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Rettungsengel immer dabei

Bianca Twupack aus Görlitz kämpft seit sieben Monaten gegen einen Herztumor und dessen Folgen. Ihr Alltag ist jetzt ein anderer.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Susanne Sodan

Görlitz. Bianca Twupack weiß noch genau, welche Schuhe sie am Tag ihrer Prüfung trug. Drei Jahre hatte sie Heilpädagogik an der Görlitzer Hochschule studiert. Nun musste sie nur noch ihre Abschlussarbeit verteidigen. Die Schuhe sind beige, aus Leder, Halbschuhe mit einem kleinen Absatz. „Der Professor hat gefragt, was ich denn jetzt vorhabe“, erinnert sich Bianca Twupack. Eine Woche blieb ihr, um darüber nachzudenken, um zu träumen. Genau sieben Tage später hatte sie einen Termin im Görlitzer Klinikum – bei einem Kardiologen. „Bis zu dem Tag hatte ich ein normales Leben“, sagt die 28-Jährige. Im Klinikum entdecken die Ärzte einen Schatten rund um ihr Herz. Ein Tumor, so groß wie zwei Fäuste. Normalerweise hat ein Mensch 65 Prozent Herzleistung. Bianca Twiupack hat derzeit 28 Prozent. Das ist nun sieben Monate her. Seitdem hat sich alles in Bianca Twupacks Leben verändert, obwohl sie immer noch viel lacht und auf den ersten Blick es gar nicht danach aussieht. Doch seit jenem 17. Dezember ist ihr Leben aus den Fugen, eine Achterbahnfahrt zwischen Hoffen und Bangen.

Angefangen hat die Geschichte vor rund einem Jahr, im Sommer 2015: „Ich schrieb zu der Zeit meine Bachelorarbeit“, erzählt Bianca Twupack. Aber irgendetwas stimmt nicht. „Ich hatte immer Husten, bekam schnell Luftnot. Und ich hatte immer geschwollene Füße.“ Das versucht sie sich mit ihrem Nebenjob zu erklären, Kellnern. „Und meine Schweißausbrüche in der Nacht habe ich auf den Sommer geschoben.“ Es ist eben sehr warm gewesen. Ein Asthma-Test in Niesky wirft den ersten Verdacht auf. „Die Ärztin sagte, ich hätte ein massiv vergrößertes Herz.“ Ihr Anruf kommt, als Bianca Twupack gerade im Geschenkeladen Nanu-Nana in Görlitz arbeitet, ihr zweiter Nebenjob. „Ich habe noch mit meinen Kollegen gescherzt und gesagt: Wusste ich doch, dass ich ein großes Herz habe.“ Es kann eben einfach alles nicht sein. Aktiv sei sie doch immer gewesen, sagt Bianca Twupack. Jemand, der gerne Fahrrad fährt und schwimmt. Kellnern beim Folklorum auf der Kulturinsel Einsiedel, die Nebenjobs im Nanu-Nana und beim Fahrradhändler Little John Bikes, Mitglied im Gebärdenchor ist sie und in der reformierten Gemeinde. „Ich war einfach immer am Start.“

Nach der ersten Diagnose mit dem vergrößerten Herz steht schließlich der Kardiologie-Termin an. Der 17. Dezember. Eine CT-Untersuchung. „Das muss man sich wie einen großen Ring vorstellen, durchden man geschoben wird. In einem Raum nebenan sehen die Ärzte die Bilder.“ Eine seltsame Situation sei das gewesen. „Ich habe aus den Augenwinkeln gesehen, dass plötzlich immer mehr Leute in den Raum liefen. Ich nehme an, das waren Assistenzärzte.“ Ein bisschen Sarkasmus hilft, sagt Bianca Twupack. „Ich muss schon was Besonderes gewesen sein.“ Sie sehen Wasser im Herzbeutel – und einen Schatten rund ums Herz, ein Hinweis auf einen Tumor. Nur 0,2 bis 0,5 Prozent aller Tumorpatienten haben einen Herztumor. Es ist wahrscheinlicher, von einem Elefanten ertrampelt zu werden, als an einem solchem Geschwür zu erkranken. Das hat sie später mit ihrer Schwester im Internet gefunden.

Bianca Twupack wird mit einem Hubschrauber nach Dresden geflogen, ins Herzzentrum. Und dort sieht sie zum ersten Mal die Ausmaße des Tumors. „Eine Krankenschwester hat es mal sehr passend ausgedrückt: wie eine riesige Gewitterwolke.“ Sie verzieht sich nur nicht so schnell, es folgen wochenlange Krankenhausaufenhalte. Die große Frage in dieser Zeit: Ist der Tumor gut- oder bösartig? „Silvester zu feiern war wirklich schwierig für mich. Wie sollte ich denn das alte Jahr verabschieden und das neue beginnen? Am Ende stellt sich heraus: gutartig. Das ist die erste positive Nachricht.

Nächste Station: Bad Oeynhausen, eine Spezialklinik in Nordrhein-Westfalen. Der Tumor wird entfernt. Noch eine gute Nachricht, möchte man meinen. „Es lässt sich immer so schwer erklären“, sagt Bianca Twupack. „Der Tumor war ein Stück ins Herz eingewachsen.“ Dieses Stück des Herzens muss mit herausgenommen werden. „Aber ein Herz ist keine Niere. Herzzellen wachsen nicht nach.“ Heißt: schwierige OP. „Das Schlimmste ist die Vorbereitung.“ Bianca Twupack hat sich angewöhnt, in der Zeit zu beten, wenn andere an ihr herumwerken. „Das wirkt wie eine Meditation. Man ist abgelenkt.“ Immer ein Vaterunser, dann kommen ganz realistische Wünsche: Lass den Arzt gut ausgeschlafen sein, zum Beispiel. Inzwischen ist Bianca Twupack ein Krankenhausprofi, wie sie selber sagt. Biopsie, Fibrom, zentralvenöser Zugang, Mitralklappeninsuffizienz – solche Worte gehen ihr wie alltäglich über die Lippen. Zwei Helikopterflüge, mehrere Krankenhausaufenthalte, eine Herzklappen-OP und zwei Rehas hat sie hinter sich.

Seit einem Monat ist Bianca Twupack zurück in Görlitz. Die Wohnung sieht noch genauso aus wie vor einem Jahr. Auch Bianca Twupack hat sich äußerlich nur wenig verändert. Noch immer lacht sie viel. Auf den Küchenschränken steht eine bunte Kiste. Kekse aus Frankreich sind draufgedruckt. Aber drinnen sind keine bunten Kekse, sondern jede Menge weiße Pillen und medizinische Geräte. Ein bisschen Sarkasmus hilft. Und über die Schulter trägt sie einen Gurt mit einer Art Tasche. „Sieht aus wie eine Handtasche, nicht?“ Aber tatsächlich ist es ein Defibrilator. Jeden Morgen muss sie Elektroden und die sogenannten Paddles um ihren Brustkorb herum anbringen – ein Teil des Defibrilators. Ihr Schutzengel, wie sie sagt. Ein Kontrolleur, der anschlägt, wenn der Herzrhythmus nicht stimmt.

Hinter der Tür hängen die Schuhe, darunter die beigefarbenen von dem Tag ihrer Prüfung. Aber sie setzen Staub an. Heute bevorzugt Bianca Twupack flache, bequeme Schuhe. „Meine Füße schwellen oft an“, sagt sie. Das ist so, wenn das Herz nicht mehr richtig pumpt, wenn es die Flüssigkeiten im Körper nicht mehr verteilen kann. Auch Treppensteigen ist schwierig geworden. Dabei wohnt Bianca Twupack im zweiten Stock. Gerne würde sie umziehen, in eine Erdgeschosswohnung.

Ihre Freunde haben eine Benefizveranstaltung organisiert, an diesem Freitag bei der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde. „Es wird auf jeden Fall viel zu essen geben und viel Musik“, erzählt Annelie Höhne, eine Freundin von Bianca Twupack. Als Musiklehrerin hat sie kurzerhand eine Band zusammengestellt, die spielen wird. Bianca Twupack will selber gar nicht so im Mittelpunkt stehen. Nicht ihr Ding. „Es geht vor allem um das Thema Dankbarkeit“, sagt Annelie Höhne. „Wir vergessen so schnell, dass es uns gut geht. Das ist nicht selbstverständlich.“ Trotzdem, es soll es auch um die Frage gehen, wie man Bianca Twupack helfen kann.

Dankbar ist auch Bianca Twupack, trotz allem. „Es hätte noch ganz anders kommen können, zum Beispiel mit einem Kunstherz. Dann ware alles noch komplizierter.“ Manchmal kommen die Gedanken auch hoch: Was wird in Zukunft? Möglicherweise braucht sie irgendwann ein Spenderherz. In diesen Momenten versuche sie an das zu denken, was sie auf der Plusseite hat, sagt Bianca Twupack: Freunde Familie – den kleinen Schutzengel.

Dank-Veranstaltung, 22.7., 17 Uhr, Bismarckstraße 15.