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Pilgerreise oder Heiliger Krieg?

Der 22-jährige Sachse Samuel W. ist als Terrorverdächtiger angeklagt. Er sei aber nach Syrien gereist, um dort den Islam zu leben, sagt er vor Gericht.

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© ronaldbonss.com

Thomas Schade

Jeans, Kapuzenshirt, volles blondes Haar, rotblonder Vollbart, scheuer Blick – so erscheint Samuel W. im Pirnaer Amtsgericht. Der junge Mann, von dem vor zwei Jahren alle glaubten, dass er seinem Freund Max in den Heiligen Krieg folgen wolle, vergisst zunächst, dass Fotografen auf ihn warten. Zu spät holt er eine Tageszeitung hervor und verdeckt fortan sein Gesicht.

Der heute 22-Jährige muss sich vor dem Jugendschöffengericht wegen eines Vorwurfes verantworten, der so leicht nicht zu erklären ist. Die Dresdner Staatsanwältin Ute Schmerler-Kreuzer wirft ihm vor, er habe Beziehungen zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat aufgenommen. Zu dem Zweck sei er 2014 nach Syrien in ein Lager einer terroristischen Organisation gereist.

Außerhalb des Gerichtssaals versucht Gerichtssprecher Andreas Beeskow, den Sachverhalt einigermaßen populär zu erklären. Ursprünglich sei der Student angeklagt gewesen, weil die Staatsanwaltschaft glaubt, dass er mit dem festen Ziel nach Syrien gefahren sei, um sich zum Dschihadisten ausbilden zu lassen. Das wäre die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat (§89a StGB). Im Streit darum, welches Gericht nun zuständig für den Fall ist, habe das Landgericht den Vorwurf „abgeschwächt“, so Beeskow. „Wir sprechen jetzt von der Vorbereitung zur Vorbereitung einer Straftat.“ Der nun angewandte Paragraf 89b steht erst seit 2009 im Strafgesetzbuch. Es soll das erste Mal sein, dass dieser Antiterrorparagraf an einem deutschen Gericht verhandelt wird.

Blick in die Gedankenwelt

Samuels Verteidiger Walter Venedey hatte schon vor Monaten erklärt, dass das Ermittlungsergebnis keinen der Vorwürfe rechtfertigt, und verlangt, das Verfahren einzustellen. Auch Gerichtssprecher Beeskow lässt durchblicken, dass es faktisch keine objektiven Beweise für die Beschuldigung gibt. In dem Fall müsse über Dinge geredet werden, die sich weit im Vorfeld der eigentlichen Straftat hauptsächlich im Kopf abgespielt haben. Das gehe nur, wenn der Angeklagte umfassend über sehr persönliche Dinge Auskunft gibt. Er müsse das Gericht tief in seine Gedankenwelt hineinlassen.

Aus dem Grund hat Jugendrichter Jürgen Uhlig, der Präsident des Amtsgerichtes, keinen Augenblick gezögert und die Öffentlichkeit vom Prozess ausgeschlossen. Das Jugendgerichtsgesetz macht das möglich, da Samuel W. zum Zeitpunkt der angelasteten Tat noch Heranwachsender war. Interesse an der Aufklärung und der Schutz der Persönlichkeit seien in dem Fall wichtiger als das öffentliche Interesse, so Uhlig.

In Pirna ist man nicht glücklich über das Verfahren. Der Fall sei im Bereich Staatsschutz ermittelt worden und wäre wohl besser vor einer Staatsschutzkammer verhandelt worden, sagt Gerichtssprecher Beeskow. Die gibt es aber nur am Landgericht und am Oberlandesgericht. Konsultationen beim Bundesgerichtshof hätten ergeben, dass der Gesetzgeber schlicht vergessen hat, die Zuständigkeit für diese Antiterrorparagrafen konkret zu regeln.

Keine Spur von Max P.

Wie am Rande zu erfahren war, hat Samuel W. nach seiner Heimkehr das Sportstudium noch nicht wieder aufgenommen. Er jobbt derzeit. Es gehe ihm den Umständen entsprechend gut, sagte sein Vater. Von Samuels Begleiter Max P., so heißt es von anderer Seite, gebe es derzeit keine Informationen.

Die beiden jungen Männer aus Dippoldiswalde sind nicht die Einzigen, gegen die sächsische Behörden wegen Terrorverdachts ermitteln. Nach wie vor wird die 15-jährige Linda W. aus Pulsnitz vermisst. Auch sie wird in Syrien vermutet. Man ermittle gegen die Schülerin, weil der Verdacht bestehe, dass sie gegen Paragraf 89b verstoßen haben könnte, sagt LKA-Sprecher Tom Bernhardt auf Nachfrage. Derzeit gebe es aber keine neuen Erkenntnisse zum Verbleib des Mädchens, das Anfang Juli von Frankfurt (Main) nach Istanbul geflogen war. Die Eltern wandten sich mit der Sorge an die Öffentlichkeit, ihre Tochter könnte nach Syrien gereist sein, um sich dem IS anzuschließen.

Wie viele Personen aus Sachsen derzeit unterwegs sind, um in den Heiligen Krieg zu ziehen, lässt sich nicht exakt beziffern. Das Landeskriminalamt gab im Herbst 2015 auf eine parlamentarische Anfrage hin die Auskunft, dass derzeit vier Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat geführt werden. Ermittelt werde gegen fünf Beschuldigte, zwei Deutsche, drei Ausländer. Alle sollen in Richtung Syrien und Irak gereist sein.