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Notruf-Drama im Radeberger Stadtbad

Zwei Kinder klagen über akute Atemnot. Doch der Notarzt kommt erst nach 50 Minuten.

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© Archivfoto

Von Jens Fritzsche

Radeberg. Bei einem Wespenstich mit anschließendem Allergie-Schock hätte die Sache wirklich dramatisch enden können. Radebergs Badchef Frank Hantschmann ist noch immer hörbar aufgebracht. Denn als jetzt zwei Kinder im Bad über Brechreiz und akute Atemnot klagten, hatte er umgehend den Notruf 112 gewählt, hatte den Fall geschildert und ihm war gesagt worden, dass umgehend der Rettungsdienst käme – doch dann tat sich über 20 Minuten lang nichts. „Also habe ich dann noch einmal angerufen, da ist mir gesagt worden, dass im Computer kein Einsatz im Radeberger Stadtbad zu finden sei und man nun aber umgehend den Notarzt losschicke“, beschreibt der Badchef. Bis die Rettungskräfte letztlich im Bad ankamen, waren 50 Minuten vergangen. „Ein absolutes Unding“, ist Frank Hantschmann richtig sauer. „Das ist ein unglaubliches Gefühl der Hilflosigkeit, wenn man da die zwei Kinder vor sich liegen sieht, die panisch nach Luft ringen, die Mütter daneben, die vor Angst weinen und Du kannst nichts tun…“ Auf sich beruhen lassen will er die Sache jedenfalls nicht, stellt der Badchef klar – auch, wenn letztlich die Atemnot wieder nachließ und die Rettungskräfte bei ihrem Eintreffen nicht mehr wirklich viel Arbeit hatten. „Man stelle sich einfach mal vor, wir haben hier ein Problem mit austretendem Chlor – nicht auszudenken“, kann es Frank Hantschmann noch immer nicht fassen, dass es statt der gesetzlich vorgegeben acht bis maximal zwölf Minuten eben 50 Minuten dauerte, bis der Notarzt da war.

Die Notrufe unter der Nummer 112 laufen in der Rettungsleitstelle Hoyerswerda ein. Die ist für die Landkreise Görlitz und Bautzen und damit eben auch für Radeberg zuständig. Ein riesiges Areal von der polnischen und tschechischen Grenze bis an den Stadtrand Dresdens sozusagen. Von Hoyerswerda aus wird dann der nächstgelegene Rettungsdienst alarmiert, fürs Radeberger Stadtbad ist das die Rettungswache Radeberg. Im Prinzip nur gute 400 Meter Luftlinie vom Bad entfernt. Wenn die dort stationierten Rettungswagen ausgelastet sind, würde im Ernstfall die Radeberger Feuerwehr informiert. „Die Stadt Radeberg hat extra für solche Fälle ein sogenanntes Frist-Responder-Fahrzeug angeschafft, damit wir zu Erste-Hilfe-Einsätzen ausrücken können“, bestätigt Radebergs Feuerwehrchef Frank Höhme. Aber weder der Rettungsdienst noch die Radeberger Feuerwehr wurden nach dem ersten Anruf in Hoyerswerda mit einem Rettungsauftrag ausgestattet. Das war erst nach dem zweiten Anruf passiert.

Beeinträchtigungen im Techniknetz

Warum, das will Frank Hantschmann nun unbedingt wissen. „Mir geht es nicht darum, dass hier Köpfe rollen“, unterstreicht er. Aber so ein Problem dürfe einfach nicht auftreten, ist er überzeugt. „Was, wenn es wirklich Tote gibt?“ Zunächst hatte man ihm in einer ersten telefonischen Reaktion in der Rettungsleitstelle mitgeteilt, ein Blitz habe eingeschlagen und ein schwerwiegendes technisches Problem verursacht. „Aber warum hat das dann bei meinem zweiten Anruf funktioniert?“, fragt sich der Radeberger. Noch dazu will er den Blitzeinschlag nicht als Begründung gelten lassen, stellt er klar. „Für solche Fälle muss es doch einen Notfallplan geben, da muss beispielsweise eine andere Rettungsleitstelle aushelfen – jedes Krankenhaus hat doch zum Beispiel auch ein Notstromaggregat für den Fall der Fälle“, beschreibt der Badchef.

Auf Nachfrage der SZ in Hoyerswerda teilt Stefan Schumann, der Leiter der Rettungsleitstelle Ostsachsen, dann mit, es sei an besagtem Tag zu Beeinträchtigungen im landesweiten Techniknetz gekommen. Aber: „Ein Blitzeinschlag kann bis dato nicht bestätigt werden.“ Was also ist dann die Ursache dafür, dass es 50 Minuten dauerte, bis Rettungskräfte den beiden nach Luft ringenden Kindern zu Hilfe kamen? „Der Ablauf des konkreten Einsatzes wird aktuell noch geprüft“, schreibt Stefan Schumann in seiner Antwort-Mail. Und er stellt klar, dass es für technische Probleme durchaus Konzepte gebe, „die ein höchstes Maß an Sicherheit und Verfügbarkeit zur Aufgabenwahrnehmung sicherstellen“. Funktioniert hat das mit dem „höchsten Maß an Sicherheit und Verfügbarkeit zur Aufgabenwahrnehmung“ in diesem Fall allerdings nicht wirklich…

Radeberg ist kein Einzelfall

Mittlerweile hat sich auch Radebergs OB Gerhard Lemm (SPD) eingeschaltet, um Kraft seines politischen Amtes auf Aufklärung zu drängen. In einer Mail an den zuständigen Landrat Michael Harig (CDU) hat er um eine Antwort zu den Gründen für den Vorfall gebeten. Noch steht diese aus.

Offenbar ist der Radeberger Fall nicht wirklich ein Einzelfall in Sachsen. Denn just dieser Tage hat der Grünen-Landtagsabgeordnete Volkmar Zschocke auf eine entsprechende Anfrage von der Landesregierung die Antwort bekommen, dass in den Jahren 2010 bis 2012 die Vorgabe der zwölf Minuten zwischen Notruf und Eintreffen der Retter sachsenweit nur zu 87 bis 88 Prozent erreicht worden sei. Wetter, Baustellen und ungenaue Ortsangaben der Anrufer seien Schuld daran, hieß es weiter.

Der Radeberger Stadtbadverein will die Sache jedenfalls nicht auf sich beruhen lassen. Und wird nun Anzeige erstatten.