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Plötzlich auf der Straße

Der Landkreis Görlitz lässt in Reichenbach die Wohnung einer Flüchtlingsfamilie räumen. Das halten viele für unangemessen.

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© Symbolbild/dpa

Von Anja Gail

Der Schreck ist überwunden. Der afghanischen Familie, die vor einer Woche ihre bisherige Wohnung auf der Thomas-Müntzer-Straße in Reichenbach mit Sack und Pack verlassen musste, geht es gut. Das hat gestern Alexandra Kühnel, Leiterin der Gemeinschaftsunterkunft im Oberland, bestätigt. Bei Neusalza-Spremberg ist die Familie jetzt untergebracht. Sie fühle sich wohl, sei sehr dankbar und habe die Ereignisse vor einer Woche hinter sich gelassen, erzählt Frau Kühnel, obwohl das eine schwierige Situation gewesen sei. Darauf sei ihr Team vorbereitet. Das Haus, das zum DRK-Kreisverband Löbau gehört, sei keine Massenunterkunft. Es werde sehr familiär geführt. Alle müssten bei den alltäglichen Dingen mithelfen, sagt die Leiterin. Jeder kenne jeden. Die drei Kinder der afghanischen Familie aus Reichenbach haben schon Spielgefährten gefunden. Jetzt werde der Umzug nach Chemnitz, wo die Familie ab April eine neue Wohnung bezieht, weiter vorbereitet.

Dieser Umzugstermin war auch schon vor einer Woche bekannt, als die Eltern mit den Kindern und ihren Sachen in Reichenbach plötzlich auf der Straße standen. Der Landkreis Görlitz hatte die Zwangsräumung der Wohnung mit Polizei dennoch angeordnet. Das bewegt Anwohner in Reichenbach noch Tage nach dem Geschehen. Denn die Familie war sehr beliebt und hatte sich gut in der Kleinstadt eingelebt.

Das Landratsamt bestätigte gestern den Sachverhalt. Es hegte wohl bis zuletzt Zweifel am Bemühen der Familie, tatsächlich eine neue Wohnung zu finden. Nach Einschätzung des Landratsamtes habe die Familie keinerlei eigene Bemühungen gezeigt und keinen gültigen Mietvertrag vorgelegt. So kam es zur Zwangsräumung mit Polizei. Das sei üblich so, um alle Beteiligten vor Ort zu schützen. Bezahlen muss der Kreis das nicht. Im Zuge von Amtshilfe werde keine Rechnung von der Polizei gestellt.

Nach Informationen aus dem Ordnungsamt wurde die Familie mehrmals aufgefordert, die Wohnung zu verlassen, weil sie vor gut drei Monaten einen Aufenthaltsbescheid bekommen hat. Zuletzt sei sie Anfang Februar noch einmal eindringlich darauf hingewiesen worden, sagt das Landratsamt.

Die Wohnungen für Asylsuchende, die der Landkreis bereitstellt, müssen wieder freigemacht werden, wenn sich der Aufenthaltsstatus ändert. Dann sind Familien dazu angehalten, selbst Wohnraum zu finden. Sie können sich zwar an Migrationsberatungsstellen und Integrationsberater für Flüchtlinge im Jobcenter wenden. Auch der Görlitzer DRK-Kreisverband, der in Reichenbach die soziale Betreuung der Asylsuchenden leistet, stehe ihnen bis zum Auszug bereit, erklärt das Landratsamt. Dennoch fallen diese Schritte Flüchtlingen nach wie vor schwer. Das bestätigen auch ehrenamtliche Flüchtlingshelfer, die sich in der Kleinstadt Reichenbach engagieren. Ihnen ist es größtenteils zu verdanken, dass Familien bislang bei etlichen Behördengängen, Schriftverkehr, Arztbesuchen, Erledigungen und anderen Terminen nicht allein dastanden.

Warum das Landratsamt nicht mit den Beteiligten vor Ort eine Alternative gesucht und die Zwangsräumung eigenmächtig durchgezogen hat, bleibt angesichts dessen umso unverständlicher. Die Unterkunft im Oberland habe die Behörde der Familie nur angeboten, weil diese sonst obdachlos geworden wäre. Den Weg dahin mussten die Eltern selbst organisieren. Sie nahmen von Reichenbach aus ein Taxi. Dass der kleine Sohn ab sofort nicht mehr in den Kindergarten kommt, hatte die Leiterin der ASB-Kita in Reichenbach am Tag der Zwangsräumung erfahren. Auch für sie bleibt das Vorgehen unverständlich. Das sei kein Aushängeschild für die Behörden im Umgang mit Menschen, sagt Christa Hamann. Erst nehme man die Flüchtlinge auf und dann werde anscheinend nicht mal miteinander geredet, um einen anderen Weg zu finden.

Neben der Familie in Reichenbach waren vom Kreis noch drei weitere Zwangsräumungen geplant. Eine Räumung wurde vollzogen, nach SZ-Informationen in Görlitz. Zu den anderen beiden Räumungen ist es nicht gekommen, teilt der Landkreis mit, da die betroffenen Familien fristgerecht ausgezogen sind.