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Nur ganz am Anfang ist alles fremd

In sächsischen Schulen lernen derzeit rund 22.900 Schüler mit Migrationshintergrund - Tendenz steigend. Die Integration der Kinder läuft an vielen Schulen zwar gut - aber es gibt auch Probleme.

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© dpa

Nina Schirmer

Chemnitz. Am Anfang ist für sie alles fremd. Eine Sprache, die sie nicht verstehen, Kinder, die sie nicht kennen und eine Schule, die ihnen noch nicht vertraut ist. Seit Schuljahresbeginn lernen zwei Mädchen aus Ungarn an der Charles-Darwin Grundschule in Chemnitz. Erst in den Sommerferien sind sie nach Deutschland gekommen. Für Schulleiterin Ulrike Friedrich ist es jetzt besonders wichtig, für die Kinder eine Atmosphäre zu schaffen, in der sie sich schnell wohlfühlen. Inzwischen ist sie darin schon geübt. Die Zahl der Migrantenkinder habe sich an ihrer Schule in den letzten Jahren verdreifacht, erklärt die Schulleiterin.

Das sächsische Schulgesetz sieht vor, dass für Kinder von Zuwanderern ohne Rücksicht auf die Herkunft die gleichen Chancen und Bildungsmöglichkeiten wie für alle anderen Kinder gewährleistet werden. „Wir haben die Aufgabe, für Bildungsgerechtigkeit zu sorgen und die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen“, sagt Gabriele Weber, Referentin für Migrationsfragen beim Kultusministerium. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der sprachlichen Bildung der Einwanderer. In Sachsen wird deshalb das Fach Deutsch als Zweitsprache (DaZ) als reguläres Unterrichtsfach unterrichtet.

In drei Etappen integriert

Betreut von speziellen Fachkräften, werden die Migrantenkinder über drei Etappen Schritt für Schritt in die Regelklassen integriert. In den ersten vier bis sechs Wochen nach der Ankunft in Deutschland erhalten sie ausschließlich Unterricht in Deutsch als Zweitsprache. Anschließend besuchen die Kinder zusätzlich Fächer wie Mathematik, Sport und Musik, die noch keine perfekten Deutschkenntnisse voraussetzen. Die dritte Etappe sieht schließlich die Teilnahme an allen regulären Fächern mit Benotung vor.

An der 14. Grundschule in Dresden hat die Hälfte aller Schüler einen Migrationshintergrund. Elvira Ziller arbeitet hier als Betreuungslehrerin. Eine große Herausforderung sieht sie bei der Förderung von Kindern, die in ihrem Heimatland noch nie eine Schule besucht haben, aber bereits neun oder zehn Jahre alt sind. „Es gibt Kinder, die keine Schere in der Hand halten können. Das heißt aber nicht, dass sie geistig nicht fit sind“, sagt Ziller. Es bestehe die Gefahr, dass zu viele Kinder in Förderschulen landen, obwohl sie dort nicht hingehörten.

Mehr als acht Migrantenschüler mit unterschiedlichem Lernstand individuell zu betreuen, sei für einen Lehrer schwer umzusetzen, findet Ziller. Das Kultusministerium gibt für die Vorbereitungsklassen einen Richtwert von 20 Schülern vor. Diese Zahl sei vertretbar, betont Referentin Weber.

Kinder kennen keine Konflikte

Die soziale Integration der Migranten verläuft den Lehrern zufolge meist ohne Probleme. „Dort, wo wir Probleme vermuten, sehen die Kinder gar keine“, sagt Schulleiterin Friedrich. Unter den Schülern gebe es keine kulturell oder religiös bedingten Konflikte. „Wir haben zwei Schülerinnen, die Kopftuch tragen. Für mich als Ethiklehrerin ist das ein großer Gewinn, um Toleranz zu vermitteln“, sagt Friedrich. Manchmal seien deutsche Eltern wegen des hohen Ausländeranteils an den DaZ-Schulen besorgt. „Sie sind doch die Ausländerschule“, hört Friedrich öfter. Sie erklärt dann, dass alle Kinder gleich gefördert werden.

Die optimale Unterstützung der Migranten gelingt jedoch nicht immer. Einige leiden unter psychischen Problemen. „Wir haben zum Beispiel Schüler aus Syrien und Tschetschenien, die über einen langen Zeitraum nur Gewalt kennengelernt haben“, berichtet Ziller. Oft zögen sich diese Kinder zurück und sprächen nicht. Psychische Schäden könnten die Lehrer jedoch nur ungenügend behandeln. „Bei 28 Schülern kann man nicht auf alle spezifischen Probleme eingehen. Hier bräuchten wir dringend Psychologen oder Sozialarbeiter“, sagt die Lehrerin.

Neben dem Deutschunterricht sollen Migrantenkinder auch die Möglichkeit erhalten, in ihrer Herkunftssprache unterrichtet zu werden. An einzelnen Schulen wird am Nachmittag Sprachunterricht von Muttersprachlern angeboten. „Wir sehen Zweisprachigkeit als Bildungspotenzial“, sagt Kultusreferentin Weber. In Leipzig wurde im vergangenen Schuljahr Unterricht in zehn Sprachen angeboten, darunter Vietnamesisch, Armenisch, Arabisch und Bulgarisch. (dpa)