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Reichsbürger in Bus und Bahn

Für die Verkehrsgesellschaft Görlitz achtete ein Kontrolleur auf Gesetze, die er selbst gar nicht anerkennt. Nun musste er gehen.

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Von Ralph Schermann

In den Görlitzer Stadtbussen und Straßenbahnen fehlt seit Montag ein Fahrscheinkontrolleur. Der Mann zählt sich zur sogenannten Szene der Reichsbürger. Als das jetzt bekannt wurde, reagierte das Unternehmen mit einer internen Prüfung. „In deren Ergebnis haben wir entschieden, dass der betreffende Mitarbeiter sofort freigestellt wird“, bestätigt Michaela Mehls, Leiterin Unternehmens-kommunikation der Dussmann Group Berlin. Die Firma Dussmann ist von der Verkehrsgesellschaft Görlitz (VGG) vertraglich beauftragt, Fahrscheinkontrollen durchzuführen.

Das musste in Görlitz jetzt auch ein Ticket-Kontrolleur erfahren.
Das musste in Görlitz jetzt auch ein Ticket-Kontrolleur erfahren. © Archiv/netpic

Hinweise auf die den Staat ablehnende Orientierung des Betreffenden hatte es bereits einige gegeben, allerdings ohne Beweise. Bis sich der Kontrolleur von sich aus outete. Während einer Kontrolle war es in einer Straßenbahn zu einer Auseinandersetzung zwischen zwei Fahrgästen und einem anderen Kontrolleur gekommen, gegen den deshalb wegen Körperverletzung ermittelt wurde. Der bewusste Kollege wurde zur Zeugenbefragung geladen, erschien aber nicht. Stattdessen sandte er die Ladung zur Staatsanwaltschaft mit dem Vermerk zurück, dass er das bestehende Rechtssystem nicht akzeptiere. Vergleichbar äußerte er sich, nachdem er zur Vernehmung polizeilich vorgeführt worden war. Deshalb stellte die Staatsanwaltschaft in einer anderen strittigen Sache wegen Leistungserschleichung das Verfahren ein. „In der der VGG zugesandten Einstellungsmitteilung haben wir ausgeführt, den Herrn auch künftig als seriösen Zeugen nicht akzeptieren zu können“, bestätigt Oberstaatsanwalt Sebastian Matthieu: „Mehr geht nicht. Logischerweise haben wir keine Dispositionsbefugnis hinsichtlich des VGG-Personals.“ Durch Aktenübersendung informiert wurde zudem die für die Dussmann-Kontrolleure zuständige Gewerbeaufsicht in Dresden. Das war im Frühjahr 2017. „Dabei konnten wir dieser staatlichen Stelle ganz konkrete Hinweise geben“, bestätigt Matthieu: „Ob etwas passierte, haben wir nicht erfahren.“

Offenbar nichts, doch anders jetzt: Im Zusammenhang mit einem neuen Ermittlungsverfahren gegen andere Kontrolleure kam auch dieses Thema wieder hoch. Nun genügte ein Anruf am vorigen Freitag, und VGG sowie Dussmann Group nahmen Kontakt zur Staatsanwaltschaft auf. Seit Montag kontrolliert der Mann nicht mehr. Zwar steht nirgends, dass eine gedankliche Orientierung an Reichsbürgertümelei verboten wäre, doch „ein Kontrolleur, der die Justiz nicht anerkennt, erfüllt nicht die Voraussetzungen für eine Beschäftigung in dieser sensiblen Sicherheitsaufgabe“, begründen sowohl Michaela Mehls als auch der Geschäftsführer der VGG, Frank Müller, übereinstimmend.

Der Vorfall reiht sich ein in eine aktuelle sächsische Bestandsaufnahme. Soeben schätzte das Landesamt für Verfassungsschutz ein, dass in Sachsen 718 sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter leben. Mit 190 rechnet die Polizei in den Kreisen Görlitz und Bautzen. Man geht davon aus, dass sich die Zahl schnell weiter erhöhen wird. Oberstaatsanwalt Matthieu sieht die Zahl ebenfalls skeptisch: „Denn es gibt eine sehr große Dunkelziffer. Längst nicht jeder, der solches Gedankengut hegt, äußert es auch so deutlich.“ Bedenklich vor allem aus Sicht der Verfassungsschützer ist, dass um die zwölf Prozent aller Reichsbürger als rechtsextrem gelten. Als Reichsbürger bekannte Personen begingen allein in Sachsen in den vergangenen fünf Jahren über 1 500 Straftaten, vor allem Verkehrsdelikte, Urkundenfälschungen, Beleidigungen, Nötigungen, auch Gewaltdelikte – und Leistungserschleichung, also jene Straftaten, deren Bekämpfung Aufgabe und Auftrag der Fahrscheinkontrolleure ist.

VGG-Chef Müller bekräftigt, die „Subunternehmen deutlich auf den Prüfstand“ stellen zu wollen, besonders nach dem aktuellen Fall. Auch Veränderungen in der Auftragsvergabe schließt er nicht aus.

Was sind Reichsbürger?

Für sogenannte Reichsbürger existiert das Deutsche Reich weiter. Sie orientieren sich wahlweise in den Grenzen des Kaiserreiches oder von 1937.

Sie sehen in der BRD keinen souveränen Staat, weil er gar nicht existiere. Demnach gebe es auch keine Regierung. Selbiges gelte für Kommunen und Landkreise. Es seien alle Gesetze, Bescheide und Gerichtsurteile nichtig. Einige geben ihren Personalausweis und Führerschein ab und „basteln“ sich eigene Fantasie-Dokumente.

Eine weitere These ist, dass die BRD mit der Wiedervereinigung aufgehört hat zu existieren. Auch leiten einige aus der Tatsache, dass zwischen Deutschland und seinen Kriegsgegnern 1945 kein Friedensvertrag geschlossen wurde, eine angeblich fehlende Legitimation der Bundesrepublik ab. Eine besonders kuriose Theorie ist, dass die BRD kein Staat, sondern eine Firma sei – weil der Personalausweis angeblich so heißt, weil die Menschen keine Staatsbürger, sondern Personal seien.