Merken

Der Häuptling in der Grundschule

Sächsische Schüler treffen vor den Karl-May-Festtagen in Radebeul einen echten Indianerhäuptling - und staunen, weil er zur Federhaube Jeans und Turnschuhe trägt.

Teilen
Folgen
NEU!
© dpa

Von Christiane Raatz

Radebeul. Dale Rood ist dicht umringt von Kindern. Die Fragen nehmen kein Ende. „Wohnen Sie im Tipi?“, fragt ein Mädchen. Ein Junge möchte wissen, ob die Ureinwohner heute noch Bisons jagen und mit Pfeil und Bogen schießen. Dale Rood lacht und schüttelt den Kopf. Er erzählt, dass er in einem ganz normalen Haus wohnt, statt auf Pferden lieber auf schnellen Motorrädern unterwegs ist - und „Star Trek“ sein absoluter Lieblingsfilm ist. Die Jungen und Mädchen machen große Augen und kichern.

Dennoch ist Dale Rood ein echter Indianerhäuptling vom nordamerikanischen Turtle-Clan der Oneida Indian Nation. Für die Karl-May-Festtage (15. bis 17. Mai) hat der 55-Jährige die lange Reise aus dem US-Bundesstaat New York in die sächsische Kleinstadt Radebeul bei Dresden angetreten. Mit den Kindern der evangelischen Grundschule spricht er vor dem Spektakel über Traditionen und die Kultur seines Stammes - und über das Leben heute. „Wir leben eine Mischung aus Tradition und Moderne“, sagt Rood.

Das zeigt auch seine Kleidung: Auf dem Kopf trägt er eine Haube aus braunen und weißen Federn, dazu ein Trachtenhemd mit langen Fransen und ein Amulett. Die Beine stecken in Bluejeans, die Füße in Turnschuhen. „Einen Häuptling habe ich mir anders vorgestellt“, sagt die 10-jährige Amea. „Mit Fellschlappen und Lederhosen mit Fransen dran.“ Aufregend findet sie es dennoch, zum ersten Mal einen echten Häuptling zu treffen. Gemeinsam mit zwei Dutzend Kindern drängt sie sich um Dale Rood, der geduldig alle Fragen beantwortet.

Die Adlerfedern mussten weichen

Vor allen über den Federschmuck wollen die Kinder alles wissen. Dale Rood erklärt, dass dieser bis heute für die Oneida-Indianer wichtig sei. Aus der Haube ragen zwei große, weiße Federn nach oben, eine nach unten - das Erkennungszeichen des Stammes. „Das ist wichtig, wenn sich verschiedene Stämme treffen“, erklärt Dale Rood. Allerdings bestehe der Schmuck heute meist aus Truthahn- und nicht aus Adlerfedern, weil Adler in den USA streng geschützt seien.

Neben dem Schildkröten-Clan gehören noch der Wolfs- und Bären-Clan zur Oneida-Nation, die in den USA rund 1100 Mitglieder zählt. Wenn auch die Clan-Chefs Männer sind, so haben bei den Oneida die Frauen das Sagen. „Sie halten die Gemeinschaft zusammen und wählen die Häuptlinge“, so Rood. Traditionen spielten bis heute eine wichtige Rolle. Regelmäßig treffen sich die Clans zu Zeremonien und Spielen. Einige zeigen sie zum Karl-May-Fest.

Die traditionellen Festspiele in Radebeul am einstigen Wirkungsort des Abenteuerschriftstellers Karl May (1842-1912) widmen sich in diesem Jahr dem Thema „Und Friede auf Erden“ - und damit der völkerübergreifenden Freundschaft.

Noch schwelt der Skalp-Streit

Die stand im vergangenen Jahr zeitweise auf der Kippe, als es Streit um einen Skalp zwischen dem Radebeuler Karl-May-Museum und dem Stamm der Ojibwa-Indianer gab. Sie forderten den Haarschopf zurück. Das Museum ging davon aus, dass der Künstler Patty Frank den Ojibwa im Jahr 1904 den Skalp ordentlich abkaufte. Aus Franks Sammlung entstand 1928 das Karl-May-Museum. In diesem Frühjahr einigten sich Indianer und Museum auf einen gemeinsamen Forschungsplan zur Herkunft der Trophäe. Auf Grundlage der Ergebnisse soll entschieden werden, ob der Skalp herausgegeben wird.

Wann erste Ergebnisse vorliegen, ist noch nicht abzusehen. Die Quellen seien oft mehr als 100 Jahre alt, erklärt Museumsdirektorin Claudia Kaulfuß. „Es dauert, sie zu erforschen.“ Die Beziehungen zu den Ojibwa seien trotz der Diskussion um die Rückforderung freundschaftlich. „Wir können miteinander reden“, so Kaulfuß. Deshalb wird zu den Festtagen auch Cecil Pavlat vom Ojibwa-Stamm erwartet.

Zum großen Pow Wow mit Trommeln und Tänzen berichtet Pavlat über die Geschichte seines Volkes, auch Dale Rood und andere Häuptlinge sind dabei. „Es ist eine große Freude für mich, von der Kultur und Tradition meines Stammes zu erzählen“, sagt Rood. Er verabschiedet sich von der Schulklasse mit einigen Sätzen in seiner Sprache. Nur für „Tschüss“ gebe es keine Wort in der Sprache der Oneida, sagt er. „Wir gehen immer davon aus, dass man sich wiedersieht.“ (dpa)