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O, du Fröhlicher

Bei Zeidlers im Erzgebirge ist Hochsaison für Räuchermänner. Traditionelle Pyramiden stellt die Holzkunst-Manufaktur nicht mehr her – dafür ganz besondere Nachtwächter.

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© Ronald Bonß

Von Peter Ufer

Räuchermänner mit Laterne und Hellebarde stehen als Kompanie auf dem Tisch. Sandra Zeidler setzt jedem einen Hut auf. Aus 20 Einzelteilen besteht der fröhliche Nachtwächter, der dieser Tage massenhaft die erzgebirgische Holzkunstmanufaktur in Cämmerswalde verlässt. Ein feiner Kerl, gedreht aus Buchenstämmen, per Hand zusammengefügt, präzise verklebt, perfekt bemalt – so gibt es ihn jetzt auch als SZ-Prämie. Später qualmt er vergnügt in Wohnstuben aus dem offenen Mund. Rauchverbote kümmern ihn nicht. Im Gegenteil: Sein Pfeifenduft gehört zur sächsischen Weihnachtszeit wie Pyramide und Schwibbogen.

Sandra Zeidler gibt jedem Räuchermännchen sein fröhliches Aussehen. Alle gleichen sich und sind doch Unikate.
Sandra Zeidler gibt jedem Räuchermännchen sein fröhliches Aussehen. Alle gleichen sich und sind doch Unikate. © Ronald Bonß

Sandra Zeidlers Mann André hat den Räucherfreund entworfen. Der 47-Jährige führt das Familienunternehmen seit nunmehr 20 Jahren. Der Vater Peter Zeidler begann zu DDR-Zeiten als Zweimannbetrieb in Seiffen. Der Sohn baute das Unternehmen aus, betreibt vier Läden und beschäftigt inzwischen 30 Mitarbeiter in Cämmerswalde und in Leubsdorf. Jedes Jahr verzeichnet er Umsatzzuwächse von bis zu zehn Prozent. Räuchermänner gehören seit Jahrzehnten konstant zum Sortiment. Allerdings nahm André Zeidler dieses Jahr die einst vom Vater entworfene Pyramide aus der Produktion. „Das ist mir schwergefallen“, sagt der 47-Jährige, „aber die Ansprüche an die Gestaltung der erzgebirgischen Figuren hat sich in den vergangenen Jahren radikal geändert.“

Die Räuchermänner sind ein gutes Beispiel dafür. Korpus, Füße, Arme, Kopf und Hände sind absolut präzise gedreht. In einer der Hallen des Unternehmens arbeiten moderne CNC-Maschinen, die das Holz auf das Hundertstel genau zu Körperteilen drehen. „Die Kunden erwarten heute diese perfekte Qualität“, sagt Zeidler. Nicht zuletzt das Internet schaffe durch hochwertige Fotos eine Erwartungshaltung, die erfüllt werden muss. Bei Abweichungen von den Bildern schicken Kunden die Ware als unzureichend zurück. Außerdem seien im Moment vor allem klare Formen statt schöne Schnörkel gefragt. Hinzu komme beispielsweise bei den Schwibbögen völlig neue Lichttechnik. In das Holz werden LED-Leuchten eingelassen, die ganz andere Designs erfordern.

Im Inneren der Räuchermänner qualmen verlässlich Räucherkerzen aller Duftarten. Das hat sich noch nicht geändert. Bei den Zeidler-Pyramiden dagegen gibt es keine Kerzen mehr, sondern ausschließlich Teelichter. Die brennen bis zu vier Stunden, statt 20 Minuten wie Kerzen. Die Wachslichter im Blech seien wesentlich sicherer, nichts tropfe auf den Tisch und die Flügel werden schön konstant angetrieben, weil die Höhe der Flamme gleichbleibt. Mit den Teelichtern konnte André Zeidler auch ganz neue Pyramidenformen konstruieren. Als er die traditionelle Kerzenwelt des Erzgebirges vor gut zehn Jahren abschaffte, da musste sich der Holzgestalter allerhand Kritik seiner Kollegen in und um Seiffen gefallen lassen. Inzwischen haben sich die Teelichter fast überall durchgesetzt.

Zwanzig neue Produkte lassen sich die Zeidlers pro Jahr einfallen. Insgesamt 600 verschiedene Modelle umfasst ihre Angebotspalette, die längst nicht mehr nur zur Kulisse des Weihnachtslandes passt. Es existiert auch ein Räuchermann, der auf einem Segelboot sitzt, einer, der im Liegestuhl lungert, ein anderer, der lässig surft. André Zeidler entwickelte Blumen-Pyramiden für den Sommer und Lichterkarussells auf denen je nach Saison, die Dekoration gewechselt werden kann. „Man muss sich immer etwas Neues einfallen lassen, um übers Jahr zu kommen“, sagt der Unternehmer. Sein Großvater, Kurt Zeidler, der bis zum Zweiten Weltkrieg eine Holzkunst-Manufaktur in Seiffen führte, hätte noch wenige Figuren hergestellt, die mehrere Generationen Gültigkeit behielten. Heute würde sich seine Produktpalette aller drei Jahr komplett ändern, sagt Zeidler.

Die historischen Modelle seiner Vorfahren hält er dabei sehr in Ehren und auch im Lager bereit, denn es könnte durchaus sein, dass die in wenigen Jahren wieder gefragt sind. Der Geschmack der Kunden unterliege heute keiner Beständigkeit mehr, sondern dem sich permanent wechselnden Zeitgeist. Dem müsse er sich als Unternehmer anpassen, um langfristig überleben zu können. Auf dem Schreibtisch von André Zeidler liegen Bögen von Papier, dort skizziert er seine Ideen.

Wenn er unterwegs ist, dann kann es schon mal sein, dass er an einer Brücke anhält, um sie sich genau anzusehen, weil da vielleicht ein Gestaltungselement für einen neuen Schwibbogen versteckt sein könnte. Ein Fahrrad ganz aus Holz entwickelt er gemeinsam mit einem Studenten. Und zu seinen größten Hits gehöre ein Knieschleifer aus Weißbuche für Motorradrennfahrer. Ein echtes Zeidler-Patent und in der Rennfahrerszene sehr gefragt.

Jetzt allerdings läuft die Weihnachtsproduktion. In den letzten drei Monaten des Jahres setzt Zeidler den größten Teil seiner Jahresproduktion um. Die Armee aus Räuchermännern verpackt unter anderem André Zeidlers Schwester. Die Familie zieht mit, wenn es darum geht, die Wünsche der Kunden zu erfüllen. Und vielleicht übernimmt eines Tages sein Sohn das Geschäft erzgebirgischer Holzkunst. Der Räuchermann jedenfalls hat Zukunft.

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