Merken

Reichsbürger bremsen Sachsens Justiz

Ellenlange Schreiben und zähe Verhandlungen: Reichsbürger lehnen die Gesetze der Bundesrepublik zwar ab, beschäftigen sich aber offensichtlich sehr gern mit ihnen.

Teilen
Folgen
© Symbolbild: dpa

Zwickau/Dresden. Demonstrativ blieb die 63-Jährige bei ihrem Gerichtsverfahren vor dem Amtsgericht Zwickau stehen. Platz nimmt die „Selbstverwalterin“ bei Sachsens Justiz nur im Zuschauerraum. Richterin Eva-Maria Ast brachte das Ende August nicht aus der Ruhe. Neun Monate auf Bewährung wegen versuchter Nötigung mit der sogenannten Malta-Masche, so lautete das Urteil, das noch nicht rechtskräftig ist.

Die Zwickauerin hatte gegen eine Gerichtsvollzieherin und eine Rechtspflegerin Schadenersatzforderungen über 190 Millionen Euro geltend machen wollen. Auf diese Weise wollte sie die Beamtinnen dazu bringen, nicht weiter gegen sie vorzugehen.

„Aber wenn sich die Justiz nicht einschüchtern lässt - und die weicht nicht zurück - dann wird es irgendwann teuer für die Angeklagten“, ist Richterin und Amtsgerichtsdirektorin Ast überzeugt. Die Zwickauerin gehöre zu einer Handvoll „hartnäckiger Fälle“, die immer wieder in den Gerichtsgebäuden der westsächsischen Stadt auflaufen oder diese mit seitenlangen Schreiben überfluten.

Doch nicht nur in Zwickau hat die Justiz immer häufiger mit sogenannten Reichsbürgern zu tun. „Seit 2016 hat das deutlich zugenommen“, bestätigt Stefan Blaschke, Pressesprecher des Leipziger Amtsgerichts. Regelmäßig habe es die Justiz der Messestadt mit einer zweistelligen Zahl von „Reichsdeutschen“ zu tun, so seine Einschätzung.

Laut Justizministerium laufen seit März 2017 - frühere Zahlen gibt es nicht - insgesamt 360 Ermittlungsverfahren gegen etwa 160 „Reichsbürger“ bei Sachsens Staatsanwaltschaften. Davon seien 241 Strafverfahren erledigt, 119 noch offen.

„Reichsbürger“ erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat an. Stattdessen behaupten sie, das Deutsche Reich bestehe fort. Folglich werden Gerichtsentscheidungen, Bußgeldbescheide oder Steuerforderungen als nichtig angesehen. Sachsens Verfassungsschutz rechnet aktuell 718 Einwohner zu dieser Szene. Deutschlandweit geht man von rund 12 600 Anhängern dieser Ideologie aus.

In welchem zeitlichen Umfang diese Menschen die sächsische Justiz beschäftigen, kann nur geschätzt werden. „Jedenfalls ist es nicht unerheblich“, sagt ein Sprecher des Justizministeriums. Die Verfahren seien langwierig, jedes Schreiben müsse durchgeackert werden, bestätigt der Leipziger Amtsrichter Blaschke. Schließlich könne sich in den 30 Seiten, die jemand wegen zehn Euro Ordnungsgeldes schicke, ein berechtigtes Anliegen verbergen.

Als „paper terrorism“ (engl. für „Papierterrorismus“) bezeichnet Oliver Gottwald diese Strategie, aus üblicherweise zehn weit über 100 Seiten Gerichtsakte zu machen. Der Rechtspfleger aus Hessen beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren in seiner Freizeit mit der Bewegung. Jahrelang seien diese Menschen als Spinner abgetan, Justizangestellte mit deren Umgang alleingelassen worden. Dies habe sich mit den tödlichen Schüssen auf einen Polizisten im bayerischen Georgensgmünd vergangenen Oktober schlagartig geändert. „Heute geht kein Gerichtsvollzieher mehr ohne Polizei zu einem Reichsbürger.“

Doch während die Justiz im Außeneinsatz inzwischen deutlich sensibilisiert ist, zeigt sich in den Gerichten Nachholbedarf. Weil bei einschlägigen Prozessen immer mehr „Reichsbürger“ mit allerlei Presseausweisen unseriöser Anbieter aufkreuzen, greifen viele Richter zum Verbot: Gleiches Recht für alle heißt, dass alle Zuschauer ihre Telefone abgeben, weil Bild- und Tonaufnahmen im Gerichtssaal nicht erlaubt sind. Auch Pressevertreter etablierter Medien sitzen dann ohne Smartphone im Prozess - und damit ohne die Möglichkeit, noch aus dem Saal eine Meldung abzusetzen.

Hinzukommen Taschenkontrollen, Ausweiskopien oder Polizisten im Gerichtssaal. „Diese sitzungspolizeilichen Verfügungen liegen in der Verantwortung des Richters“, erklärt Eva-Maria Ast. Am Amtsgericht Zwickau griffen mittlerweile viele Kollegen zu diesem Mittel.

Ähnlich verhält es sich in Leipzig. Zwar gibt es eine „Reichsbürger“-Handreichung für die Justiz und Schulungen zu Fantasiedokumenten. Die Thematik Presseausweise werde aber bislang nicht gesondert behandelt. „Hier gibt es ganz klar einen Schulungsbedarf“, meint Experte Gottwald. (dpa)