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Rockerkrieg im Gerichtssaal

Am Freitag begann in Leipzig der Mordprozess gegen vier Hells Angels – unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen.

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© dpa

Von Sven Heitkamp, Leipzig

Am Freitagmorgen gegen 8.30 Uhr rasen vier Polizeikolonnen mit Blaulicht und Martinshorn durch Leipzig. Ihr Ziel ist der Innenhof des Landgerichts. Ihre Fracht sind vier Mitglieder der Motorradgang „Hells Angels“ auf dem Weg auf die Anklagebank. Sie sollen bei einer Schießerei auf der Eisenbahnstraße den Anwärter des verfeindeten Klubs „United Tribunes“, Veysel A., getötet und zwei weitere Tribunes-Mitglieder lebensgefährlich verletzt haben. Die Angeklagten sitzen bisher in unterschiedlichen Gefängnissen in Leipzig, Dresden, Görlitz und Waldheim und müssen zu dem Mordprozess quer durch Sachsen gekarrt werden.

Weil Polizei und Justiz Racheakte auf offener Straße fürchten, läuft der Prozess mit einem riesigen Sicherheitsaufwand: Am Gerichtseingang müssen sich alle Besucher ausweisen, sie werden abgetastet und müssen Taschen öffnen, vor dem Saal stehen Sicherheitsschleusen. Justizbeamte, sonst eher im dünnen blauen Hemd zu sehen, tragen Waffen und schusssichere Westen. Die Polizei ist mit einer Hundertschaft vor und im Landgericht präsent. Die Anklagebank ist mit einer zusätzlichen Tischreihe umstellt – willkommen im Rockerkrieg.

Schießerei am hellichten Tag

Tatsächlich sitzen in den Zuschauerreihen eine Handvoll Anhänger von beiden Rockerklubs – nur durch einen leeren Gang und die strengen Blicke der sprungbereiten Beamten getrennt. Im Saal sind auch jene zwei Männer, die bei der Schießerei mit Bauchschüssen schwer verletzt wurden. Sie waren noch selbst in die nächste Klinik gefahren – und mussten sofort notoperiert werden. „Ohne den Notarzt wären beide Opfer an ihren Verletzungen verstorben“, sagte Oberstaatsanwalt Guido Lunkeit in seiner kurzen Anklageschrift, die er binnen fünf Minuten verliest. Er wirft den Rockern gemeinschaftlichen Mord aus niedrigen Beweggründen vor.

Demnach trafen die beiden Gangs am 25. Juni vorigen Jahres, ein Samstagnachmittag, gegen 15 Uhr aufeinander. Die United Tribunes, denen überwiegend Migranten angehören, haben an der Eisenbahnstraße ihr Klubhaus und ihr Revier. Die rivalisierenden Hells Angels wollten den Einfluss der Neulinge aber nicht hinnehmen. Nachdem einer der Tribunes, der in Leipzig lebende Iraner Sooren O., einen der Hells Angels am Vormittag geschlagen habe, hätten die Rocker Rache nehmen wollen, so Lunkeit. Mindestens ein Dutzend der „Höllenengel“ seien vor dem Treffpunkt aufgekreuzt. Dass die Polizei vor Ort ein Aufeinandertreffen verhindern wollte, störte sie offenbar kaum.

Während die Tribunes nur mit einer Prügelei rechneten, wie eines der überlebenden Opfer Umut A. später in einer Vernehmung aussagte, sei sofort geschossen worden. „Es fielen noch die Worte: ,Ach du Scheiße!‘ In dem Moment knallte es schon“, zitierte ein Ermittler den 35-Jährigen. Siebenmal sei mit einer Präzisionspistole Walther auf die Tribuns geschossen worden, so Staatsanwalt Lunkeit. Der Türke Veysel A. wurde durch zwei Schüsse schwer verletzt. Als der 27 Jahre alte Klub-Anwärter am Boden lag, hätten Hells Angels mehrfach auf dessen Kopf und Körper eingetreten. Er starb kurz danach im Krankenhaus.

Die Angeklagten schweigen

Auf der Anklagebank in Hemd, Pullover und Jeans wirken die vier Rocker zwischen 31 und 45 Jahren relativ harmlos. Nur Marcus M., der Boss des inzwischen aufgelösten Leipziger Hells-Angels-Charters, trägt ein Shirt mit Harley-Davidson-Aufdruck. Er war zwischenzeitlich nach Österreich geflüchtet, wurde aber in Wien von einem Polizeiaufgebot verhaftet. Als Todesschütze angeklagt ist der bullige 31-jährige Stefan S. Es gibt sogar ein Video von der Schießerei, das ein Zeuge aufgenommen hat. Einer der Anwälte der Hells Angels versucht aber noch, die Nutzung des Beweises zu stoppen – aus Gründen des Persönlichkeitsrechts und des Datenschutzes seines Mandanten. So dürfte es schwer werden, die Vorgänge der Schießerei weiter zu erhellen. Alle Angeklagten schweigen ebenso zu den Vorfällen wie auch viele Zeugen und Beteiligte beider Seiten. Sie verweigern die Aussage, weil gegen manche von ihnen Ermittlungsverfahren laufen, etwa wegen Landfriedensbruchs.

Als einziger Zeuge gab ein Polizist Auskunft, der den angeschossenen Tribunes-Anhänger Umut A. später vernommen hat. Seiner Schilderung nach war Umut A. an jenem Tag mit dem Auto auf dem Weg nach Nürnberg, als er die Nachricht bekam, er solle zurück nach Leipzig kommen. Man müsse etwas klären. Er sei direkt zur Begegnung zwischen den verfeindeten Klubs gekommen und habe gesehen, dass jemand zu einem Tritt ausgeholt hatte. Dann fielen Schüsse. Auf einem Gruppenfoto der Hells Angels habe Umut A. den Todesschützen erkannt, berichtete der Polizist.

Der Prozess hatte schon einmal im Juli begonnen, war aber geplatzt, weil ein Richter erkrankt war. Nun sind bis in den Januar 26 weitere Verhandlungstage angesetzt – Großaufgebot der Polizei inklusive.