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Nach dem Knall ist vor dem Knall

Spezialisten bergen noch immer tonnenweise Weltkriegsmunition. Warum das Osterzgebirge besondere Sprengkraft hat.

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© Egbert Kamprath

Von Mandy Schaks

Wenn sich der Winter aus dem Osterzgebirge zurückzieht, schnüren nicht nur Wanderer ihre Stiefel. Auch kleine Spezialtrupps machen sich auf den Weg, um die Waldgebiete zu durchkämmen. So suchen sie seit Jahren im Auftrag der sächsischen Polizei in der Dippser Heide und im Altenberger Kahleberggebiet nach gefährlichen Hinterlassenschaften des Zweiten Weltkrieges. Es ist verblüffend, was auch nach über 70 Jahren noch an Sprengladungen aus dem Boden geholt wird. Erst im Oktober mussten 26 Granaten, eine Panzermine und Gewehrgranaten im Kahleberggebiet vernichtet werden. Und ein Ende der Suche ist noch nicht abzusehen.

Wie oft müssen die Experten Gefahren durch Kampfmittel abwehren?

Der Kampfmittelbeseitigungsdienst Sachsen wurde im vergangenen Jahr zu mehr als 350 Fundstellen im Freistaat gerufen. Insgesamt gab es sogar über 760 Einsätze, wie aus der Statistik des Polizeiverwaltungsamts Dresden hervorgeht. So mussten auch fast 400 Munitionstransporte und zwei Transporte des Zolls mit Pyrotechnik abgesichert werden. Alles, was an Kampfmitteln gefunden wird, landet letztlich in der Zerlegeeinrichtung in Zeithain. Der Betrieb ist darauf spezialisiert, diese gefährlichen Sprengkörper zu vernichten.

Wie viel Munition finden die Spezialisten heute noch?

Etwa 150 Tonnen Kampfmittel wurden im vergangenen Jahr in Sachsen geborgen. „Auch nach über 70 Jahren bleibt das Fundaufkommen an Kampfmitteln in Sachsen auf hohem Niveau“, resümiert der Sprecher des Polizeiverwaltungsamtes, Jürgen Scherf. Das liegt natürlich auch daran, dass zum Teil systematisch danach gesucht wird, in der Dippser Heide etwa seit Herbst 2013 und im Altenberger Kahleberggebiet seit Juni 2014. Diese sogenannten Räumstellen seien teilweise sehr komplex.

Zudem umfassen Suchgebiete wie im Osterzgebirge auch ehemalige Sprengstellen. Das ist eine historische Besonderheit der Region. Truppen der deutschen Wehrmacht zogen sich zum Ende des Zweiten Weltkrieges Richtung Böhmen zurück. Auf der Flucht vor der Roten Armee ließen sie alles stehen und liegen. Munition und Waffen wurden später eingesammelt und an Sprengstellen in die Luft gejagt, damit das Kriegswerkzeug nicht mehr benutzt werden konnte. „Unmittelbar nach dem Krieg wurde hier versucht, Fundmunition durch Sprengen unbrauchbar zu machen“, erläutert Scherf. Das passierte in der Dippser Heide und auch in Altenberg. Hier wurde die Munition in einem Steinbruch an der Schneise 31 entsorgt und gesprengt. Sonderlich professionell erfolgte das nicht. Das heißt: wirklich vernichtet wurde nicht alles, manches flog bei der Explosion nur durch die Gegend. „Erst heute werden durch den Kampfmittelbeseitigungsdienst auch diese Kriegsrückstände fach- und umweltgerecht entsorgt“, erklärt Scherf.

Was liegt nach über 70 Jahren noch an gefährlichen Sachen herum?

Das meiste, was im Vorjahr in Sachsen gefunden wurde, war mit über 128 Tonnen Artilleriemunition. Außerdem wurden mehr als acht Tonnen Nahkampfmittel entdeckt. Dazu zählen Handgranaten und Minen. Geborgen wurden unter anderem noch fast 9,5 Tonnen Abwurfmunition. 26-mal erfolgten die Sprengungen direkt vor Ort, weil es zu gefährlich geworden wäre, die Ladung bis zur Kampfmittelzerlegeeinrichtung zu transportieren.

Ist es für Wanderer gefährlich, in solche Waldgebiete zu gehen?

Bei der letzten Sprengung im Herbst im Kahleberggebiet sagten die Experten deutlich, dass Wanderer und Pilzsucher mit Weltkriegsmunition eigentlich nicht konfrontiert werden. Die Kampfmittel sind im Erdreich verschwunden. Erst bei gezielter Suche mit Detektoren werden sie aufgespürt. Aber generell gilt: „Auch nach über 70 Jahren gehen von Kampfmitteln heute noch zum Teil unberechenbare Gefahren aus“, so Scherf. Wer also Verdacht schöpft, sollte das Teil nicht anfassen, sondern sofort die Polizei informieren.