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„Manchmal denke ich an Rache“

Familie Riße trifft sich zum zweiten Todestag am Grab ihrer Tochter Anneli. Für die Täter hat sich der Vater etwas überlegt.

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© Claudia Hübschmann

Von Ulf Mallek

Klipphausen. Es ist still auf dem Friedhof. Überall stehen oder liegen Blumen um die marmorne Statue: der Engel für Anneli.

Vater Uwe Riße (59).
Vater Uwe Riße (59). © Claudia Hübschmann

Vor zwei Jahren wurde die damals 17-jährige Anneli-Marie Riße von zwei Männern entführt und ermordet. Ihre Eltern, Geschwister und weitere Verwandte treffen sich an ihrem Todestag, dem 14. August, am Familiengrab in Sora, Gemeinde Klipphausen. Sie haben Tränen in den Augen und denken an bessere Zeiten. Sie schauen auf den Engel und wissen: Anneli ist bei uns. Für immer.

Eine Stunde bleibt die Familie an diesem Abend vorm Grab zusammen.

Bereits am Mittag laufen die Kollegen aus der Baufirma vom Vater, Uwe Riße, über die Straße zum Grab, um Blumen niederzulegen. Anneli war bei allen beliebt.

Mutter Ramona und Uwe Riße haben diesem Todestag entgegen gefiebert wie einer schweren Prüfung. „Uns ging es hundeelend, einfach nur schlecht“, sagt Riße. Schon am Tag zuvor hatten die Rißes zu einem Konzert in ihrem Weinberg in Golk eingeladen. Der Vater will zu Beginn etwas zu Anneli und ihrem Tod sagen. Es fällt ihm schwer, er liest vom Blatt ab, die Hände zittern. „Es tut immer noch sehr weh“, sagt Riße. „Aber wir lassen es zu.“

Die Strafe für die beiden Täter, die im Juli rechtskräftig geworden ist, hält Riße für zu niedrig. Der jüngere Täter, ein arbeitsloser Koch, erhält lebenslänglich, der ältere achteinhalb Jahre. Riße hätte sich die Todesstrafe mit aufschiebender Wirkung für beide gewünscht. „Diesen Rechtsbegriff gibt es natürlich nicht, aber es wäre für mich gerecht.“ Manchmal, sagt Riße, denkt er auch an Rache. „Doch ich weiß um den Begriff Selbstjustiz und werde zu dem einen Unrecht kein zweites hinzufügen.“

In einem Zivilprozess möchte Familie Riße Schadenersatz von den beiden Tätern. Die Summe ist noch nicht beziffert. Natürlich sind die Aussichten auf Erfolg ziemlich gering. Doch Riße hat sich dabei etwas überlegt: „Falls die Täter nach einer Haftentlassung doch einmal zu Wohlstand kommen, sollten sie davon nichts haben.“

Die Familie möchte einen dauerhaften Druck auf sie ausüben. In welcher Haftanstalt genau die beiden Täter untergekommen sind, weiß die Familie nicht. Sie vermutet den jüngeren Täter in seiner Heimat Bayern, den älteren in Görlitz oder Dresden.

Uwe Riße plant, mit den beiden Tätern im Gefängnis zu sprechen. Die Wahrscheinlichkeit einer behördlichen Genehmigung für dieses Ansinnen ist vermutlich nicht so hoch. Zudem können die Täter das Gespräch auch ablehnen. Riße fragt sich, was die Täter am zweiten Todestag von Anneli denken mögen. „Sie werden sich sicher selbst bemitleiden“, sagt er. Was Uwe Riße an einem Gespräch mit den Tätern besonders interessiert, sind die letzten Stunden von Anneli-Marie. Da ist vieles noch nicht bekannt. Was hat Anneli zu den Tätern gesagt?

Nach der Entführung in der Nähe ihres Wohnhauses sind sie mit ihr eine große Runde im Auto gefahren: von Robschütz über Coswig, Freital, Malter, Kurort Hartha und wieder zurück. Die Nacht hat Anneli schon auf dem Bauernhof in Lampersdorf verbringen müssen. Dort wurde sie am nächsten Tag grausam ermordet. „Aber sie hat sicher mit den Tätern gesprochen“, sagt Riße. „Was sie gesagt hat, interessiert uns sehr“

Die Familie hält noch umfangreichen Kontakt zu den Freunden von Anneli. Mit einer von ihnen, einem Mädchen, und seinen Eltern, waren die Rißes jetzt im Urlaub in China. Annelis Kinderzimmer im Elternhaus soll erst einmal so bleiben wie es war. Zur Erinnerung. Die Familie hat verschiedene Rituale entwickelt, um an Anneli zu denken. Außen am Haus gibt es eine Erinnerungsecke, auch innen. Täglich gibt es frische Blumen. Mehrmals pro Woche besucht Uwe Riße das Grab auf dem Kirchhof in Sora, um seiner Tochter nahe zu sein. Die Kirche von Sora sehen die Rißes über zehn Kilometer auch von zu Hause. Auf dem Weg zur Arbeit fährt Uwe Riße über die Kuppe von Riemsdorf. Dort sieht er für einen kurzen Augenblick den Friedhof mit Annelis Statue. Sie schaut über die Mauer. „Für einen Moment sehe ich sie. Das ist der tägliche Gruß aus dem Auto heraus.“

Anneli ist fast zu jeder Stunde des Tages bei seiner Frau und ihm präsent, sagt der Vater. Die Gedanken sind nicht immer nur schmerzvoll, oft auch heiter.