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Mal kurz vorbeigeschaut

Seit Tagen protestieren Asylgegner vor dem Freitaler Leonardo-Hotel. Gestern schaltet sich der Ministerpräsident ein.

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© dpa

Von Andrea Schawe

Er sei gekommen, um sich ein Bild zu machen, sagte Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU). Er ist gerade aus dem Wagen gestiegen und steht nun bei strahlendem Sonneschein vor dem Leonardo-Hotel, umringt von Dutzenden Kameras. Tillich spricht von einem „enormen Zustrom“ an Flüchtlingen, der auch andernorts in Deutschland und Europa eine große Herausforderung sei. „Völlig inakzeptabel sind aber Drohungen, Hetze und Gewalt gegen Bürgermeister und Landräte, die sich engagieren, für eine menschenwürdige Unterkunft zu sorgen“, sagte Tillich. Hier würden „Recht und Gesetz ihre volle Anwendung finden“. Laut Innenministerium hatte es zuvor Drohungen gegen Freitals Oberbürgermeister Klaus Mättig (CDU) gegeben.

Der Ministerpräsident verliert kein Wort über Asylbewerber, die im Verlauf der Woche täglich mit wütenden Protesten am Heim leben müssen, kein Wort über Vereine und Aktivisten, die sich seit Montagabend schützend vor den Eingang des ehemaligen Hotels stellen und mehrfach angegriffen wurden. Erst am Mittwochabend flogen aus dem asylkritischen Lager gegen 22.35 Uhr Glasflaschen auf Pro-Asyl-Aktivisten. Ein Aktivist erlitt dabei leichte Verletzungen. Einsatzkräfte der mit mehr als einer Hundertschaft anwesenden Polizei mussten die Pro-Demonstranten zum Bahnhof begleiten, um weitere Attacken zu verhindern.

Damit sich der Ministerpräsident nun ein Bild machen kann, will er in der Unterkunft auch mit den Asylbewerbern reden. Er wird in die erste Etage geführt, vorbei am Gebetsraum in Zimmer 232. Ein paar Türen weiter spricht er mit jungen Männern. „Ich habe sie nach ihrem jetzigen Befinden in der Unterkunft gefragt, aus welchem Land sie kommen und auf welchem Weg sie herkamen“, sagt er. Eigentlich war ein Gespräch mit einer Mutter und ihrem Kind geplant, die gerade erst in Freital angekommen sind. Nach nicht einmal fünf Minuten verlässt Tillich das Zimmer. Die Palästinenser und Syrer lächeln in die Kameras und machen Peace-Zeichen.

Der Ministerpräsident zieht sich derweil in den Keller zurück. Hinter verschlossenen Türen will er mit den verantwortlichen Kommunalpolitikern und dem Heimleiter „über die Situation“ sprechen, zehn Minuten sind dafür eingeplant. Landrat Michael Geisler (CDU), Freitals Oberbürgermeister, der erste Bürgermeister Mirko Kretschmer-Schöppan (parteilos) und Stadträte – alle sind gekommen.

Mittlerweile beobachten einige Bewohner der Asylunterkunft das Treiben, sie sitzen mit Stühlen im Hof und stehen am Fester, rauchen, trinken Tee. Ein paar Kinder spielen Fange. „Ich fühle mich hier wohl“, sagt ein Flüchtling aus Afghanistan auf Englisch. Seit drei Tagen wohne er in Freital. Der junge Mann sei Protest gewöhnt. „Für mich ist das normal, uns Flüchtlingen ist das vorher schon passiert.“ Er hat in Afghanistan für das amerikanische Militär gedient. „Ich kann nicht zurück, die Terroristen haben mein Foto.“ Schon mehrmals sei er angegriffen worden.

Diesen Menschen will das Freitaler Willkommensbündnis helfen. „Es gibt zu wenig Dialog hier, es fehlt auch die Bereitschaft dazu“, sagt eine Frau, die sich engagiert. Sie will ihren Namen nicht nennen, sie hat Angst vor Bedrohungen. „Das hätte vorher passieren müssen. Jetzt ist das Kind schon in den Brunnen gefallen.“ Die Stadt brauche regelmäßige Treffen aller Beteiligten, bei denen auch eine Gesprächskultur Raum hat, bei denen Experten und Forscher aufklären.

Am Fenster von Raum 232 ruft um 17.30 Uhr ein Bewohner zum Gebet. Fünf Minuten später erklärt Ministerpräsident Tillich, dass sich die Flüchtlinge in Sachsen wohlfühlen sollen, dass sie willkommen sind. Und: „Wenn Mitarbeitern des Heims, Kommunalpolitikern oder Menschen, denen Zuflucht gewährt wird, bedroht werden, ist eine Grenze überschritten“, sagt Tillich. Es sei bei dem fast einstündigen Treffen auch kritisch miteinander gesprochen worden. „Die Kommunikation ist in den letzten Tagen nicht optimal gelaufen.“ Da gebe es Verbesserungsbedarf. Man wolle weiterhin Dialogforen und Bürgerversammlungen veranstalten.

Vor dem Hotel versammeln sich währenddessen wieder etwa 50 Asylgegner, sie haben Plakate und Deutschlandfahnen dabei. Er werde gucken, ob sie ein Gespräch zulassen, sagt Tillich. Doch dazu kommt es nicht. Als er die Unterkunft verlässt, wird er sofort zu seinem Wagen begleitet und verlässt das Gelände. „Ist er schon weg?“, fragt ein älterer Herr die Polizisten, die ihm den Weg zum Heim versperren. „Der hat Angst vor uns.“ (mit dpa/jan)