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„Mit Verlaub, jetzt mache ich erst mal eine Auszeit“

Eine Stunde bleibt Stanislaw Tillich, um im SZ-Interview über seine fast zehn Jahre als Regierungschef und seine Zukunft zu sprechen.

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© André Wirsig

Von Annette Binninger und Gunnar Saft

Herr Tillich, wären Sie Ministerpräsident des Freistaates Sachsen geblieben, wenn Michael Kretschmer seinen Görlitzer Bundestagswahlkreis wieder gewonnen hätte?

Tillichs Amtszeit in Bildern

Tillich leistet den ersten Amtseid auf Deutsch und Sorbisch.
Tillich leistet den ersten Amtseid auf Deutsch und Sorbisch.
Ein Nussknacker für eine Koalition: FDP-Chef Zastrow will mit Tillich regieren.
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Veronika, der Ministerpräsident ist da. Tillich feiert seine Wahl zum Regierungschef im Landtag am 28. Mai 2008 mit einem Küsschen für seine Ehefrau.
Veronika, der Ministerpräsident ist da. Tillich feiert seine Wahl zum Regierungschef im Landtag am 28. Mai 2008 mit einem Küsschen für seine Ehefrau.
Ministerpräsident trifft US-Präsident. 2009 ist Barack Obama auf Kurzbesuch in Dresden.
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Der Sorbe ist in seiner Heimat als Osterreiter unterwegs.
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Begeistert für Technik: Tillich winkt 2008 verhüllt beim Reinraum-Rundgang.
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Entsetzt: Nach Ausschreitungen in Heidenau 2015 besucht Tillich dort Asylbewerber.
Entsetzt: Nach Ausschreitungen in Heidenau 2015 besucht Tillich dort Asylbewerber.
Der Sachse ist Tillich. Dahinter steht ein Punkt. Das ist der Wahlkampfslogan 2009.
Der Sachse ist Tillich. Dahinter steht ein Punkt. Das ist der Wahlkampfslogan 2009.
Politiker mit Bart: Von 1999 bis 2002 ist Tillich im Kabinett von Kurt Biedenkopf Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten.
Politiker mit Bart: Von 1999 bis 2002 ist Tillich im Kabinett von Kurt Biedenkopf Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten.
Audienz: Knapp einen Monat nach seinem Amtsantritt besucht der Katholik Tillich 2008 Papst Benedikt XVI.
Audienz: Knapp einen Monat nach seinem Amtsantritt besucht der Katholik Tillich 2008 Papst Benedikt XVI.
Dem Opernballgast Wladimir Putin verleiht Tillich 2009 den sächsischen Dankesorden.
Dem Opernballgast Wladimir Putin verleiht Tillich 2009 den sächsischen Dankesorden.
Wegen der Flut hat Tillich 2013 eine Türkei-Reise abgesagt. In Pirna packt Kanzlerin Angela Merkel mit an.
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Qimonda-Mitarbeiter fordern 2009 Hilfe vom Land.
Qimonda-Mitarbeiter fordern 2009 Hilfe vom Land.

Ich hatte vor, zur Landtagswahl 2019 nicht mehr als Ministerpräsident und Landtagsabgeordneter zu kandidieren. Das sollte meine letzte Legislaturperiode sein.

Das heißt, Sie wären in dem Fall schon bis 2019 Ministerpräsident geblieben?

Nein, es hätte zuvor einen geordneten Übergang gegeben. Alles andere leitet sich aus den Entwicklungen der vergangenen Wochen ab. Ich habe für mich entschieden, auf diese Weise Verantwortung für das sächsische CDU-Wahlergebnis zur Bundestagswahl zu übernehmen und vor der Landtagswahl 2019 den Weg frei zu machen für einen Neustart.

Notfalls auch mit einem anderen Nachfolger als Michael Kretschmer?

Darüber brauchen wir heute nicht mehr spekulieren. Ich hatte einen Plan und den habe ich jetzt so umgesetzt.

Sie wollten erklärtermaßen nie mit den Füßen zuerst aus der Sächsischen Staatskanzlei getragen werden. Kommt der Abschied mit 58 Jahren aber nicht doch zu früh?

Ich bin unter den amtierenden Ministerpräsidenten der mit der längsten Amtszeit. Von daher ist weniger mein Alter als die Dauer des Amtes entscheidend. Ich habe in den neuneinhalb Jahren viel erreicht, auch wenn sicher ein paar Baustellen offengeblieben sind. Aber wie heißt es so schön: Alles hat seine Zeit. Es ist besser, wenn es ein paar neue Köpfe und frische Ideen gibt.

Ihre Amtszeit war stets eine Zeit in der Öffentlichkeit. Fanden Sie sich von den Medien immer fair behandelt?

Das eine ist es, wenn es um die Politik geht. Übernimmt man dort Verantwortung, weiß man, dass man nicht nur für die Opposition angreifbar ist, sondern auch von der Öffentlichkeit kritischer betrachtet wird. Innerlich zur Wehr setzt man sich, wenn es dabei zu sehr persönlich wird. Und da hat sich in den letzten zehn Jahren das Klima in der Gesellschaft deutlich geändert. Früher hat man politische Meinungen kritisiert, heute kritisiert man immer mehr Personen.

Sie traf diese persönliche Kritik gleich nach Amtsantritt, als sofort heftig über Ihre einstige Rolle als Mitarbeiter des Rates des Kreises im DDR-Machtapparat diskutiert wurde.

Ich hatte das damals erwartet. Heute finde ich es umso bemerkenswerter, dass wir gegenwärtig eine Debatte haben, ob man sich eigentlich der Mühe unterzogen hat, ostdeutsche Lebensläufe und Ostdeutschland besser zu verstehen. Hätte die Debatte also nicht 2008, sondern heute stattgefunden, wäre sie vielleicht anders verlaufen.

Wagen wir einen Rollenwechsel: Wie würde Ihr Kommentar als Journalist ausfallen, was die Amtszeit von Stanislaw Tillich betrifft?

(Lacht.) Das bleibt schon Ihr Job, den nehme ich Ihnen nicht ab. Wenn Sie mich dagegen nach meiner eigenen Sicht darauf fragen, wären mir zwei, drei Sachen wichtig. So werden wir gerade in den nächsten Wochen und Monaten ein paar Früchte unserer Anstrengungen ernten. Mein Amtsstart fiel ja in die Zeit der Pleite des Halbleiterherstellers Qimonda. Es gab nicht wenige, die damals sagten, dass wir auf diese Branche setzen, ist falsch. Dann kam nicht nur die Bosch-Ansiedlung, sondern vieles, was sich darum gebildet hat. Und dass wir heute das Digital Hub haben, ist für mich das Schlüsselelement. Ich habe erst diese Woche Gespräche geführt mit Leuten, die als Geldgeber in Sachsen Start-ups für die Softwareentwicklung ansiedeln wollen. Das ist weiß Gott nicht selbstverständlich, zeigt aber, wir haben mittlerweile eine Anziehungskraft.

Und die anderen Sachen, die Ihnen wichtig sind?

O.k., die Wirtschaft ist das eine. Aber auch die guten Beziehungen zu unseren Nachbarn: Ich habe den tschechischen Ministerpräsidenten Sobotka so oft getroffen wie kein anderer. Und da ist unser gutes Verhältnis zu Polen. Weil ich beide Sprachen spreche, ist es mir leichter gefallen, diese Beziehungen zu entwickeln und auszubauen. Sachsen hat aber auch an Lebensqualität zugelegt, weil wir in die Kulturräume investiert haben. Und wichtig ist, dass Leute wie Dirigent Christian Thielemann gekommen und geblieben sind.

Ein gutes Stichwort: Mehr als 25 Jahre nach der Wende gibt es immer noch Ost-West-Debatten. Wie wichtig ist es, dass nun auch Ihr absehbarer Nachfolger aus Sachsen stammt?

Es sollte schon so sein, dass ein Sachse sächsischer Ministerpräsident ist. Die Bayern oder Baden-Württemberger würden sich mit einem Regierungschef aus einem anderen Land auch schwertun. Also ist das ein Stück deutscher Einheit. Die gesamte Ost-West-Debatte ist dagegen längst eine lästige. Ich habe den Eindruck, da wird mithilfe verschiedener Ost-West-Statistiken ganz bewusst versucht, ständig irgendwelche Unterschiede herauszuarbeiten, die es so zwischen Nord und Süd aber auch gibt. So etwas brauchen wir nicht!

Mit Kurt Biedenkopf, Georg Milbradt und Ihnen gab es seit 1990 nur drei sächsische Ministerpräsidenten, dessen Verhältnis im Nachgang aber nicht immer unproblematisch war und ist. Wie wollen Sie das künftig mit Michael Kretschmer halten?

Ich habe gesagt, ich bin immer für dich da, wenn du mich brauchst. Aber ich will dir nicht auf den Wecker gehen. Wer das Amt übernimmt, trägt die Verantwortung. Ich werde ihm deshalb nicht reinreden. Öffentlich erst recht nicht. Ich habe mich nie zu meinen Vorgängern geäußert und werde das auch nicht bei meinem Nachfolger tun.

Sachsens Ministerpräsidenten schrieben während oder nach ihrer Amtszeit stets ein Buch. Was planen Sie?

Es ist nicht mein dringendster Wunsch, mich auf die Art und Weise zu verewigen.

Haben Sie Tagebuch geführt?

(Schmunzelt.) Nein.

In der Zeit, in der Sie über den Rückzug nachdachten, spürten Sie da Rückhalt in der CDU oder waren sie allein?

Also da gibt es die fast zehn Jahre als CDU-Landesvorsitzender und Ministerpräsident. Die können sie nur durchstehen, wenn sie den Rückhalt der Partei haben. Was die eigentliche Entscheidung direkt nach dem Wahlergebnis angeht, die bespricht man mit nur ganz wenigen Leuten und nicht öffentlich. Da zieht man sich legitimerweise zurück, auch weil es um die Frage geht, wie kann es für einen selbst weitergehen. Ich bin durch diese Partei etwas geworden, und ich möchte gern, dass die CDU das Gefühl hat, dass ich diese Verantwortung bis zum letzten Moment wahrnehme. Deshalb auch mein Vorschlag für einen Nachfolger. Also nicht einfach hinschmeißen und die anderen sollen sehen, wie es weitergeht.

Nachgehakt: Was wollten Sie als Ministerpräsident unbedingt erreichen, haben es aber nicht geschafft?

Nicht erreicht ist, das muss ich offen sagen, dass wir wieder zu einer vernünftigen Energiepolitik zurückkehren. Und wir sind bei der Flüchtlingspolitik weit von einem klaren Kurs entfernt. Ein Beispiel: Wenn es in Sachsen immer noch 1 500 ausreisepflichtige Inder gibt, können wir das nicht allein lösen, sondern brauchen dafür den Bund. Wenn wir aber den Anspruch haben, ein Rechtsstaat zu sein, muss die Ausreise auch durchsetzbar sein.

Ein Satz: Was sollte man Ihnen mal über Ihre politische Arbeit nachsagen?

(Überlegt kurz.) Es war eine gute Zeit für Sachsen.

In einem SZ-Interview zum Amtsantritt haben Sie erklärt, der Glaube sei Ihr Anker. Hat dieser Anker gehalten?

Ja, das hat er. Sie kennen diese Bilder, wenn der Sturm an den Blättern und Ästen eines Baumes zerrt. Er wird nicht umgeworfen, weil er tiefe Wurzeln hat. Es sind die Familie, der Glaube und die Freunde, die geholfen haben, mich immer wieder aufzurichten. Und es ist immer schön, ins Kloster zu kommen, und die Schwestern sagen, wir beten für Sie. Dann wissen sie, dass es Menschen gibt, die mit ihnen leiden, mitfiebern und sich mitfreuen. Das macht einen innerlich ausgeglichener in Situationen, wo es nicht einfach ist.

Ab übernächster Woche sind Sie „nur“ noch Landtagabgeordneter. Wo sehen sie sich in der Zeit bis 2019 mit Ihren Erfahrungen im Parlament?

Wenn wir im nächsten Jahr die Nominierungen für die Landtagswahl haben, wird es auch für meinen Wahlkreis eine Nachfolgeregelung geben. Dann werde ich entscheiden, ob ich das Mandat bis zum Abschluss der Legislaturperiode behalte. In der Fraktion werden wir demnächst Gespräche führen, wo ich mitarbeiten kann. Mich würde der Europaausschuss interessieren, da ich dort meine Kompetenz einbringen kann.

Sie haben also für 2019 bereits konkrete Pläne für neue Aufgaben?

Mit Verlaub, jetzt mache ich erst einmal eine Auszeit, fahre mit meiner Frau in den Urlaub, dann denke ich über so etwas nach.

Andere ehemalige Regierungschefs wechseln in die Wirtschaft oder zur EU.

Ich kann mir vieles vorstellen. Aber wenn jemand von der Politik in die Wirtschaft wechselt, wird das nicht immer mit Wohlwollen begleitet. Und eine neue Aufgabe in Europa ist bekanntlich nicht allein von mir abhängig. Also bitte einfach mal abwarten.

Sie bleiben Neu-Dresdner?

Das bleibe ich. Obwohl, ich bin schon zwei Jahre da und gehöre damit fast schon zur eingesessenen Szene in meinem Stadtteil.

Sie haben angekündigt, dann auch mal mit der Straßenbahn zum Landtag ins Stadtzentrum fahren zu wollen. Was nehmen Sie zuvor aus Ihrem Dienstzimmer in der Staatskanzlei als Andenken mit nach Hause?

Da ist das kleine Kreuz über meiner Bürotür, welches von Papst Benedikt gesegnet wurde. Das nehme ich natürlich mit neben ein paar anderen persönlichen Dingen.