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Pack und Pöbel?

In der Flüchtlingsdebatte wird weiter verbal aufgerüstet. Sich gegenseitig wüst zu beschimpfen, vergiftet aber die Atmosphäre nur noch mehr.

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© dpa

Von Heinrich Maria Löbbers

Schon wieder kursiert so ein Video im Netz. Wie schon in Freital dokumentiert der Mitschnitt aus Heidenau, wie eine junge Frau – um das Wort Furie zu vermeiden – beim Protest gegen die Flüchtlingsunterkunft in Rage gerät. Die Frau, die im Film nicht zu erkennen ist, rastet völlig aus, als die Kanzlerin dort am Mittwoch nach ihrem Besuch wieder ins Auto steigt. „Fotze“, schreit sie Angela Merkel entgegen. „Volksverräterin“ sowieso. Auch mal „Nutte“ oder „Hure“. Dann wieder „Fotze“. Zwischendurch ein herzhaft-sächsisches „Es klatscht glei“. Das Schreien gipfelt schließlich in einem schrillen Kreischen. So was sieht man sonst höchstens in diesen Pseudo-Dokus im Privatfernsehen.

Wie soll man solche Leute, denen es offensichtlich nicht nur an Anstand mangelt, nun nennen? Besorgte Bürger etwa? Ist das nicht Pack, Mob, Pöbel? Oder jene Leute, die wie in Heidenau Polizisten angreifen, dabei den Hitlergruß zeigen und „Sieg Heil“ rufen? Darf man die etwa nicht als Nazis bezeichnen? Und was ist mit denen, die hinter NPD-Aktivisten herlaufen und vor dem Wohnhaus des Heidenauer Bürgermeisters „Volksverräter“ rufen – um nicht grölen zu sagen? Sind das rechtschaffene Asylkritiker?

„Arschlöcher mit Brandsätzen“

Die Wortwahl ist in der eskalierenden Flüchtlingsdebatte zum Kampfmittel geworden. Sprache ist nie neutral, sondern immer wertend, bestätigend, verletzend. Deshalb tun sich derzeit viele so schwer, passende Begriffe zu finden. Mal abgesehen davon, dass sich besonders jene über Begriffe wie Pack und Pöbel empören, die es sonst spaßig finden, wenn etwa Pegida-Galionsfigur Tatjana Festerling Flüchtlinge als „Frischfleisch“ bezeichnet: Darf ein Vizekanzler so reden wie in Heidenau? Ausgerechnet Sigmar Gabriel, der Anfang des Jahres gescholten wurde, als er Pegida zuhörte. Aber er meinte mit seiner kalkulierten Provokation auch nicht friedliche Demonstranten, sondern die Randalierer und deren Claqueure, als er sagte: „Bei uns zu Hause würde man sagen, das ist Pack!“ Ein Spruch, der in Erinnerung bleiben wird.

Darf man die Kanzlerin beschimpfen?

Beschimpfungen – etwa als „Volksverräterin“ – musste Bundeskanzlerin Angela Merkel in Heidenau über sich ergehen lassen. Auch Stinkefinger wurden ihr gezeigt. Und sie wurde als „Hure“ oder „Fotze“ angeschrien. Die Äußerungen, hysterisch hinausposaunt von einer Frau, sind auf Facebook zu finden. Müssen Politiker das hinnehmen? Im Gegensatz zur „Volksverräterin“ und wohl auch zum Stinkefinger seien Beschimpfungen wie „Hure“ oder „Fotze“ bei einer solchen Demonstration kaum vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt, sagt der Dresdner Oberstaatsanwalt Lorenz Haase. Hier sei der Tatbestand der Beleidigung zu prüfen. Wegen einer solchen Beleidigung ermittelt die Staatsanwaltschaft jedoch nicht von sich aus, die Kanzlerin müsste selber Anzeige erstatten, damit eine solche Tat verfolgt wird. Die hysterische Frau aus Heidenau dürfte ungestraft davon kommen, da sie auf dem YouTube-Video nicht zu sehen ist. Allerdings standen mehrere Polizeibeamte der Frau direkt gegenüber und müssen ihren schrillen Auftritt bemerkt haben. Polizisten, die solche Beleidigungen mitbekommen haben, hätten durchaus die Personalien der Betreffenden feststellen können, sagt Haase. Dann wäre es möglich gewesen, die Kanzlerin davon in Kenntnis zu setzen.

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Oder Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer, der erklärte dieser Tage bei der Eröffnung eines Wahlkreisbüros: „Wenn Arschlöcher anfangen, Brandsätze in die Unterkunft zu werfen, wird mir schlecht.“ Der Mann ist echt wütend.

Müssen Politiker so reden, um klarzumachen, was sie meinen? Oft genug wird ihnen vorgeworfen, um den heißen Brei herumzureden, Betroffenheitsfloskeln herunterzubeten. Jetzt sprechen sie Tacheles. Und auch die Medien, die im Glashaus sitzen, verschärfen den Jargon.

Das Niveau, auf dem die Flüchtlingsdebatte in Deutschland derzeit geführt wird, scheint einen neuen Tiefpunkt erreicht zu haben. Die Nerven liegen blank seit den Exzessen in Heidenau und den täglichen Meldungen über abgefackelte oder geflutete Flüchtlingsheime. Kein Wunder, dass der Ton rauer wird und sich mancher auch darin vergreift. „Verpisst euch“, keift Til Schweiger gegen Facebook-Pöbler. „Ihr seid die Dummheit“, feixen die Fernsehclowns Joko und Klaas über die „Ich bin zwar kein Nazi, aber...-Idioten“. Die Internet-Pöbelei färbt ab auf die reale Welt.

Es ist offenbar der Punkt gekommen, an dem auch Politiker und Prominente einfach mal Luft ablassen müssen. Ihre Zuspitzungen sollen Entschlossenheit signalisieren, manchmal auch tatsächliches Handeln vortäuschen. Sie richten sich an die Gutwilligen und sollen jene ausgrenzen, die die Regeln der Menschlichkeit, Toleranz und Friedfertigkeit missachten. Mit Pack redet man nicht. Pöbel erzeugt Abscheu, Mob ist ekelhaft. Die Gemeinten selbst bekehrt man damit kaum. Im Gegenteil, sie radikalisieren sich eher noch mehr. Voller Zynismus eignen sie sich die Schmähungen an und rufen „Wir sind das Pack“.

Dass auch Gutmeinenden einmal der Kragen platzt, sollte man ihnen zugestehen. Wer ist nicht wütend und ratlos angesichts der Krawalle? Aber dann reicht’s auch mit der verbalen Aufrüstung. Wo soll das hinführen, wenn sich die Empörten gegenseitig mit Beschimpfungen überbieten? Wer nur mit Kraftausdrücken um sich wirft, heizt Spannungen an und beweist doch nur, dass er rhetorisch am Ende ist. Deutschland bräuchte dringend mal eine neue Ruck-Rede, eine überzeugende, rhetorisch brillante Ansage ans Volk, wie sie von Richard von Weizsäcker oder Helmut Schmidt in Erinnerung sind. Auch gegen Plumpheit sollte man mit dem Florett fechten, nicht mit dem Holzhammer.

Moralisch überlegen sind jene, die andere nicht verunglimpfen, auch nicht ihre Verunglimpfer. Wer die Menschenwürde verteidigen will, darf sie keinem absprechen, nicht einmal Fremdenfeinden und Rechtsextremen. „Nazis raus“ wird auf den Straßen gerufen, besser, aber unendlich schwieriger wäre natürlich „Nazis rein“, also das Bemühen, die Verirrten zurück in die demokratische Gemeinschaft zu holen.

Gesellschaftlich geächtet

Eine Gesellschaft, die ein friedliches und menschliches Miteinander will, muss allerdings erst einmal den Unfriedlichen und Unmenschlichen klarmachen, dass sie nicht dazugehören. Es gibt Voraussetzungen, um gehört zu werden und mitreden zu können. Frank Richter, der Leiter der Landeszentrale für politische Bildung, hat das in Freital mal so ausgedrückt: „Es gibt einen Kern von Menschen, die sich menschenfeindlich artikulieren, die identifiziert werden müssen, isoliert und von der Gesellschaft geächtet werden müssen.“

Beim Besuch eines Flüchtlingsheims hat der Bundespräsident klargestellt: „Wir werden denen sagen: Ihr repräsentiert uns nicht.“ So gesehen war es vielleicht schon ein Schritt der Erkenntnis, als nun die Demonstranten in Heidenau brüllten „Wir sind das Pack“. Haben sie etwa eingesehen, dass sie auf jeden Fall nicht das Volk sind? (SZ/ts)