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Recht schaffen

Axel Pokrantz ist Schöffe am Amtsgericht Pirna. Im Ehrenamt erlebt er, woran die Gesellschaft krankt.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Franz Werfel

An seinen ersten Fall erinnert sich Axel Pokrantz noch ganz genau. 2005 war das, Pokrantz war erstmals Hilfsschöffe am Pirnaer Amtsgericht. „Bei einem Fest in Hohnstein hatten sich ein paar Leute ganz schön was angetrunken. Erst prügelten sie sich, dann stahl einer den Maibaum.“ Noch heute muss der 51-Jährige über die Geschichte lachen, so absurd scheint sie ihm. Wie das Gericht schließlich urteilte, weiß er nicht mehr. Und doch gibt die Erzählung einen Einblick in das besondere Ehrenamt, das Axel Pokrantz übernommen hat: Er ist Schöffe.

Schöffen heißen Laienrichter in Strafprozessen, bei denen zwischen zwei und vier Jahren Freiheitsentzug droht. Dabei üben sie als ehrenamtliche Richter einen Teil der Staatsgewalt aus. Für das Schöffenamt kann sich jeder, der zwischen 25 und 70 Jahren alt ist, in seinem Heimatort bewerben. Berufen werden die Laienrichter für je fünf Jahre. Rund 3 400 Schöffen arbeiten in Sachsen neben gut 2 500 Berufsrichtern. Weitere rund 2 500 Schöffen wirken zum Beispiel an den sächsischen Sozial- und Arbeitsgerichten mit.

Schöffen sind juristische Laien. Sie sollen – unabhängig von Paragrafen und Fachbegriffen – als berufene Bürger auf die Fälle blicken. Das wird im Gerichtssaal auch an der Kleidung deutlich. Während Richter in schwarzen Roben die Verhandlungen leiten, erscheinen Schöffen in ziviler Kleidung. Um unvoreingenommen zu sein, dürfen sie auch nicht in die Verfahrensakten gucken. Früher bekamen sie vor einer Verhandlung zumindest die Anklageschrift zu lesen. Das geht heute nicht mehr. Axel Pokrantz befürwortet diese Änderung. „Zusammen mit dem Richter wollen wir die Wahrheit herausfinden. Dabei müssen wir uns aber auf das, was in der Verhandlung gesprochen wird, verlassen“, sagt er.

Noch so ein spannender Fakt: Reden kann Axel Pokrantz nur darüber, was öffentlich im Gerichtssaal gesprochen wird. Was die Schöffen mit den Richtern in der hinteren Amtsstube beraten, bleibt intern. Ein bisschen so wie in den Mannschaftskabinen der Fußballer. Schöffen sind wichtig, um zu einem Urteil zu kommen. Das Gesetz sagt, dass sie eine eigene Stimme haben. In jedem Prozess sitzen neben dem Richter zwei Schöffen. Entscheidungen hinter der verschlossenen Tür müssen mindestens mit einer Zweidrittelmehrheit fallen. Dass zwei Schöffen einen Berufsrichter überstimmen, dürfte aber eher die Ausnahme sein. Rechtlich denkbar ist es.

Axel Pokrantz, aufgewachsen südlich von Berlin, hat an der TU Dresden Maschinenbau studiert. Seit ein paar Jahren arbeitet er in einem Pirnaer Baumarkt. Als er Ende 30 war, hatte er das Gefühl, sich neben dem Job engagieren zu wollen. „Das ist meine Art, der Gesellschaft zu danken, dass sie mich erzogen hat“, sagt er.

Ausmaß der Drogendelikte schockt

Schöffen haben bei Gericht eine wichtige Funktion: Sie hören unvoreingenommen zu und dürfen Angeklagte und Zeugen befragen. „Die Kernfrage ist immer: Wie hat sich der Fall zugetragen?“ Dabei muss das Gericht in alle Richtungen fragen, ganz gezielt zum Beispiel auch Fragen stellen, die einen Angeklagten entlasten können. „Mich beschäftigt auch, ob der Angeklagte die Realität überhaupt so wahrnimmt, wie sie ist“, sagt Axel Pokrantz. Das wird bei Verhandlungen immer wichtiger, die derzeit rund die Hälfte aller seiner Fälle ausmacht: Prozesse nach Paragraf 30 des Betäubungsmittelgesetzes. Dabei geht es darum, dass Personen, die illegale Drogen anbauen, herstellen oder mit ihnen handeln, mit Freiheitsstrafen von mindestens zwei Jahren belegt werden. „In den letzten Jahren hatten wir sehr viele Anklagen dazu“, sagt Pokrantz. Das führt er auf den Landkreis als Grenzregion zurück. „Wir leben in einem Bereich, in dem die Bundespolizei viele solcher Fälle aufdeckt.“ Die abhängigen Menschen tun ihm nicht wirklich leid. „Jeder ist doch für sich selbst verantwortlich“, sagt Pokrantz. Natürlich werde in jeder Verhandlung auch nach persönlichen Umständen wie der Kindheit, der Familie, den Kindern gefragt. Aber diese Umstände rechtfertigen für ihn keine Straftaten.

Jemanden ins Gefängnis zu schicken, fällt ihm jedes Mal schwer. „Das ist schlimm.“ Zwölf Jahre, nachdem er erstmals als Schöffe gewirkt hat, denkt Axel Pokrantz anders über die Gesellschaft. „Mir fehlte das persönliche Maß dafür, wie gravierend hierzulande das Problem mit illegalen Drogen wirklich ist“, sagt er. „Das Elend der Betroffenen zu sehen, schockt.“

Für seinen Aufwand – etwa einen Verhandlungstag im Monat – bekommt er fünf Euro pro Stunde. Zudem können Schöffen ihren Verdienstausfall angeben. Die Kosten dafür übernimmt das Gericht. Dieses Recht nutzt Axel Pokrantz aber nicht. „Ich habe neben dem Sonntag einen weiteren freien Tag pro Woche. Den nehme ich mir für Verhandlungen“, sagt er.

Zwei Amtsperioden hintereinander dürfen Bürger als Hauptschöffen tätig sein. Für Axel Pokrantz ist nach 2018 eine Verlängerung denkbar. Er will sich der Aufgabe gern weiterhin stellen. An seine Mitbürger in der Region richtet er einen Wunsch: Möglichst viele Menschen sollen sich einmal in eine öffentliche Gerichtsverhandlung setzen. „Sie sollen verstehen, wie schlimm das Thema Drogen bei uns ist. Und wie die Justiz arbeitet.“