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Meißens zwei Gesichter

Fröhlichkeit am Elbufer und Hass am Heinrichsplatz prägen am Sonnabend zwei Veranstaltungen zum Thema Asyl. Vor zwei Wochen hatte eine noch ungenutzte Asylbewerberunterkunft gebrannt.

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© hübschmann

Jürgen Müller

Meißen.- Hassan Messlem ist an diesem Abend ein vielbeschäftigter Mann. Der 29-jährige Libanese dolmetscht für andere Flüchtlinge. Seit zweieinhalb Jahren lebt er in Deutschland, davon eineinhalb Jahre in Meißen. Er spricht nahezu perfekt Deutsch. „Mein beiden Kinder, eines ist zwei Jahre alt, das andere elf Monate, sind in Meißen geboren“, erzählt er stolz. Gerne würde er eine Ausbildung zum Mechatroniker machen. „Ich habe schon in einem Autohaus in Meißen ein Praktikum gehabt. Der Chef würde mich gern ausbilden, aber solange ich keine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung habe, wird das nichts“, sagt er. Hassan jedenfalls will niemandem auf der Tasche liegen, sein Geld selbst verdienen. Doch bis jetzt geht das nicht.

Kundgebungen in Meißen

Zwei Wochen nach dem Brandanschlag auf eine noch ungenutzte Asylbewerberunterkunft in Meißen haben am Samstag laut Veranstalter mehr als 100 Menschen mit Flüchtlingen gefeiert.
Zwei Wochen nach dem Brandanschlag auf eine noch ungenutzte Asylbewerberunterkunft in Meißen haben am Samstag laut Veranstalter mehr als 100 Menschen mit Flüchtlingen gefeiert.
Das Bündnis „Buntes Meißen“ hatte zu einem Fest ans Ufer der Elbe eingeladen.
Das Bündnis „Buntes Meißen“ hatte zu einem Fest ans Ufer der Elbe eingeladen.
Der Einladung seien auch viele Mitglieder des Stadtrates sowie einige Landtagsabgeordnete gefolgt.
Der Einladung seien auch viele Mitglieder des Stadtrates sowie einige Landtagsabgeordnete gefolgt.
Das sei ein hoffnungsvolles Zeichen.
Das sei ein hoffnungsvolles Zeichen.
„Wir nehmen unsere asylsuchenden Mitbürger in die Mitte“, sagte der Vorsitzende des Vereins, Pfarrer Bernd Oehler.
„Wir nehmen unsere asylsuchenden Mitbürger in die Mitte“, sagte der Vorsitzende des Vereins, Pfarrer Bernd Oehler.
Nahezu zeitgleich nahmen laut Polizei etwa 130 Menschen an einer Demonstration der „Initiative Heimatschutz“ durch die Stadt teil.
Nahezu zeitgleich nahmen laut Polizei etwa 130 Menschen an einer Demonstration der „Initiative Heimatschutz“ durch die Stadt teil.
Diese "Initiative" macht  im Internet Stimmung gegen Ausländer.
Diese "Initiative" macht im Internet Stimmung gegen Ausländer.

„Ich sitze aber nicht den ganzen Tag zu Hause, sondern habe einen Verein gegründet, kümmere mich um andere Flüchtlinge“, sagt der Libanese. 80 Personen aus Meißen, Radebeul, Riesa, Großenhain betreue er. „Mit ihnen gehe ich zu Ämtern, bringe ihnen auch etwas Deutsch bei“, sagt er.

Er und andere Asylbewerber sind am Sonnabend vom Bündnis Meißen zu einer Feier ans Elbufer eingeladen worden. Dabei zeigt sich, dass beide Seiten noch viel lernen müssen. Ein junger Mann kommt mit Kuchen, doch Hassan und die anderen Flüchtlinge lehnen dankend ab. Sie sind Moslems, und derzeit ist Ramadan, Fastenzeit. Erst nach Sonnenuntergang dürfen sie essen und trinken. Und Bratwürste aus Schweinefleisch sind auch nach Einbruch der Dunkelheit nichts für sie.

50 Personen hatte das Bündnis Meißen für die Veranstaltung gemeldet, etwa doppelt so viele sind gekommen. Pfarrer Bernd Oehler freut das, aber nicht nur dies. „Stadträte von CDU, SPD, Linken, Unabhängiger Liste, Piraten sind hier. Parteiübergreifend zeigen sie mit uns gemeinsam, dass wir für Toleranz, Offenheit, Gastfreundschaft und Neugier stehen“, sagt er. Diese Worte standen auch auf einem an der Eisenbahnbrücke angebrachten Transparent. Doch es ist verschwunden, wurde wohl gestohlen. „Der Eigentümer wird Anzeige stellen“, sagt der Pfarrer. Jeder Flüchtling, der in Deutschland ankommt, habe ein Recht darauf, sicher zu sein, sagt er.

Sicher fühlt sich Hassan Messlem in Meißen. Angepöbelt sei er noch nicht worden, jedoch seine Frau, weil sie ein Kopftuch trage, sagt er. Vielleicht würde er sich nicht mehr so sicher fühlen, wenn er am Heinrichsplatz gewesen wäre. Bei einer Kundgebung der „Initiative Heimatschutz“schlägt purer Hass entgegen. Redner ist Stephane Simon, ein Franzose, der seit 1991 in Deutschland lebt. Er war mal Bundespolizist, war in der deutschen Bundespolizei der erste EU-Bürger, der in Europa Beamter geworden ist, ohne die Staatsangehörigkeit des Landes zu haben. Später wurde er entlassen.

Bei Simon bekommen so ziemlich alle ihr Fett weg, Sachsens Ministerpräsident, der Bundespräsident, die Parteien, die Medien, für allem die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten. Vor den Augen einer johlenden Menge – es mögen etwas 200 Leute versammelt sein – zerreißt er einen Rundfunk-Gebührenbescheid. Die wenigsten Zuhörer allerdings sind Meißner. Viele kahlköpfige, schwarz gekleidete Gestalten bevölkern den Platz, einige tragen schwarze Fahnen mit der Aufschrift „Freital“. Auf einem Plakat steht „Raus aus der Nato“ und „Ami go home.“

Auf einen Zwischenrufer reagiert der Franzose, der sich selbst als schwul outet, gereizt und primitiv: „Halt die Fresse“ schreit er den Mann zweimal an und fordert die Polizei auf, den Störer zu entfernen. „Ihr werdet ja sehr gut bezahlt, ich weiß wovon ich spreche“, sagt er. Ein kahlköpfiger Mann mit dunkler Sonnenbrille, Fotoapparat und einer selbst gemalten Armbinde mit der Aufschrift „Ordner“ nähert sich dem Zwischenrufer mit grimmigem Blick. Doch zu Handgreiflichkeiten kommt es nicht. Stadtrat Wolfgang Tücks, der sich die Veranstaltung ansieht, schüttelt mit dem Kopf. „Die hier applaudieren, sind doch alles zu kurz Gekommene, Verlierer, Leute die glauben, ihnen werde etwas weggenommen“, sagt er. Ein Ehepaar passiert mit einem Eis in der Hand den Platz, der Mann schüttelt den Kopf. „Was hier abgeht, ist eine Schande für unser Land“, sagt er. Seinen Namen will er nicht nennen, wie auch ein Ehepaar, das gerade zu Abend essen will. „Wir sind ein freies Land, jeder kann seine Meinung sagen“, so der Mann, er komme aus Coswig.

Mutiger sind da zwei Österreicherinnen. Hildegard Pfarrkirchner und Getraut Schachtner haben in einem Weinlokal Platz genommen. „Das ist widerlich, unangenehm, störend“, sagt Hildegard Pfarrkirchner. Die beiden älteren Damen waren vier Tage in Meißen, wollten ihren letzten Abend gemütlich ausklingen lassen. „Leider haben wir schon bestellt, sonst hätten wir das Lokal verlassen. Hoffentlich ist es bald vorbei“, sagt Getraut Schachtner. Für die beiden Damen aus der Mozartstadt Salzburg steht fest: „Nach Sachsen kommen wir nicht mehr.“