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Majestät, wie geht es Sachsen?

Der Ruf der Region hat in diesem Jahr arg gelitten. Was denkt wohl jener König darüber, den die Sachsen noch heute hoch verehren? Ein historisches Interview.

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© Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Peter Ufer

Wir begaben uns auf die Suche nach seiner Majestät. In der Gala-Etage des Dresdner Schlosses kam es zum Treffen. August saß in einem seidenen Gewand in seinem Bett, trank Wein, wirkte aber so gar nicht gelassen, sondern sehr erregt.

Was ist los, Majestät? Sie schwitzen ja. Wie ist es Ihnen ergangen dieses Jahr?

Nächste Frage!

Sie wirken nervös. Hatten Sie auch solch einen Stress wie die meisten Sachsen heutzutage?

Das ist mir unbekannt. Was soll das sein? Es ist etwas anderes.

Ihr Übergewicht?

Flegel!

Sie ließen sich permanent von Ihrem Leibarzt untersuchen und schon mit 40 Jahren wogen Sie, bei einer Größe von 1,76 Metern, 120 Kilogramm. Macht ihm der Bluthochdruck noch sehr zu schaffen?

Ich habe mein Wohlfühlgewicht. Darum geht es nicht.

Worum dann?

Gemeinhin verkünde ich Neuigkeiten. Plaudereien pflege ich mit meinen Mätressen zu führen, nicht mit Schreiberlingen. Noch so eine Frage, und Sie sind erledigt.

Das Bild der Sachsen hat mächtig gelitten. Stört Sie das?

Die Sachsen waren so lange beliebt, wie sie eine Macht waren, politisch einflussreich und wirtschaftlich stark. Doch spätestens seit Preußen uns ausnahm und später Napoleon uns in die Niederlage trieb, wird der Sachse als Verlierer betrachtet. So schlimm kann das Bild in Ihrer Zeit gar nicht sein.

Würden Sie gern im Jahr 2015 regieren?

Jeder und jedes hat seine Zeit. Und wenn ich mir so aus meiner himmlischen Perspektive das traurige Häuflein Wettiner anschaue, das da in Sachsen übrig geblieben ist, kann ich nur sagen: Lächerlich. Ein August macht sich nicht lächerlich.

War Ihnen Familie je wichtig?

Wollen Sie eine ehrliche Antwort?

Ja, darum soll es in diesem Jahres-Interview gehen, um die Wahrheit.

Dass ich nicht lache! Die Lüge, Schreiberling, die Lüge ist die Fortsetzung der Wahrheit mit anderen Mitteln. Und Familie ist eine einzige Lüge, in der so viel Wahres steckt. Denken Sie nur mal an meinen älteren Bruder.

Weil er starb, kamen Sie an die Macht. Oder etwa nicht?

Wer weiß. Johann Georg war verheiratet, aber Vernunft ist keine Grundlage für Leidenschaft, sondern für Leiden. Kein Wunder also, dass er sich in die 17-jährige Sibylla verliebte. Aber seit diesem Augenblick lief er Spießruten. Immerhin gelang es ihm, mit der Hilfe der Habsburger, die er im Kampf gegen die Türken unterstützte, seiner großen Liebe den Titel einer Reichsgräfin zu verschaffen. Aber es brachte ihm kein Glück. Eine Hure als Gräfin, das passte dem sächsischen Adel nicht.

Sie starb an Pocken, er später auch. Oder ist das eine Legende?

Sie hören nicht zu, Schreiberling, Sie hören nicht zu. Lügen, nichts als Lügen. Der blinde Hass der kirchlichen Moralapostel führte dazu, dass sie Sibylla vergifteten und anschließend meinen Bruder.

Die behördlichen Untersuchungen entdeckten aber damals nichts, was auf einen Mord schließen ließ. Was ist nun die Wahrheit?

Da haben wir einen Herrn Neunmalklug. Die Wahrheit ist, was Sie glauben. Aber glauben Sie niemals einem, der die Moral vor sich herträgt wie eine Krone. Wenn eine Behörde sich selbst untersucht, dann ist das Ergebnis Verklärung, niemals Aufklärung. Das war bei mir nicht anders, als es bei Ihnen heute ist.

Waren Sie nicht glücklich, Kurfürst zu werden, Sie hatten schließlich plötzlich die Macht über einen Hofstaat und 1,4 Millionen Sachsen?

Macht macht nicht glücklich. Sehen Sie sich doch mal Ihren jetzigen König an …

… Sie meinen vermutlich den sächsischen Ministerpräsidenten …

… wenn der so heißt, dann meine ich den. Ich habe das Jahr 2015 mit Bedacht verfolgt und gesehen, wie sich dieser Mann benahm, dass er vom Islam sprach, der für ihn nicht zu Sachsen gehört, dass er in Israel einen Kriegshelm aufsetzte. Glücklich sah er dabei niemals aus, eher kümmerlich, wie meine lächerlichen Nachfahren. Soll ich Ihnen die Wahrheit sagen?

Bitte!

Wer die Macht hat, der braucht ein festes Kreuz. Und dazu passt es nicht, sich anzupassen, sich anzubiedern an das gemeine Volk, weil sie glauben, der Pöbel sei ihr Freund. Ist er nicht. Auch die Berater sind keine Freunde, sondern Schmeißfliegen, die an ihnen kleben, weil sie sich Vorteile erhoffen. Sie müssen jene freien Bürger stärken, die die Gesellschaft zusammenhalten, die umsichtig und klug genug sind, für einen freien Geist zu kämpfen.

Das klingt so gar nicht nach einem Kurfürsten, das klingt nach einem freien Demokraten. Darf ich Sie etwas Privates fragen?

Feigling! Jetzt, wo es politisch wird, da weichen Sie aus. Wollten Sie nicht die Wahrheit wissen?

Ich möchte gern noch einmal mit Ihnen über den Glauben sprechen. Im Jahr 2015 war sehr viel die Rede von Einflüssen unterschiedlicher Religionen. Sie selbst wechselten den Glauben, warum?

Sie meinen, weil ich zum Katholizismus überging, wäre ich konvertiert? Dummes Geschwätz. Dazu hätte ich ja erst mal an irgendetwas anderes glauben müssen als an mich selbst. Ich sage Ihnen etwas: Jedwede Religion ist nichts weiter als ein verwirrender Stoff, um Wissenslücken zu stopfen. Meine Frau erstarrte so zur Betsäule, ihr versiegte deshalb sogar der Schoß. Aber das Leben ist zum Leben, nicht zum Beten.

Glauben ersetzt Wissen?

Natürlich. Je blöder das Volk, desto mächtiger die Kirchen. Und das funktioniert im Islam genauso wie im Christentum. Ich wollte nur König werden. Den Posten gab es in Polen, denn dort existierte kein Erbkönigtum wie in fast allen anderen europäischen Ländern, sondern eine Adelsrepublik, die einen Katholiken haben wollten. Der König wurde vom Adel gewählt, aber der Adel brauchte Geld und Gold. Also kaufte ich mir ihn und damit seine Wählerstimmen. Das kostete mich immerhin vier Millionen Taler. Wenn Sie bedenken, dass zu meiner Zeit ein Handwerker etwa 25 Taler pro Jahr verdiente, können Sie sich vorstellen, wie viel ich investieren musste.

Was halten Sie heute von den Polen?

Das ist nach wie vor ein begehrenswertes Land. Zu meiner Zeit war es um vieles größer als Kursachsen, es grenzte im Westen an Schlesien und Ungarn, das Habsburg besaß, östlich an den Dnjepr, nördlich ging es bis an die Ostsee und im Süden grenzte es an das Osmanische Reich. In Polen gab es fruchtbare Ackerböden, Vieh, Pelzwerk, Leder, Getreide, Holz, Bodenschätze wie Blei, Eisen, Kupfer, Kohle. Sehr begehrenswert und deshalb schon immer umworben, egal ob vom Papst, von den Russen, den Habsburgern, den Franzosen oder eben von mir.

Was wollen Sie damit sagen?

Selber denken, Schreiberling, selber denken! Muss ich ihm alles vorkauen?

Was mich 2015 sehr beruhigte, war das, was Sie jetzt andeuten. Ständig gibt es territoriales Gezerre …

… was heißt denn ständig? Sie sind völlig überfüttert mit Ihren telegenen Nachrichten, mit ihrem komischen Streicheltelefon. Stellen Sie sich mal vor, im Dreißigjährigen Krieg hätte es schon Fernsehen und dieses Weltnetz gegeben. Jeden Tag wären Sie überschüttet worden von Meldungen über Terror, Tod, Hunger, Elend, Krankheiten, Not und Gewalt. Sie können doch gar nicht mitreden, so ungedient, wie Sie sind.

Sie dagegen träumten von kriegerischem Ruhm, haben das sächsische Heer ausgebaut, Soldaten in den Tod geschickt. Und am Ende haben Sie dennoch nie gewonnen. Warum eigentlich?

In Kriegen geht es nicht darum, zu siegen, sondern darum, sie zu führen. Es geht nicht darum, zu gewinnen, sondern einzig um den Gewinn.

Majestät, Sie sind ein linker Absolutist. Oder was ist los mit Ihnen?

Ich sage ja, Sie können nicht mitreden. Natürlich habe ich europäische Territorien beansprucht, natürlich habe ich gegen die Türken verloren, natürlich habe ich mich mal mit den Franzosen verbündet, aber am Ende war das immer die Legitimation, um zum einen Männer in Lohn und Brot zu bringen und zum anderen, Steuern zu erhöhen. Glauben Sie ernsthaft, ohne Kriegsverluste hätte ich die neu erfundene Mehrwertsteuer für das Volk, aber vor allem gleichzeitig auch für den Adel einführen können? Krieg bringt die Wirtschaft in Gang. Sachsen besaß zu meiner Zeit einen guten Bergbau, das Silber hat uns reich gemacht, aber gleichzeitig der Bau von Waffen. Was denken Sie denn, Sie feiger Schreiberling?

Ich denke an das Jahr 2015, das zu Ende geht und hätte gern gewusst, wie Sie heute Dresden sehen?

Als ich aufwuchs, war es ein langweiliges Kaff, eine Ackerbürgerstadt. Ich glaube, sie zählte gut 21 000 Einwohner, es ging eng zu, Holzhäuser säumten die miefigen Gassen. Es existierten die Kreuz-, und die Sophienkirche, es gab ein Reithaus für Turniere, den Stallhof, den Jägerhof, die Oper, das Schloss mit seinem Turm von 97 Metern Höhe, das Lusthaus auf der Jungfernbastei, das Palais im Großen Garten. Aber das war es dann auch schon. Doch die Dresdner selbst hielten das für schön. Auf meinen Reisen als junger Mann kam ich unter anderem nach Dänemark, Spanien, Portugal, Österreich, Frankreich und Italien. Ich sah fantastische Städte, Madrid, Paris, Wien, Prag. Venedig begeisterte mich am meisten. Und so holte ich mir die besten Baumeister, Juweliere und kunstsinnige Bürger aus ganz Europa. Sie sollten mir mein Sonnenreich an der Elbe bauen.

Das war einmal, es geht um heute.

Ich rede von heute. Schauen Sie sich doch mal um: Sehen Sie in der Oper große europäische Kunst? Das dümpelt vor sich hin. Sehen Sie große spektakuläre Bauten? Noch immer wird mein Zwinger als barocke Ikone stilisiert. Das Grüne Gewölbe hat man verdoppelt, schön! Das Schloss ist wieder da, sehr gut. Aber es graust mich, wenn ich beobachten muss, dass es von diesen Dimensionen keine weiteren Bauwerke gibt, keine neue Schatzsammlung. Wo sind denn die Architekten Ihrer Zeit, die Zeichen setzen, weshalb ich einst den Zwinger bauen ließ? Ich wollte mich messen mit den europäischen Metropolen, aber heute ist das Kuhdorf München attraktiver als meine sächsische Residenz. Und den Opernball moderiert ein kleiner Schneider. Was für eine Schmach.

Ist das nicht zu hart?

Nein, es ist traurig. Es fehlen die Visionen für eine europäische Stadt, die zwischen dem Osten und dem Westen Europas vermitteln könnte. In der Regierung Duckmäuser, die sich kaputtsparen, die keine Vorstellung haben, dass Dresden eine Drehscheibe ist, dass Wissenschaft, bedeutende Kunst und moderne Architektur immer Wirtschaft nach sich zieht und Besucher aus aller Welt. Was wollen Sie denn mit diesen Einkaufstempeln? Damit kann ich nichts anfangen, die sind zum verwechseln, die finde ich in jeder Stadt. Das regt mich auf.

Sie schwitzen gleich noch mehr. Lassen Sie uns lieber über Meissen reden. Ist das besser?

Da soll ich mich beruhigen, das soll meinen Blutdruck senken? Gut, dass dieser, wie hieß er, dieser Friedrich Böttger …

… nein, Sie meinen den ehemaligen Geschäftsführer Christian Kurtzke.

Egal, wie er hieß. Ein Blender, wie der Böttger, der dem König und seiner Gattin einreden wollte, er könnte Gold erschaffen. Böttger erfand wenigstens das Porzellan, aber ihr Mann ließ es zerschlagen. Und am Ende kaufte die Regierung das von meiner Manufaktur erschaffene und später erweiterte Formenarchiv, das sowieso den Sachsen gehört. Und Sie glauben das auch noch, statt mal nachzufragen.

Gibt es denn für Sie gar nichts Gutes an diesem Jahr 2015?

Die Welt ist nicht untergegangen, und Sachsen stirbt nicht aus. Kinder werden geboren, Menschen aus anderen Ländern ziehen in das Land. Das ist gut. Ich hatte schon Angst, die Lausitz oder das Erzgebirge würden veröden. Aber nein, junge Siedler kommen, bringen ihre Ideen und Kulturen mit. Das hat Zukunft.