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Notfall ohne Notarzt

Trotz Verletzung schickte die Leitstelle keinen Rettungswagen nach Leppersdorf. Der Fall ist außergewöhnlich.

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© dpa

Von Thomas Drendel

Diese Nacht wird Andreas Petzsch nicht vergessen. An dem Sonnabend wacht er am frühen Morgen auf und entdeckt Blut auf seinem Laken. „Ich bin erschrocken. Aber schnell war mir klar, dass muss von den beiden Leitungen kommen, die mein künstliches Herz mit Energie versorgen“, sagt der Mann aus Leppersdorf.

Wegen einer Herzerkrankung wurde ihm eine Pumpe eingesetzt, die seinen Blutkreislauf unterstützt. Das Gerät wird über Leitungen mit Strom versorgt. Sie führen von einem Akku, den er immer bei sich trägt, in seinen Körper. „Im Schlaf muss ich mir bei einer Bewegung die Leitungen versehentlich herausgezogen haben. Ich blutete stark“, erinnert sich Andreas Petzsch. So gut es ging, holte er sich sein Telefon wählte die Notrufnummer 112 und schilderte der Mitarbeiterin seine Lage. Dass er sich im Schlaf verletzt hat, dass er blutete, dass er ein künstliches Herz hat. „Zu meinem Entsetzen sagte die Mitarbeiterin, dass das kein Fall für den Rettungsdienst ist, nur eine Wundversorgung vorzunehmen ist und ich das selber machen soll.“ In seiner Not wusste er sich nicht anders zu behelfen und rief seine Tochter an. „Das war so gegen 5 Uhr. Sie ist in einer Bäckerei tätig und war schon an ihrem Arbeitsplatz. Deshalb konnte sie glücklicherweise schnell kommen.“ Sie brachte ihren Vater in die Notaufnahme des Radeberger Krankenhauses. Dort versorgten die Ärzte die Wunde. Schnell war klar, den Patienten müssen Spezialisten behandeln.

OP im Herzzentrum

Ein Krankenwagen brachte den Leppersdorfer ins Herzzentrum in Dresden, wo er operiert wurde und für einige Tage in der Klinik bleiben musste. „Die Ärzte, die mich behandelten, waren fassungslos, dass kein Rettungswagen geschickt wurde. Ich kann die Entscheidung auch nicht verstehen“, sagt Andreas Petzsch.

Was lief in dieser Nacht im September falsch? Der Notruf 112 ging bei der Rettungsleitstelle in Hoyerswerda ein. Sie wird von den Landkreisen Görlitz und Bautzen betrieben. In ihr wurden vor vier Jahren alle kleineren Leitstellen zwischen Görlitz und Radeberg zusammengefasst. Alle Notrufe aus dem Bereich kommen dort an. Die Technik ist auf dem modernsten Stand. Gut 70 Disponenten, Dienstgruppenführer und Systemadministratoren arbeiten hier.

Leiter ist Steffen Schumann. Er hat sich nach Bekanntwerden des Falles die Aufzeichnungen des Gespräches aus der Nacht angehört. „Meine Mitarbeiterin ist zu der Erkenntnis gekommen, dass es sich um Wundversorgung handelt und in der Tat, für solche Fälle ist der Rettungsdienst nicht vorgesehen.“ Ob die Disponentin noch weitere Fragen hätte stellen müssen, um die wirkliche Lage des Leppersdorfers zu verstehen und um dann doch einen Notarzt zu schicken, führte der Rettungsstellenleiter nicht aus. Er wies darauf hin, dass es sich bei dieser Art des künstlichen Herzens um eine seltene noch weitgehend unbekannte Methode handelt.

Fall wird aufgearbeitet

Nach seinen Angaben werde in der Rettungsleitstelle alles getan, um die richtigen Schlussfolgerungen für die Anrufer zu treffen. So würden die Mitarbeiter der Leitstelle monatlich geschult, um medizinisch auf dem neuesten Stand zu sein. Auch in Sachen Gesprächsführung erhalten sie Unterricht. Der Fall werde darüber hinaus wie alle anderen Beschwerden oder Hinweise akribisch aufgearbeitet. „Wir werten die Aufzeichnungen des Gespräches aus. Auch mit dem Patienten wird noch einmal Kontakt aufgenommen“, sagt Steffen Schumann. Der Ärztliche Leiter der Rettungsstelle Dr. Stephan Müller werde mit Andreas Petzsch sprechen. Alles diene dazu, aus den verschiedenen Fällen zu lernen und künftig die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Inzwischen hat der Besuch des Ärztlichen Leiters bei Andreas Petzsch stattgefunden. Nach Angaben des Leppersdorfers habe er den Vorfall noch einmal geschildert. „Nach meinem Verständnis hat sich der Arzt schon für den Vorfall entschuldigt. Die Mitarbeiterin hätte bei dem Telefonat hellhörig werden und sich weiter erkundigen müssen“, sagt der Herzpatient.

Ihm komme es jetzt vor allem darauf an, dass die Mitarbeiter der Rettungsleitstelle aus dem Fall lernen und bei künftigen Notrufen dieser Art die richtigen Entscheidungen treffen.