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Mehr Krebserkrankungen

Coswig hat eine viel höhere Neuerkrankungsrate als Radebeul. Die Grünen geben der Industrie die Schuld daran.

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© dpa

Von Peggy Zill

Coswig. Vor zehn Jahren erhielt Heidrun B.* die Diagnose chronische und damit nicht heilbare Leukämie. Hierbei betrifft der Krebs meist das lymphatische System – also Lymphknoten, Milz oder Leber. Im vergangenen Jahr wurde ein Tumor aus ihrer Brust entfernt. Die 77-Jährige gibt sich dennoch fit. „Mein Hausarzt sieht mich kaum. Andere in meinem Alter müssen viel mehr Tabletten nehmen.“

Die Radebeulerin ist eine von über 200 Frauen, die im Landkreis jedes Jahr neu an Brustkrebs erkranken. Das geht aus den Zahlen des Krebsregisters hervor. Die Zahl der Neuerkrankungen aller Krebsarten steigt dabei seit Jahren. Bei Männern ist am häufigsten die Prostata betroffen, bei Frauen sind es die Brustdrüsen. Lungen-, Haut- oder Darmkrebs betreffen beide Geschlechter.

Auffällig sind die regionalen Unterschiede. Die Grünen-Landtagsabgeordnete Katja Meier hat die Zahlen der Erkrankungen in den einzelnen Gemeinden des Landkreises veröffentlicht. Demnach sind 2013 – aktuellere Zahlen liegen nicht vor – in Coswig 157 Männer und Frauen und in Moritzburg 50 an Krebs erkrankt. Werden die absoluten Zahlen im Verhältnis zur Zahl der Einwohner betrachtet, liegt im Landkreis Riesa auf Platz 1, gefolgt von Gröditz und Coswig.

Die Grünen-Politikerin gibt in ihrer Mitteilung zwar zu, dass dies von der individuellen Lebensführung beeinflusst wird, aber vor allem Umwelteinflüsse die Gründe dafür seien. „Insbesondere Dioxine, Feinstaub, Schwermetalle Chrom und andere hochgiftige Stoffe, die bei hoher Verkehrsbelastung und industrieller Produktion entstehen, gelten als stark krebsauslösend“, sagt Katja Meier und macht das Stahlwerk für die vielen Erkrankungen in Riesa verantwortlich.

Heidrun B. ist gelernte Textilingenieurin und hat in der Reinigungsbranche gearbeitet. Dass das ein Grund für ihre Erkrankungen sein könnte, glaubt sie nicht. Sie habe immer gesund gelebt. In ihrer Familie gibt es keine anderen Krebserkrankungen. Vor Kurzem war sie auf einem Kongress. Auch die Experten dort konnten nicht sagen, woher die Leukämie kommt. „Mein Arzt sagt außerdem, dass der Brustkrebs nichts mit dem Blutkrebs zu tun hat.“

Auch regionale Mediziner tun sich mit Aussagen zu den Ursachen schwer. Die Elblandkliniken wollen sich zum Thema gar nicht äußern. Dr. Dirk Koschel, Chefarzt am Fachkrankenhaus in Coswig, will nicht zu viel in die Zahlen interpretieren. Er könne bezüglich der Daten zum Lungenkrebs keine Auffälligkeiten erkennen. Zwischen 115 und 182 Männer und Frauen erkranken im Kreis Meißen pro Jahr neu an Lungenkrebs. Generell spielen der Raucherstatus und das Alter eine große Rolle, so Koschel. Doch das geht aus den vorgelegten Zahlen nicht hervor. „Das ist nicht ausreichend, um Rückschlüsse zu ziehen“, sagt der Arzt.

Tatsächlich ist das Durchschnittsalter in Riesa mit 49,7 Jahren deutlich höher als in anderen Gemeinden des Landkreises. Die Coswiger sind im Schnitt 48,4 Jahre alt, die Radebeuler und Weinböhlaer nur 46,3 Jahre. Mit steigendem Alter steigt auch das Risiko, an Krebs zu erkranken. Auch das Robert-Koch-Institut führt in einer Veröffentlichung die Zunahme des Anteils älterer Menschen als Hauptgrund für die steigenden Zahlen der Neuerkrankungen an.

Die Krebsrate heute spiegelt auch das gesundheitliche Verhalten früherer Jahrzehnte wider, sagt Dr. Birgit Hiller vom Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums, das auch in Dresden eine Servicestelle hat. „Seit den 60er-Jahren haben Frauen ihre Rauchgewohnheiten angepasst. Das merken wir heute an den Zahlen“, so Hiller. Während die Zahl der Neuerkrankungen bei Männern nahezu konstant ist, steigt sie bei Frauen noch immer an.

Einkommen und Bildung spielen laut Birgit Hiller ebenso eine große Rolle. Und dass insgesamt mehr Männer krebskrank werden, liege möglicherweise auch daran, dass Frauen gesundheitsbewusster sind. „Sie nehmen zum Beispiel häufiger die Darmkrebs-Früherkennungsuntersuchung in Anspruch. Und je früher man Darmkrebs erkennt, desto besser sind die Heilungschancen“, sagt die Biologin.

Auch Heidrun B. hatte ihre Krebserkrankungen früh entdeckt. Durch die Leukämie schwellen die Lymphknoten an. Als sie die Diagnose erhielt, sei das zunächst ein Schock gewesen, weil sie sich nie mit dem Thema befasst habe. Sie habe jedoch sofort nachgedacht, was sie dagegen tun kann. Geholfen hat ihr eine Selbsthilfegruppe. „Man lernt Therapien kennen, hat den Austausch mit anderen und geht zu Vorträgen“, erzählt die Radebeulerin.

Den Knoten in der Brust ertastete sie vor Jahren zum ersten Mal. Bösartig wurde der Tumor aber erst später. Um eine Bestrahlung zu vermeiden, ließ sich die damals 76-Jährige die Brust abnehmen. Die chronische Leukämie wurde erst nach sechs Jahren behandelt. In Kürze könnte die zweite Chemotherapie anstehen, falls die Milz zu stark betroffen ist.

Laut RKI haben sich die Überlebensaussichten von Krebspatienten in Deutschland in den letzten 30 Jahren insgesamt erheblich verbessert. Aktuell wird die Fünf-Jahres-Überlebensrate auf über 60 Prozent geschätzt. Von vielen Krebserkrankungen sei die Ursache nicht bekannt oder die bekannten Auslöser lassen sich nicht beeinflussen. Unter den vermeidbaren Risikofaktoren hat der Tabakkonsum laut RKI die größte Bedeutung.

Nach Schätzungen waren in 2008 insgesamt etwa 15 Prozent aller Krebserkrankungen in Deutschland dem Rauchen zuzuschreiben. Eine Rolle spielen auch Übergewicht, Schadstoffe in Lebensmitteln und Umwelteinflüsse, wie das natürlich vorkommende Edelgas Radon.

*Name von der Redaktion geändert

Krebsinformationsdienst: Tel. 0800 4203040