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Nichts geht mehr

Zwischen Meißen und Nieschütz bauen zwei Behörden gleichzeitig die Straßen. Wer der Umleitung folgt, fährt im Kreis.

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Von Jürgen Müller

Diera-Zehren. Alle Jahre wieder bricht es aus, das „Herbstfieber“. Gemeint ist, dass an allen möglichen Strecken noch schnell Straßen gebaut werden. Denn das Geld muss noch bis Jahresende und vor dem Wintereinbruch verbaut werden. Sonst ist die Kohle weg. Mit aller Macht wird nun nachgeholt, was das ganze Jahr über nicht geschafft wurde.

Sperrung ohne Vorwarnung. In Nieschütz stehen Autofahrer plötzlich vorm Sperrschild.
Sperrung ohne Vorwarnung. In Nieschütz stehen Autofahrer plötzlich vorm Sperrschild. © Jürgen Müller
Ort der Begegnung: Die Busse treffen sich an der einzigen Ausweichmöglichkeit.
Ort der Begegnung: Die Busse treffen sich an der einzigen Ausweichmöglichkeit. © Jürgen Müller
In Golk ist Schluss. Eine Umleitung nach Nieschütz ist ausgeschildert - in die Gegenrichtung.
In Golk ist Schluss. Eine Umleitung nach Nieschütz ist ausgeschildert - in die Gegenrichtung. © Jürgen Müller
Bis September sollte die Kreisstraße fertig sein, verkündet die Bautafel. Grau ist alle Theorie.
Bis September sollte die Kreisstraße fertig sein, verkündet die Bautafel. Grau ist alle Theorie. © Jürgen Müller

Betroffen ist in diesem Jahr besonders der Ort Nieschütz. Weil das Landesamt für Straßenbau und Verkehr auf der S 88 zwischen Meißen und Nieschütz baut, gleichzeitig auf der Ausweichroute aber der Landkreis Meißen, ist der Ort nur schwer oder gar nicht zu erreichen, klagen Anwohner.

Wir wollen das testen, machen einen Selbstversuch: Start in Meißen auf der Elbtalstraße. An der „Knorre“ die erste Ampel. Hier wird gerade der Felsen saniert, der auf die Straße zu stürzen drohte. Weiter geht es in Richtung Kleinzadel. Am Klärwerk Zadel ein großes Bauschild. „Wir bauen für Sie“, heißt es da vollmundig. Na klar, für wen denn sonst? Die Bautafel hat auch eine erfreuliche Nachricht. Bis September 2016 werde die Kreisstraße gebaut. Was haben wir jetzt? Ach ja, Oktober. Wie schön, da ist der Bau ja beendet. Denkste! In Kleinzadel das Sperrschild. Nichts ist fertig. Im Landratsamt gibt es dafür eine Erklärung. „Die unvorhersehbare und zwingend erforderliche Vollsperrung der Kreisstraße im Bereich Knorrefelsen führte zu einer außerplanmäßigen Bauunterbrechung bei der Hochwasserschadensbeseitigung auf der Straße zwischen Nieschütz und Meißen“, heißt es aus der Pressestelle. Die bauvertraglich geregelte Bauzeit für die Hochwassermaßnahme verlängerte sich entsprechend.

Stattdessen geht es also rauf nach Zadel und dann zur S 88. Normalerweise müsste es jetzt nach links gehen, Richtung Nieschütz. Geht aber nicht, die Straße ist Sackgasse. „Ortsdurchfahrt Nieschütz gesperrt“, lesen wir. Die Umleitung geht nach rechts, also in die Gegenrichtung. Wir folgen skeptisch. In Diera ist auch die Staatsstraße dicht. Bauarbeiter oder Baufahrzeuge sehen wir bis zum Horizont nicht. Der Umleitungspfeil leitet uns in den Ort und nach 200 Metern wieder nach rechts. Ein Umleitungsschild nach Nieschütz ist jetzt nicht mehr zu sehen. Brav folgen wir den schwarzen Pfeilen auf gelbem Grund und landen - in Ockrilla. Von dort werden wir auf die B 101 nach rechts geleitet. Und kommen wieder in Meißen an. Wir sind 30 Kilometer gefahren, aber keinen Meter voran gekommen, sondern im Kreis gefahren. Danke für die klasse Ausschilderung!

Zweiter Versuch. Wir fahren nach Golk. Eine Umleitung nach Nieschütz ist nicht ausgeschildert. Instinktiv fahren wir nach links, also Richtung Nieschütz. Weder ein Sperr- noch ein Sackgassenschild sind ja aufgestellt, also freie Fahrt. Aber nur bis zur Kreisstraße in Nieschütz. Dort stehen wir ohne Vorwarnung vor einem Sperrschild. Also zurück nach Golk. Über Löbsal ginge es noch. Theoretisch. Denn die Straßen ist genau genommen ein sehr schmaler, asphaltierter Waldweg. Wehe, es kommt Gegenverkehr. Für Lkw ist der Weg gesperrt, für Busse aber nicht. Ein Bus der Verkehrsgesellschaft Meißen fährt gerade dort entlang, wir hinterher. Hoffentlich kommt jetzt kein Gegenverkehr, denn der Bus nimmt die gesamte Straße ein, denken wir noch, da kommt Gegenverkehr – ein Bus. Zum Glück begegnen sich beide an der einzigen Stelle, wo es eine Ausweichmöglichkeit gibt. Kein Zufall, wie VGM-Chef Rolf Baum sagt. „Die Fahrer verständigen sich über Funk“, so Baum. Auch er ist über die parallelen Straßenbauarbeiten verärgert. „Wir müssen diese Strecke fahren, weil es keine andere Möglichkeit gibt, nach Nieschütz und weiter nach Diesbar zu fahren“, sagt der VGM-Chef. Er fürchtet noch Schlimmeres für das Wochenende. Dann findet der Weinlauf statt mit entsprechend viel Verkehr. Das Problem, dass im Herbst schnell noch jede Menge Straßenbauarbeiten stattfinden, gäbe es jedes Jahr.

Sprechen sich Lasuv und Landratsamt bei den Bauarbeiten nicht ab? Warum wird parallel auf zwei Strecken gearbeitet? Ja, es gab sowohl im Vorfeld als auch während der Baudurchführung Abstimmungen, auch unter Beteiligung der Verkehrsbehörden, heißt es aus dem Landratsamt. Aber unvorhersehbare Aspekte wie die Sperrung der Straße am Knorrefelsen seien nun mal vorab nicht planbar. Die Fördermittel müssten bis Jahresende verbaut sein.

Direkt betroffen ist auch Diera-Zehrens Bürgermeisterin Carola Balk, die von ihrem Wohnort Golk ins Gemeindeamt nach Nieschütz muss. „Wir hatten gehofft, dass die Fördermittel für den Straßenbau in Nieschütz ins nächste Jahr übertragen werden können, aber das war offenbar nicht möglich“, sagt sie. Und wie kommt sie jetzt auf Arbeit? Sie scherzt: „Ich fliege.“ Ja, Fliegen wäre jetzt tatsächlich schön. Vor allem, wenn diejenigen, die so etwas planen und ausschildern, wenn diejenigen Bürokraten, die nicht willens oder fähig sind, Gelder ins nächste Jahr zu übertragen, wenn unvorhersehbare Umstände eintreten, mal fliegen würden.

Übrigens: Eine offizielle Umleitung gibt es doch: Sie führt laut Landratsamt von Meißen über die B 101 nach Gävernitz, von da nach Löbsal und nach Nieschütz. Nur ausgeschildert ist sie eben nicht.