Merken

Mehr Kinder in psychiatrischer Behandlung

Schätzungsweise knapp jedes fünfte Kind in Sachsen ist betroffen. Viele haben es verlernt, sich selbst zu beschäftigen.

Teilen
Folgen
© Symbolfoto: dpa

Von Nina Schirmer

Dresden. Depressionen, Angstzustände, Schwierigkeiten bei der Konzentration – nicht nur unter Erwachsenen nehmen psychische Probleme zu. Inzwischen werden auch mehr Kinder seelisch krank.

Nach Angaben des Ärzteblattes haben zehn bis 20 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland eine psychische Störung. Das entspricht auch den Zahlen bei den AOK-versicherten Kindern in Sachsen. Nach Angaben der Krankenkasse wurden 2015 rund 18 Prozent der minderjährigen Versicherten psychiatrisch untersucht. Bei der Barmer war der Anteil ähnlich hoch. Den größten Teil der kindlichen Erkrankungen machten dabei ADHS-Diagnosen aus – also Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen. Jungen waren bei beiden Krankenkassen häufiger betroffen als Mädchen.

Bei fast allen Formen psychischer Erkrankungen gebe es Anstiege, sagt Veit Rößner, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie des Dresdner Universitätsklinikums. Die Ursachen seien individuell zwar sehr verschieden, es gebe aber auch allgemeine Tendenzen. So ergab eine Untersuchung von Schulanfängern in Dresden: Kinder, die bei Alleinerziehenden aufwachsen, haben ein doppelt so hohes Risiko für psychische Probleme. Auch andere gesellschaftliche Entwicklungen spielen eine Rolle. „Früher war von den Kindern viel mehr Fantasie und eigenes Tun gefragt“, sagt Rößner. „Sie mussten sich selbst beschäftigen.“ Das hätten viele in der Konsumgesellschaft verlernt.

Der Großteil der betroffenen Kinder in Sachsen wird ambulant behandelt. Nicht bei allen Fällen lägen jedoch psychiatrische Störungen im klassischen Sinne vor. Kinder mit einer Störung des Sozialverhaltens etwa seien nicht immer ein Fall für die Psychiatrie, sondern alternativ für die Jugendhilfe, sagt Rößner. Auch könne bei etlichen von den Krankenkassen erfassten Behandlungen zunächst abgewartet werden, da sich vieles verwächst. „Zum Beispiel haben Behandlungen von Entwicklungsstörungen des Sprechens oder der Motorik exorbitant zugenommen“, so der Psychiater. „Bei vielen dieser Kinder hilft aber auch ganz einfach Abwarten – oder das Kind in einem Sportverein anzumelden.“

In schwerwiegenden Fällen müssen Kinder und Jugendliche wegen psychischer Störungen ins Krankenhaus. In Sachsen wurden 2014 deshalb über 5 700 Kinder und Jugendliche stationär behandelt. Wie das Statistische Landesamt mitteilt, litten die unter 15-Jährigen am häufigsten an Verhaltens- und emotionalen Störungen. Bei den 15- bis 18-Jährigen gab es die meisten psychischen Leiden aufgrund von Drogen- und Medikamentenmissbrauch.