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Sachse in Seenot

Vor 150 Jahren wurde die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger gegründet. Dirk Scholz wäre vor Wangerooge ohne ihre Hilfe wohl ertrunken.

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© dpa

Von Janet Binder

Strahlender Sonnenschein, nicht zu viel Wind, ein ganz normaler Tag in der Nordsee vor Wangerooge. Doch die Strömung in dem Seegatt ist heimtückisch. „Eine der gefährlichsten Stellen, die die deutsche Nordsee zu bieten hat“, sagt Dirk Scholz. An jenem 12. September 2014 kentert er unversehens mit seiner fünf Meter langen Jolle. Eine gefährliche Grundsee hat sich aus dem Nichts aufgebaut, mehrere Brecher sind ins Boot gestiegen. Zunächst denkt Scholz, er könne mitsamt seinem Seesack an Land schwimmen, doch dann zieht ihn die Strömung hinaus. Per Handy verständigt er seine Freundin, die einen Notruf absetzt. Eine Stunde dauert es bis zur Rettung, so lange treibt er im 15 Grad kalten Wasser. „Zwischenzeitlich habe ich mich ziemlich ernsthaft mit der Aussicht beschäftigt, dass es das gewesen ist“, sagt der 50-Jährige heute.

Der Sachse, der auf Wangerooge ein Jugendgästehaus betreibt, ist einer von 55 Menschen, die die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) 2014 aus akuter Seenot in Nord- und Ostsee gerettet hat. Seit 150 Jahren sind die Seenotretter im Einsatz. Ab heute wird das Jubiläum gefeiert mit einem umfangreichen Programm – vom Festakt im Rathaus über eine Schiffstaufe auf dem Marktplatz in Bremen bis hin zur Schiffsparade in Bremerhaven.

Seenotretter waren schon für viele Seefahrer und Freizeitskipper die letzte Hoffnung. „Man ist auf See schnell auf sich allein gestellt“, sagt der ehrenamtliche DGzRS-Vorsitzende Gerhard Harder. Wie dringend sie auch heute gebraucht werden, zeigt der Fall der „Purple Beach“. Der Düngemittelfrachter geriet am vergangenen Dienstag in der Nordsee westlich von Helgoland in Not, weil sich Hitze und Rauch in seinem Frachtraum gebildet hatten. An den Rettungsarbeiten, die vom Havariekommando in Cuxhaven geleitet wurden, war auch der Seenotrettungskreuzer „Hermann Marwede“ beteiligt.

„Obwohl die Seeschifffahrt immer sicherer wird, liegen die Einsatzzahlen in den letzten zehn Jahren auf hohem Niveau“, sagt Harder. Denn der Seeverkehr, aber auch der Segel- und Motorsport nimmt zu. 180 Festangestellte beschäftigt die Gesellschaft, mehr als 800 Freiwillige unterstützen sie.

Einer von ihnen ist Roger Riehl. Seit 1973 arbeitet der Wangerooger in seiner Freizeit bei der DGzRS. Sein Geld hat er als Betriebsleiter eines Freizeitbads verdient, inzwischen ist der 65-Jährige in Rente. Seit 30 Jahren fährt er als Vormann, heute auf dem Seenotrettungsboot „Wilma Sikorski“. Riehl war auch bei der Rettung von Dirk Scholz im vergangenen  September dabei. „Wir haben nicht damit gerechnet, ihn zu finden“, erinnert er sich. Ein Hubschrauber hatte bereits abgedreht, weil der Pilot nichts im Wasser entdeckt hatte.

Als der Hubschrauber wegflog, „war das der Tiefpunkt“, sagt Scholz, der mit seiner Jolle schon über 100-mal zwischen Festland und Insel gesegelt war. Das Sichtfeld war wegen der hohen See sehr begrenzt. „Als ich dann das Seenotrettungsboot sah, dachte ich, nun muss ich nicht mehr sterben.“ Riehl und seine Crew dachten zunächst, da schwimme ein Kanister im Wasser. Beim Näherkommen stellte sich heraus, dass es der Seesack war, an dem sich Scholz festklammerte.

Jolle segelt der erfahrene Freizeitskipper Scholz seit dem Unglück nicht mehr. „Das musste ich meiner Freundin versprechen.“ Dafür kaufte er sich einen Fischkutter: „Der ist stabiler.“ (dpa)