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„Nackte Jungfern“ zieren sich noch

Wenn der Frühling naht, werden die Gemeinden Amtsberg und Drebach im Erzgebirge zum Schauplatz einer kleinen Völkerwanderung. Kommende Woche könnten die Krokusse in voller Blüte stehen.

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© dpa

Gisela Bauer

Amtsberg/Drebach. Ein zarter, lilafarbener Flor liegt über einer großen Wiese im Amtsberger Ortsteil Schlößchen im Erzgebirge. „Nächste Woche werden die Krokusse wohl voll erblüht sein“, sagt der Eigentümer Lutz Hildebrandt. Bis dahin sollen Hinweisschilder an wichtigen Kreuzungspunkten in der Umgebung angebracht sein und Besucher zu der Wiese leiten. Trotz des milden Winters im Erzgebirge ist dieses Jahr kein extremes für die Frühlingsboten. Vor fünf oder sechs Jahren hätten die Krokusse schon am 22. Februar ihre Hauptblüte erreicht, berichtet Hildebrandt.

Die meisten Ausflügler kennen nur die Krokuswiesen in Drebach. Dort stehen die auch „Nackte Jungfern“ genannten Pflanzen auf rund sieben Hektar und locken an manchen Frühlingswochenenden 10.000 und mehr Besucher an. Aber in Schlößchen, von den Einheimischen „Schlössl“ genannt, ist die Blüte nach Hildebrandts Worten viel unmittelbarer zu erleben, weil die beiden großen Flächen direkt an der Hauptstraße liegen und man nicht erst von einem gebührenpflichtigen Parkplatz durchs ganze Dorf wandern muss.

Die Krokusblüte ist ein Naturschauspiel, das in Sachsen in so großartiger Form nur in Drebach und Schlößchen zu erleben ist. Der Vorsitzende des Krokus-Ausschusses im Gemeinderat Drebach, Jens Dageförde, kennt bundesweit Vergleichbares nur noch in einem Park in Husum an der Nordsee. Um ein Vielfaches größer seien allerdings Wildkrokus-Vorkommen in den österreichischen Alpen.

Vor ungefähr 300 Jahren in die Region gekommen, haben sich die Frühlingsblüher mit dem lateinischen Namen Crocus albiflorus subsp. neapolitanus beträchtlich vermehrt. Warum sie an manchen Stellen in Drebach besonders gut gedeihen, konnte laut Dageförde selbst mit Hilfe der Wissenschaft bislang nicht geklärt werden. „Untersuchungen der Böden und von Konkurrenzpflanzen im Rahmen einer Diplomarbeit an der Uni Jena haben nichts gebracht“, sagt Dageförde. Günstig jedenfalls sei die Hanglage, denn Krokusse mögen keine Staunässe. Und aus Erfahrung wüssten die Drebacher, das die Krokusse dort besser blühten, wo im Herbst das Gras ordentlich geschnitten werde.

Mit dem „Krokusvirus“ angesteckt hat sich Dageförde vor 40 Jahren in der Schule bei seinem Biologielehrer. Nachdem sich zu DDR-Zeiten der Kulturbund um Informationen und Schutz gekümmert hatte, mussten nach der Wende neue Strukturen her. Die Gemeinde gründete eigens einen Ausschuss, der alljährlich im März/April viel zu tun hat.

Gemeinde stellt Krokus-Markt auf

In Drebach geht die Krokusblüte mit einer kleinen Völkerwanderung einher. Sperrschilder und Toiletten müssen aufgestellt, Parkplätze eingerichtet und Flyer gedruckt werden. In den vergangenen Jahren hatte ein „Krokus-Markt“ Auswüchse bis zum Dessous-Verkauf angenommen. „Statt eines privaten Veranstalters macht es die Gemeinde jetzt selber. Imbiss und Zuckerwatte tun’s auch“, sagt der Ausschusschef. Leider sei die örtliche Gastronomie etwas schwach aufgestellt.

Laut Bürgermeister Jens Haustein (CDU) sorgt die Krokusblüte zwar dafür, dass Drebach in aller Munde ist, aber die Kommune profitiere nicht davon. Die Einnahmen - die Pkw-Parkgebühr beispielsweise beträgt drei Euro - müssten den Aufwand finanzieren, und ein Teil komme den Vereinen im Ort zugute.

Die Gemeinde dokumentiert den Zustand der Wiesen im Internet. „Alles ist vom Wetter abhängig. Wir können die Natur nicht beeinflussen“, sagt Haustein. Für den Austrieb müsste es nach Angaben der Fachleute mal regnen. Am besten seien Winter mit ordentlich Schnee, weil dann Schmelzwasser zur Verfügung stehe, erläutert Dageförde. Für die Blüte jedoch ist Wasser der ärgste Feind.

Im vergangenen Jahr lag extrem lange Schnee im Erzgebirge, da stießen die violetten Blütenköpfe erst Ende März durch die weiße Decke. „Das war die späteste und kürzeste Krokusblüte, die ich bisher erlebt habe“, erinnert sich Dageförde. Nach seinen Erfahrungen wird der Höhepunkt der Blüte in Drebach etwa eine Woche später als in Schlößchen erreicht. (dpa)