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Luftschloss aus alten Steinen

Das nordsächsische Schloss Schnaditz zählt nicht zu den Schönsten. Aber es ist reich an Geschichte. Doch die ist derzeit verbannt – ebenso wie der Verein, der sich der Tradition verpflichtet sieht.

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© Heike Nyari

Von Thomas Schade

Es gibt drei Männer in der Geschichte, die einander nie begegnet sind. Dennoch haben sie eines gemeinsam: Ihre Lebensbahnen kreuzen sich in dem kleinen Ort Schnaditz unweit von Bad Düben an der sächsisch-anhaltinischen Grenze.

Das Schloss Schnaditz

Schloss Schnaditz bei Bad Düben, vermutlich als Ritterburg im 13. Jahrhundert in der Muldenaue errichtet.
Schloss Schnaditz bei Bad Düben, vermutlich als Ritterburg im 13. Jahrhundert in der Muldenaue errichtet.
Die Nordseite des Schlosses in den 1930er-Jahren.
Die Nordseite des Schlosses in den 1930er-Jahren.
Ehemaliger EIngang zu Schloss Schnaditz.
Ehemaliger EIngang zu Schloss Schnaditz.
Gerhard Griehl (r.) und der Kohlhaas-Verein zogen aus.
Gerhard Griehl (r.) und der Kohlhaas-Verein zogen aus.
Wie oft Hans Kohlhase auf der Burg Schnaditz war, ist nicht überliefert. Dennoch widmete Heinrich von Kleist dieser Geschichte 300 Jahre später eine seiner bekanntesten Novellen.
Wie oft Hans Kohlhase auf der Burg Schnaditz war, ist nicht überliefert. Dennoch widmete Heinrich von Kleist dieser Geschichte 300 Jahre später eine seiner bekanntesten Novellen.
Im 17. Jahrhundert fiel Schloss Schnaditz in die Hände der Familie von Steuben. Berühmtester Spross der Familie war Friedrich Wilhelm von Steuben, ein preußischer Offizier, der insbesondere an der Seite George Washingtons Karriere machte.
Im 17. Jahrhundert fiel Schloss Schnaditz in die Hände der Familie von Steuben. Berühmtester Spross der Familie war Friedrich Wilhelm von Steuben, ein preußischer Offizier, der insbesondere an der Seite George Washingtons Karriere machte.
Hans Oster, Generalmajor und ein führender Kopf im Widerstand gegen das NS-Regime, weilte oft in Schnaditz.
Hans Oster, Generalmajor und ein führender Kopf im Widerstand gegen das NS-Regime, weilte oft in Schnaditz.

Hans Kohlhase, der älteste, war Rosshändler in Cölln an der Spree und im September 1532 mit Pferden auf dem Weg zum Leipziger Michaelismarkt. In Wellaune, dem Nachbarort von Schnaditz, geriet er in Streit mit Gunter von Zaschnitz, der damals auf der Burg residierte. Der Junker behauptete, Kohlhases Pferde wären gestohlen. Der Kaufmann konnte das Gegenteil nicht beweisen und musste seine Pferde zurücklassen. Zwei Wochen später war der Junker bereit, die ausgehungerten Gäule zurückzugeben. Kohlhase wollte, dass sich der Adelsmann entschuldigte und sein Fehlverhalten eingestand. Das lehnte der Zaschnitz ab. Einem bürgerlichen Kaufmann Abbitte zu leisten, kam für ihn nicht infrage. Der Pferdehändler klagte, wurde aber als Querulant abgetan. Zwei Jahre später erklärte Kohlhase dem Junker den Krieg. Mit einem Trupp unzufriedener Männer zog Kohlhase durch die Muldenaue, plünderte und legte Feuer. Der Überfall auf einen Silbertransport des Kurfürsten von Brandenburg brach ihm das Genick. Als Landfriedensbrecher wurde Kohlhase im März 1540 verurteilt und auf dem Rad zu Tode gequält. Wie oft Kohlhase auf der Burg Schnaditz war, ist nicht überliefert. Dennoch widmete Heinrich von Kleist dieser Geschichte 300 Jahre später eine seiner bekanntesten Novellen.

130 Jahre nach dem Kohlhas’schen Händel fiel Schloss Schnaditz in die Hände der Familie von Steuben aus dem Uradel des Mansfelder Landes. Im 17. Jahrhundert teilte sich die Familie in zwei Linien. Eine erlosch um 1800. Die zweite residierte von 1678 bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts unter anderem in Schloss Schnaditz und blüht bis heute. Ihr Chef ist derzeit Henning Hubertus von Steuben, Autor und Reporter im Axel-Springer-Verlag.

Berühmtester Spross der Familie war Friedrich Wilhelm von Steuben, ein preußischer Offizier, der insbesondere an der Seite George Washingtons Karriere machte. Der preußische Offizier reorganisierte die Armee der Nordstaaten und leitete die Wende im Unabhängigkeitskrieg ein. Er gilt als einer der Architekten der amerikanischen Unabhängigkeit. Die alljährlich im September auf der New Yorker Fifth Avenue stattfindende Traditionsparade trägt seinen Namen.

Doch der General entstammte der erloschenen Steuben-Linie und war vermutlich nie persönlich in Schnaditz. Aber für Henning von Steuben zählt der berühmte Ahne fest zur Familie und auch zu Schnaditz.

Limousine mit Hakenkreuzstandarte

Durch Zeitzeugen verbürgt ist dagegen der Aufenthalt des dritten historisch bekannten Mannes in Schloss Schnaditz: des Generalmajors Hans Oster. Er war langjähriger enger Mitarbeiter des Chefs der Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht, Wilhelm Canaris, und ein führender Kopf im Widerstand gegen das NS-Regime. Oster war direkt beteiligt an der Vorbereitung des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944.

Hans Oster, ein Pfarrerssohn aus Dresden und Kreuzschüler, weilte oft in Schnaditz. Hier lebte seine Schwester Marie. Sie war mit Walter Martini verheiratet, einem Sohn des vorletzten Schlossbesitzers. Die Familie Martin, später Martini, hatte das Schloss 1792 von einer Witwe aus dem Hause Einsiedel gekauft, musste es nach 194 Jahren konkursbedroht wieder verkaufen, durfte aber weiter auf dem Anwesen wohnen. Die Martins ließen den Schlosspark anlegen, der im 19. Jahrhundert nach dem Vorbild des Wörlitzer Parkes entstand. Dort ging Hans Oster fast täglich spazieren, wenn er in Schnaditz war. Und er kam oft, nachdem er im Dezember 1943 aus der Wehrmacht verstoßen worden war.

Am 21. Juli 1944, einen Tag nach dem Attentat, wurde der General zum letzten Mal im Schlosspark gesehen. Um die Mittagszeit, so ist es überliefert, beobachteten der hiesige Schäfer und seine Frau, wie eine große schwarze Limousine mit Hakenkreuzstandarte und dunklen Scheiben aus Richtung Bad Düben zum Schloss fuhr. Das Tempo des Autos flößte ihnen Angst ein. Nur wenige Zeit später raste die schwarze Limousine wieder davon. Zusammen mit seinem Chef Canaris und mit Dietrich Bonhoefer wurde Oster auf Hitlers Befehl zum Tode verurteilt und vier Wochen vor Kriegsende im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet.

Eine so bewegte Vergangenheit sieht man Schloss Schnaditz heute auf den ersten Blick nicht an. Es wirkt ziemlich heruntergewirtschaftet. Der Westwind nagt an der Fassade. Nur einige Fenster sind erneuert, der Haupteingang im Seitenflügel wurde lange nicht geöffnet, der prächtige Balkon ist verschwunden, der mal den Ostflügel gen Norden mit einer prächtigen Sandsteinbalustrade abschloss.

Dafür ist der fast 30 Meter hohe Wehrturm bestens erhalten und weithin zu sehen. „Vermutlich der älteste Teil des Schlosses“, sagt Gerhard Griehl, der Ortsvorsteher. Der Turm könnte noch zur Wasserburg Sneudiz gehören, die hier in der Muldenaue vermutlich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhundert erbaut worden war, lange bevor der Kaufmann Hans Kohlhase hier durchreiste.

Gerhard Griehl und den meisten der 360 Einwohner liegt das Schloss am Herzen. So schlecht sei der Zustand gar nicht, sagt er. Innen seien teilweise noch die Holzgewände erhalten, in Keller und im Erdgeschoss gäbe es herrliche Gewölbe. Am Ostflügel zeigt er zu den Fenstern des ersten Stockes hinauf. Renaissance-Ornamente und Wappen aus Sandstein sind dort gut erhalten. Einige, so wird im Dorf erzählt, tragen freimaurerische Symbole.

In der DDR beherbergte das Schloss den Frisör, dem Kindergarten, die Post und die Gemeindeverwaltung. Auch Wohnungen waren eingerichtet. Der Turm sei nach 1990 instand gesetzt worden. „Er ist wieder begehbar“, sagt Griehl. Der Dachstuhl wurde erneuert, Teile des Daches sind neu gedeckt, und alte Kellergewölbe wurden stabilisiert, so der Ortsvorsteher. Mehr als eine halbe Million Euro haben das Land und die Stadt Bad Düben, zu der Schnaditz gehört, bis 2007 in Sicherungsarbeiten gesteckt.

Ein Schlossverein, später nennt er sich Kohlhaas-Club Schloss Schnaditz, hat über die Jahre drei Räume wieder nutzbar gemacht und mit viel Mühe, aber bescheidenen Mitteln versucht, den Verfall aufzuhalten. Die Vision vom Renaissanceschloss als europäische Jugendakademie mit Internat und Wertstätten scheiterte. Doch mit Volksfesten und am Tag des offenen Denkmals zog der Verein über all die Jahre Hunderte Menschen auf das Areal. Nur, eine echte Perspektive hatte das Schloss nicht.

Ein Schloss für einen Euro

Umso erfreuter sei sie gewesen, sagt Bürgermeisterin Astrid Münster, als im April 2014 eine deutsch-amerikanische Investorengruppe anklopfte, um Schloss Schnaditz zu kaufen. Wenige Monate später wechselte es für einen Euro den Besitzer. Die viereinhalbtausend Quadratmeter Boden dazu kosteten 118 000 Euro. Ein Restaurant, 15 Doppelzimmer, Vereinsräume, ein Heimatmuseum und ein Hochzeitszimmer sollten entstehen. Die Investoren selbst erwarteten Kosten von 3,2 Millionen Euro. Entstanden ist bisher nichts.

Etwas wehmütig erinnert sich Heike Nyari an die ersten Tage, als sich die Investoren in Schnaditz vorstellten. „Da wurde gescherzt, gelacht, mit Sekt auf Du und Du angestoßen, und alle waren froh, dass endlich was wird aus dem alten Kasten“, erzählt die Werbe- und Grafikdesignerin.

Helga van Horn, die ein Büro für betreutes Reisen in Reno, Nevada, USA, betreibt, hatte den Kauf initiiert. Damals erzählte die betagte Dame freimütig, wie einer ihrer Busfahrer sie auf Schnaditz aufmerksam gemacht habe. Doch die beiden einzigen baufachlich erfahrenen Mitglieder der Investorengruppe strichen bald die Segel – ein Bauingenieur aus Ostelbien und ein gebürtiger Holländer, der Schloss Wendischbora bei Nossen saniert hat. Nur Sohn Nick van Horn richtete sich im Schloss ein.

Eigentlich sei ihr Schnaditz zu groß erschienen, aber sie habe nicht widerstehen können, erzählte Helga van Horn 2016 der Leipziger Volkszeitung und klagte gleichzeitig, dass sie den Eindruck habe, dass ihr von den Behörden „mehr Steine in den Weg gelegt werden, als das Schloss Steine hat“. Zudem fand sich keine Bank, die das Projekt finanzieren wollte, Fördermittel blieben aus, weil die vorgelegten Papiere nicht tragfähig erschienen.

Obwohl im Jahr 2016 nach Angaben von Helga van Horn etwa 200 000 Euro investiert worden sein sollen, wich die anfängliche Euphorie bald der Tristesse. Gerhard Griehl zeigt auf die Dachentwässerung und die langen Fallrohre. „Die wurden gemacht, und einiges andere auch.“

Doch auch die zwischenmenschliche Stimmungslage trübte sich. Im vergangenen Sommer zog der Kohlhaas-Club aus dem Schloss aus. „Es gab unschöne Szenen, der Verein musste die Reißleine ziehen“, erzählt Heike Nyari.

Auch Bürgermeisterin Astrid Münster hat nicht mehr den Eindruck, dass die Investoren tatsächlich in der Lage sind, Schloss Schnaditz in absehbarer Zeit wieder nutzbar zu machen. Zweimal habe die Schloss Schnaditz GmbH die Fristen verstreichen lassen, in denen sie ein finanziertes Konzept vorlegen sollte. Zudem habe die Gesellschaft Schwierigkeiten mit dem deutschen Baurecht. Es würden Werkstoffe verwendet und mit Technologien gearbeitet, die nicht den Vorschriften entsprechen, so die Bürgermeisterin. Deshalb hätten Denkmalschutz und Bauamt vorläufig einen Baustopp verhängen müssen.

Vergangenen Sommer kam der Stadtrat den Investoren noch einmal entgegen und stimmte einer Vertragsänderung zu. Sie lasse der Gesellschaft etwas mehr Luft, beinhalte aber Fristen und verpflichte die Investoren, eine deutsche Bauleitung zu organisieren, sagt Bürgermeisterin Münster. Helga van Horn will sich zur Situation derzeit nicht äußern. Ihr gehöre das Schloss nicht, sondern der Gesellschaft. Die werde zu gegebener Zeit etwas sagen, schreibt sie und wundert sich über das öffentliche Interesse.

2018 könnte entscheidend werden für Schloss Schnaditz. Bürgermeisterin Münster scheut offenbar den schweren Schritt nicht mehr, den Verkauf rückgängig zu machen. „Es bleibt uns doch nichts anderes übrig, wenn die Auflagen weiterhin nicht erfüllt werden“, klagt sie. Dabei habe sie mit der Burg Düben und weiteren Baudenkmalen reichlich zu tun.

Astrid Münsters Gedanken wandern etwas neidvoll flussaufwärts. Dort, ebenfalls unweit der Mulde, steht Schloss Hohenprießnitz – stolz und schön, könnte man durchaus sagen. Der Barockanlage drohte vor 2011 ein ähnliches Schicksal wie Schloss Schnaditz. Dann kam Konrad Obermüller aus dem bayerischen Bad Abbach und kaufte das Schloss. Obermüller, Chef einer gleichnamigen Immobilienverwaltung und Eventmanager, saniert seither das Schloss Schritt für Schritt und machte es der Öffentlichkeit zugänglich. Es gilt schon jetzt als Schmuckstück der Gegend. „So einen könnten wir auch gebrauchen“, schwärmt die Bürgermeisterin am Telefon.

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