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Nichts geht mehr

Der Skandal im sächsisch-tschechischen Glücksspielmilieu: warum die Spielbank Zinnwald der Dreh- und Angelpunkt bei der Investorensuche war.

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© Steffen Neumann

Von Ulrich Wolf und Steffen Neumann

Die Auswahl ist nicht üppig. Der Mann mit dem Schnauzbart blickt kurz in die Speisekarte, dann bestellt er in fließendem Tschechisch den Klassiker: „Vepro, knedlo, zelo a kolu. Prosim.“ Schweinebraten, Knödel, Kraut und eine Cola, bitte. Die Kneipe liegt in einer nordböhmischen Kleinstadt, der Mann mit dem Schnauzbart will anonym bleiben und etwas erzählen darüber, „wie das so gelaufen ist mit den Kasinos an der Grenze“. Mehr als 20 Jahre war er in der Glücksspielszene unterwegs: als Lizenzgeber, als Manager, als Spielbankchef. Ein Deutscher, der nun in Tschechien seinen Lebensabend verbringt in einem sanierungsbedürftigen Einfamilienhaus. Das große Los hat er offensichtlich nicht gezogen. „Ich hatte Partner, die haben richtig Knete gemacht“, sagt er. Herr Hinsche und seine Freunde zum Beispiel.

Willi Hermann Hinsche hat sich noch im vorigen Jahr der Öffentlichkeit gern als Geschäftsmann und Mitgesellschafter der Spielbank Zinnwald sowie als Berater der Kasinobranche präsentiert.
Willi Hermann Hinsche hat sich noch im vorigen Jahr der Öffentlichkeit gern als Geschäftsmann und Mitgesellschafter der Spielbank Zinnwald sowie als Berater der Kasinobranche präsentiert. © Steffen Neumann
Hinsche-Immobilie in Zinnwald: Der 47-Jährige wollte aus diesem früheren Gasthaus angeblich eine Apartmentanlage für betuchte Glücksspieler machen.
Hinsche-Immobilie in Zinnwald: Der 47-Jährige wollte aus diesem früheren Gasthaus angeblich eine Apartmentanlage für betuchte Glücksspieler machen. © Steffen Neumann

Willi Hermann Hinsche, dessen Firmensitz in Zittau und Haus im benachbarten Hradek nad Nisou Anfang November vorigen Jahres vom Landeskriminalamt Sachsen und tschechischen Ermittlern durchsucht worden waren, soll zu einer zehnköpfigen Bande gehören, die Kapitalanleger um mehrere Millionen Euro betrogen haben soll. Die Staatsanwaltschaft Görlitz ermittelt dazu bereits seit zwei Jahren. Ihr Verdacht: Diversen Kapitalanlegern sollen ohne aufsichtsrechtliche Erlaubnis Beteiligungen an Spielbanken in Liberec, Petrovice, Teplice, Zinnwald und Prag verkauft worden sein. Ein beträchtlicher Teil des Geldes sei jedoch benutzt worden, um den eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren. Der 47-jährige Hinsche soll dabei als Mitgesellschafter der Spielbank Zinnwald eine nicht unbedeutende Rolle gespielt haben. Hinsches Anwalt weist das entschieden zurück.

Der Mann mit dem Schnauzbart, nennen wir ihn Schmidt, sieht das ganz anders. Hinsche sei „so um 2003 herum“ auf ihn zugekommen, weil er Spiellizenzen für rund 20 tschechische Kasinos gehabt habe, sagt Schmidt. Den ersten Versuch habe Hinsche in einem Motel beim Dorf Chrastava an der Schnellstraße zwischen Zittau und Liberec unternommen. Dort eröffnete im Sommer 2006 das „Casino Universum“. Als Betreiber fungierte eine Hilada Spielbanken AG mit Sitz im südtschechischen Brünn.

Schon damals warb diese Firma um Anleger. Es bestehe in naher Zukunft die Möglichkeit, durch den Kauf weiterer 18 Spielbanken Marktführer in Tschechien zu werden“, hieß es damals. Tschechien wurde als das „kommende Las Vegas Europas“ gepriesen. Man suchte Investoren „ab einer Summe von 10 000 Euro“. Zudem „bestünde eventuell auch die Möglichkeit von stillen Teilhaberschaften an allen unseren Spielbanken sowie an den zu erwerbenden Spielbanken“. Die Renditen seien „erfahrungsgemäß sehr gut und ebenso sicher. Denn am Ende gewinnt immer die Bank!“

Schmidt hat inzwischen seinen Schweinebraten verputzt. Schon in Chrastava habe Hinsche keine offizielle Funktion übernommen, sondern sei nur als Berater aufgetreten, sagt er. Tatsächlich findet sich im damaligen Impressum der Hilada-Spielbanken keine Spur des 47-Jährigen. Jedoch tauchen dort drei Personen auf, die im Betrugsverfahren der Staatsanwaltschaft Görlitz ebenfalls eine Rolle spielen.

So etwa ein Kaufmann aus dem ostsächsischen Neugersdorf-Ebersbach, der im Hilada-Vorstand saß und dessen Wohnsitz die LKA-Fahnder ebenfalls durchsuchten. Als Direktionsmanager für den Spielebetrieb taucht im Impressum ein Anlagevermittler aus dem westthüringischen Kammerforst auf; auch ihm statteten die Ermittler einen Besuch ab. Er soll einen Großteil der Beteiligungsverträge an den Spielbanken vermittelt haben. Der inzwischen 54-Jährige räumt das am Telefon ein, sagt aber auch: „Ich fühle mich selbst ausgenutzt.“ Mit Herrn Hinsche habe er nichts mehr zu tun, weiter wolle er sich nicht äußern.

Als Aufsichtsratsvorsitzender der Hilada war ein Anwalt aus Brünn tätig. Der Jurist heißt Milan Vasicek. Er verkauft unter anderem nach tschechischem Recht gefertigte GmbH-Firmen „an jeden, der Interesse hat“. Vasicek soll, so vermuten es die Ermittler, den anderen Verdächtigen geholfen haben, ein komplexes Firmengeflecht aufzubauen, um die tatsächlichen Eigentumsverhältnisse gegenüber den Investoren zu verschleiern. Steuer- und bilanzrechtliche Fragen seien zudem über eine Vasicek-Firma in Zypern geregelt worden. Der 50 Jahre alte Anwalt weist die Vorwürfe zurück und teilt mit, er habe „keine Informationen über den Tatbestand in Deutschland“.

Der Kaufmann aus Neugersdorf, der Anlagevermittler in Thüringen, der Jurist aus Brünn – Herr Schmidt in der böhmischen Kneipe kennt sie alle. 2010, sagt er, hätte er selbst Geschäftsführer der Spielbank Zinnwald werden sollen. „Das ist zweifellos eines der schönsten Kasinos in Tschechien“. Es sei ausgestattet mit edlen Wandtextilien und flauschigen Teppichen. Schmidt zeigt einen Werbeprospekt. Diverse Poker- und Blackjack-Tische, drei Roulette-Spielmaschinen, 45 Slotautomaten, verteilt auf drei Etagen. Dazu zwei Bars, ein Restaurant und Extra-Apartments „für besonders glückshungrige Spieler“. Zinnwald sei das Vorzeigeobjekt für potenzielle Investoren gewesen, sagt Schmidt.

Ein Anleger erinnert sich. Er ist Professor für Staatsrecht und sagt am Telefon, er sei sehr wohlhabend und „mit einem kleinen Teil seines Vermögens auch am grauen Kapitalmarkt“ tätig. Sich an einer tschechischen Spielbankfirma mit hohen Renditen und gewissen Steuervorteilen zu beteiligen, das sei ihm als „cleveres Modell“ erschienen. Den ersten Kontakt dazu habe er mit dem Vermittler aus Thüringen gehabt, dann sei er nach Zinnwald eingeladen worden. „Wenn meine Gastgeber auch etwas halbseiden wirkten, das Kasino war sehr schick.“ Der 69-Jährige investierte einen sechsstelligen Betrag. Inzwischen fühlt sich der Professor „übers Ohr gehauen“; sämtliche Unterlagen zu seinen Spielbankinvestitionen habe er der Staatsanwaltschaft in Görlitz zur Verfügung gestellt.

Herr Schmidt in Nordböhmen hingegen investierte nichts, nicht einmal in seine berufliche Karriere. Er lehnte den Chefposten in Zinnwald ab. „Das war mir zu heiß, wie die da mit den Anlegern kamen“, sagt er. Vermutlich wegen dieser Entscheidung hätten sich die Ermittler bei ihm noch nicht gemeldet.

Die jüngere Geschichte der Spielbank in Zinnwald offenbart, wie das Investorenmodell funktionierte. Ende 2009 verkauft der Jurist Vasicek die tschechische Firmenhülle Detacol an Hinsche und einen Kaufmann namens Josef L. aus München. Letzterer ist ein erfahrener Beteiligungsexperte, mehrere Jahre lang war er als Finanzvorstand im Geschäft mit Filmfonds tätig. Auch er gehört zu den Beschuldigten in dem Görlitzer Verfahren und dürfte der Kopf der mutmaßlichen Bande gewesen sein.

Hinsche und Josef L. machten aus der Detacol die Spielbank Zinnwald sro, eine tschechische GmbH. Wie Jahre zuvor bei der Hilada ist auch in diesem Fall der Firmensitz die Kanzlei Vasiceks in Brünn. Innerhalb eines Jahres wechseln die Geschäftsführer dreimal, vom Herbst 2010 an ist es ein inzwischen 44 Jahre alter Mann aus der Nähe von Regensburg. Fortan läuft die Anteilsverkaufsmaschinerie: Wer sich an der Spielbank in Zinnwald beteiligen will, muss dies für fünf Jahre mit mindestens 50 000 Euro tun. Dafür erhält der Anleger im Gegenzug einen Anteil von einem Prozent und profitiert an den Erträgen der Spielbank. Da es sich um stille Beteiligungen handelt, tauchen die Investoren im tschechischen Handelsregister nicht auf. Analoge Modelle existierten für Kasinos in Liberec, Teplice, Petrovice und Prag. Sie sind jedoch alle bei Weitem nicht so repräsentativ ausgebaut wie Zinnwald.

Mehreren Anlegern zufolge flossen ab Ende 2012 die zugesagten Beteiligungsgewinne nur noch sporadisch, später gar nicht mehr. Dennoch erwerben Hinsche, Josef L. und der 44-jährige Regensburger eine nur 500 Meter von der Spielbank entfernt liegende Gasthofruine, um, wie es der Verkäufer sagt, „daraus Luxusapartments für betuchte Glücksspieler zu machen“. Der Name ist im Handelsregister bereits eingetragen: Goethe Residenz sro. Denn im Juli 1813 übernachtete dort tatsächlich Goethe. Den Kaufpreis habe Hinsche bar bezahlt, sagt der Verkäufer. Die Apartments sind bis heute nicht entstanden.

Im November 2013 überschreiben Hinsche und Josef L. ihre Spielbankanteile auf eine Holding mit Sitz auf der Karibikinsel Belize. Die ehemalige britische Kolonie ist ein Steuerparadies. Informationen zu Personen zu recherchieren, die an den dort registrierten Gesellschaften beteiligt sind, ist quasi unmöglich. Eigentümer werden in keinem öffentlichen Register eingetragen, es gibt weder eine Buchhaltungs- noch eine Bilanzierungspflicht. Das Bankgeheimnis ist verfassungsrechtlich fixiert.

Kaum haben sich Hinsche und L. von ihren Anteilen getrennt, erwerben sie mit einer weiteren Person, einem befreundeten Buchhalter aus dem Raum Stuttgart, eine neue Firma: in Bratislava. Auch gegen den Stuttgarter wird ermittelt. Das Trio gibt der Firma erneut den Namen Spielbank Zinnwald sro, diesmal aber ist es eine GmbH nach slowakischem Recht. Deren Geschäftsführer wird wieder der 44-Jährige aus Regensburg. Jetzt ist es ein Quartett, das kräftig Werbung macht für Zinnwald.

Die Spielbank präsentiert sich in einem Werbemagazin als glänzende Adresse. Von Hotels in Radebeul und Dresden aus werden Shuttle-Busse zum Glücksspiel an die Grenze bezahlt, Taxis und Straßenbahn werben für das Kasino. Hinsche lässt Schaukasinos in der Altmarktgalerie und zum Semperopernball in Dresden aufbauen. So wird um immer neue Investoren geworben, Gewinne aber wirft die Spielbank inzwischen nicht mehr ab. Somit hätten die Renditen für die Anleger nicht mehr finanziert werden können, heißt es in den Ermittlerunterlagen. Das habe nur über neue Beteiligungsverträge realisiert werden können. Die Staatsanwaltschaft sieht darin ein Schneeballsystem.

Hinsche und seine Partner nutzen zur Anlegerakquise auch die bereits 2010 gegründete Las Vegas Spielhallen GmbH in Zittau. Im Internet kündigt das Unternehmen den Aufbau von fast 100 neuen Kasinos in Deutschland an. Wieder wird aggressiv und massenweise um Investoren gebuhlt; ein Verfahren wegen unlauterer Werbung bei der zuständigen Bundesnetzagentur ist die Folge.

Inzwischen ist die Las Vegas Spielhallen GmbH pleite. Der Insolvenzverwalter sagt, Geld sei da nicht mehr zu holen. Auch die Spielbank in Zinnwald ist geschlossen. Bereits seit Ende Januar besteht ihr Internetauftritt nur noch aus einer Seite. „Neueröffnung Anfang März“ ist dort zu lesen. Vor Ort ist davon nichts zu erkennen. Nur ein Auto mit einem Kennzeichen aus Bosnien-Herzegowina steht im Innenhof.

Den Anlegern der Spielbank teilt der Regensburger Hinsche-Kompagnon im Januar 2016 schriftlich mit: „Derzeit wird gegen verschiedene Unternehmen der Spielbankbranche polizeilich ermittelt, auch gegen unsere Spielbank Zinnwald.“ Der Betrieb sei deshalb vorübergehend eingestellt worden. „Wir sind bemüht, das Spielgeschäft so schnell wie möglich wieder aufzunehmen.“