafen 89a frei. Der Bundesgerichtshof schloss sich der Entscheidung an und argumentierte, dass die Frau aus dem Allgäu sich zwar an den Waffen ausbilden ließ, aber nicht zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat, sondern um sich und ihre Kinder zu verteidigen. Sie war sogar mehrmals umgezogen, um nicht in Kämpfe verwickelt zu werden.

Der BGH erteilte damit der pauschalen Anwendung des Paragrafen 89a eine Absage und verlangte eine Gesamtbetrachtung aller Umstände. So reiche es nicht, mit einer terroristischen Vereinigung zu sympathisieren und sich an Waffen unterweisen zu lassen. Von diesem Hintergrund wird auch für Samuel W. abhängen, ob er doch vor Gericht muss. Die Mutter aus dem Allgäu wurde übrigens dennoch bestraft. Sie hatte dem getrennt lebenden Vater für Monate die Kinder entzogen.