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Mit Volldampf durch die Zeit

Nächste Woche hat der Elbdampfer „Pirna“ sein 120. Dienstjubiläum. Das Geburtstagskind ist gut in Schuss, auch dank seiner „Familie“.

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© Daniel Schäfer

Von Jörg Stock

Pirna. Noch ein paar Streicheleinheiten, bevor es losgeht? Nein, nicht deshalb hangelt Falk Hering mit einem weichen Lappen über der Kurbelwelle. Er muss sich nicht einkratzen. Die Dampfmaschine lässt keinen im Stich, der weiß, wie man sie zu bedienen hat. Und er weiß es. Lange vorbei sind die Zeiten, da er ängstlich auf jedes Zucken der Manometer blickte. Heute muss er nur hinhören, um zu wissen, was die Maschine macht. Der Lappen ist eher für die Optik. Alles soll glänzen. „Wir wollen unseren Fahrgästen ja was bieten.“

Aufm Dampfer

Klare Ansage: Kapitän Daniel Frenzel (46) gibt übers Sprachrohr Kommandos in den Maschinenraum durch.
Klare Ansage: Kapitän Daniel Frenzel (46) gibt übers Sprachrohr Kommandos in den Maschinenraum durch.
Heißer Posten: Maschinist Falk Hering (39) weiß jeden Schnaufer seiner Dampfmaschine zu deuten.
Heißer Posten: Maschinist Falk Hering (39) weiß jeden Schnaufer seiner Dampfmaschine zu deuten.
Kurzurlaub an Deck: Andreas und Angelika Duda mit Enkelin Andrea.
Kurzurlaub an Deck: Andreas und Angelika Duda mit Enkelin Andrea.
Schmierung mit Stil: Diese Ölkannen sind wohl mit dem Dampfer alt geworden.
Schmierung mit Stil: Diese Ölkannen sind wohl mit dem Dampfer alt geworden.
Voller Einsatz: Bootsmann Toni Hahnfeld (26) vertäut die „Pirna“ am Anleger von Pillnitz.
Voller Einsatz: Bootsmann Toni Hahnfeld (26) vertäut die „Pirna“ am Anleger von Pillnitz.

Erst recht, wenn es etwas zu feiern gibt. Der Raddampfer „Pirna“ hat 120. Dienstjubiläum. Seit dem 22. Mai 1898 schaufelt das Schiff die Elbe hoch und runter. Es überlebte Weltkriege, Revolutionen, Kohlenbrände, Kesselschäden, Personalnöte und eine gebrochene Kurbelwelle. All das sieht man ihm nicht an, wie es so majestätisch am Kai von Bad Schandau liegt, fast sechzig Meter lang, und, über die Schaufelräder gemessen, mehr als zehn Meter breit. Noch immer ist die „Pirna“ ein Zugpferd. Von den 210 000 Passagieren, die 2017 mit der Weißen Flotte die Sächsische Schweiz bereisten, saßen 35 000 auf diesem Schiff.

Gleich viertel zehn. Die Fahrgastschlange kraucht an Bord. Handys werden rausgeholt, Fotos gemacht. Die Sonnenplätze sind als erste weg. Eine Etage tiefer hat es Maschinist Falk Hering warm, auch ohne Sonne. Im Hochsommer wird’s im Maschinenraum bis zu fünfzig Grad heiß. Seit anderthalb Stunden bereitet er die Abfahrt vor. Ganz sachte hat er die Maschine auf Dampftemperatur erwärmt, immer auf der Hut vor seinem ärgsten Feind, dem Kondenswasser. Läuft es irgendwo im System zusammen, wirkt es wie eine Blockade. So ein „Wasserschlag“ kann der Tod sein für Kolbenstangen und Zylinder.

Oben tutet’s. Einmal lang, einmal kurz. Für Landratten heißt das: Jetzt geht’s los. Für Falk Hering heißt das: Wenden über Steuerbord. Nichts passiert hier ohne Sinn. Eine Klingel rasselt. Telefon? Nein, Telegraf. Der Maschinentelegraf, tortenstückartig eingeteilt von „voll voraus“ bis „voll zurück“, meldet per Zeiger die Wünsche des Käptens. Hering lacht. „Wie auf der Titanic!“ Der Käpten wünscht langsam voraus. Der Maschinist quittiert und gibt dem Schiff einen Schubs. Oben wird jetzt die Leine schlapp und der Bootsmann kann sie vom Poller lösen. Mit halber Fahrt sticht die „Pirna“ in den Strom hinein und lässt sich von ihm talwärts drehen, in Richtung Ziel: Schloss Pillnitz.

Die „Pirna“ nimmt Fahrt auf. Fünfzehn bis zwanzig Stundenkilometer sind das Reisetempo, wenn es bergab geht. Maschinist Hering kurbelt und hebelt, beidhändig, manchmal sogar noch mit dem Fuß. Dampfmaschine fahren ist nicht so einfach. „Man muss unheimlich viel beachten.“ Dabei hantiert er, abgesehen von einem winzigen Bullauge, quasi im Blindflug. Was wichtig ist, meldet ihm der Messingtrichter über seinem Kopf. Das Sprachrohr führt direkt zur Brücke. Grammophon-Akustik. Sicher auch Marke Titanic. „Aber es funktioniert“, sagt Falk Hering, „selbst wenn alle Systeme ausfallen.“

Während der Dampfmaschinist neben seinem Kessel ein Marmeladenbrötchen frühstückt, genießen die Passagiere an Deck die Fahrt. Andreas und Angelika Duda zum Beispiel, aus Piskowitz bei Kamenz. „Die Landschaft, das Gebirge – es ist einfach schön“, sagt Angelika. Die beiden saßen zuletzt auf einem Elbdampfer, als ihre Kinder klein waren. Jetzt haben sie die Enkelin mit. Die kleine Andrea presst die Hände fest auf ihre Ohren. Mit der Dampferpfeife kann sie sich nicht anfreunden.

Dass die Pirna schon 120 Jahre in Betrieb ist, erstaunt die Lausitzer keineswegs. Die alte Technik hält eben durch, sagt Andreas, genau wie der Trabi, der auch nicht totzukriegen ist. Aber die Autos heutzutage? „Da stehst du davor und kannst nichts mehr machen.“ In Rathen steigen die Dudas ab. Der Kapitän aber will schnell weiter und kommandiert in die Flüstertüte: „Voraus voll, und ab geht die Post!“

Im Fahrstand von Daniel Frenzel warnt ein Schild: Sperrgebiet. Betreten auf eigene Gefahr. Na ja, das hat er mal geschenkt gekriegt, sagt er. Eigentlich ist der Kapitän kein Bärbeißer. Er legt Wert auf gutes Klima an Bord. Schließlich hat die Mannschaft nur drei Köpfe. Von wegen dasitzen im weißen Hemd und auf den Feierabend warten! Nee, auf dem Schiff gibt es immer was zu tun, sagt er. „Hier muss sich jeder auf den anderen verlassen können.“

Sanft gleitet die „Pirna“ den Strom hinab. Ein ruhiger Tag. Das Schiffsnavi zeigt praktisch keinen Verkehr. Langeweile? Hat er nie, sagt Kapitän Frenzel. Wie könnte er auch. „Das ist eine der schönsten Gegenden Deutschlands, die ich hier ansehen darf.“ Auch, wenn er schon dreißig Jahre über die Elbe schippert: Abwechslung findet sich immer wieder. Seien es die Passagiere, das Wetter, die Wasserstände, die sich wandelnde Natur, die Gänse, deren Küken man zählen kann, oder irgendein Haus am Ufer, das gerade neu angestrichen wird. Eigentlich hatte der Radeberger Daniel Frenzel zur See fahren wollen. Schon als Junge gab es nichts anderes für ihn. Dass er stattdessen Binnenschiffer wurde, damals eine Notlösung, sieht er heute als einen Glücksumstand. Die Dampfschifffahrt auf der Elbe ist ein Stück deutsche Geschichte, sagt er, und bei weitem nicht das kürzeste. Über hundertachtzig Jahre ist die Flotte nun schon in Fahrt. Herr Frenzel ist stolz, dabei zu sein. Eine Firma, die hundertachtzig Jahre überdauert, sinniert er. „Wo gibt’s denn das heute noch?“

Vom Ufer winken Menschen, Gastwirte läuten Glocken. Zum Gegengruß pfeift ihnen der Käpten eins. Die Dampfschiffe haben viele Freunde. Zu den dicksten Freunden der „Pirna“ zählt Daniel Frenzel selbst mit seinen Leuten. „Jede Besatzung hängt an ihrem Schiff.“ Diese Anhänglichkeit hat mit dafür gesorgt, dass die Pirna 120 werden konnte. Generationen haben an ihr geschraubt und gewienert. Zum Geburtstag hat die Pirna neue Diesel gekriegt und neues Mobiliar für die Küche und den Verkaufskiosk. Die Besatzung hat ihr einen neuen Außenanstrich spendiert und neue Sitzbänke. Es sind die alten. Den Winter über haben die Männer sie demontiert und jede einzelne Latte abgeschliffen und viermal neu lackiert. Mehr als 2 700 Stück.

Pirna, die Namenspatin. Ihr Brückenbau zwingt das Schiff, den Schornstein umzulegen. Vor engen Bögen schlotterten Daniel Frenzel einst die Knie. Bis ihm ein alter Schiffer tröstend sagte: Egal wie hoch das Wasser steht – wenn du die Mitte triffst, kann nichts passieren. So ist es auch diesmal. Um Mittag wird die „Pirna“ in Pillnitz anlegen. Und zum Jubiläum? Da gibt es eine Extrarunde mit dem Pirnaer Oberbürgermeister. Die Mannschaft ist natürlich auf ihrem Posten, sagt der Kapitän. Abends dann, wenn der Trubel verhallt ist, wird sie mit einem Feierabendbierchen anstoßen, auf ihr Schiff.